Hamburg. 67-Jährige mit Geländewagen auf Gehweg am Elbstrand stecken geblieben. Neue Gespräche über die Waitzstraße.
Es war auch für die Retter ein seltsamer Anblick: Ein Range-Rover-SUV verkeilt in die Zäune entlang eines schmalen Gehwegs direkt am Elbstrand. Eine demenzkranke 67-Jährige hatte nach Polizeiangaben den Autoschlüssel ihres Ehemannes genommen und war mit dem Wagen durch Othmarschen gefahren. Dort verlor sie jedoch offenbar die Orientierung und fuhr bei Övelgönne auf den Gehweg, ehe sie stecken blieb.
Helfer befreiten die Frau aus dem Auto. In der Folge wurde sie mit Verdacht auf einen Schlaganfall in ein Krankenhaus eingeliefert, dieser bestätigte sich bei den folgenden Untersuchungen jedoch nicht. Nach Polizeiangaben verfügt sie selbst nicht über einen gültigen Führerschein. Bis zum Abend waren Helfer damit beschäftigt, den festgefahrenen Range-Rover-SUV vom Gehweg zu entfernen. Da kein Abschleppfahrzeug in den schmalen Weg passte, wurde ein Gabelstapler eingesetzt.
Unfall-Serie von Senioren in Hamburg
Der aktuellste Vorfall reiht sich in eine Serie von Unfällen von Senioren, die in Hamburg für Aufsehen sorgten. Vergangenes Jahr starb ein 88-Jähriger, als er mit seinem Saab 20 Meter tief aus dem Parkhaus an der Hamburger Meile stürzte.
In diesem Jahr raste ein 85-Jähriger im Alstertal-Einkaufszentrum mit seinem SUV mehrere Treppen hoch und weiter in ein Kaufhaus in die Handtaschenabteilung. Besonders tragisch war ein Unfall 2010 am Hauptbahnhof, als ein 73-Jähriger mit seinem Auto einen Poller umfuhr und anschließend einen vier Jahre alten Jungen tödlich erfasste.
Die Statistik zeigt, dass ältere Fahrer vor allem Unfälle im Zusammenhang mit Missachtung der Vorfahrt verursachen. Auch das Anfahren nach dem Parken ist ein Problem. Berüchtigt ist wegen solcher Unfälle die Waitzstraße in Groß Flottbek. Dort ereigneten sich in den vergangenen Jahren mehr als 20 Verkehrsunfälle mit Senioren, bei denen oft die Autos in den Schaufenstern der Geschäfte landeten – zuletzt krachte es dort erst im August.
Stelen aus Stahl
Es war bereits an einen Umbau der schrägen Parkflächen gedacht worden. Mittlerweile will man Stelen aus Stahl aufstellen, die einen Meter tief im Boden verankert sind. „Sie sollen zwei Tonnen bei zehn Kilometern pro Stunde standhalten“, sagt Gunnar Gellersen, der sich beim Business Improvement Distrikt (BID) Waitzstraße engagiert. Am heutigen Freitag will man sich erneut mit Vertretern des Bezirksamtes Altona treffen, um Maßnahmen zu planen. Diese sollen dann peu à peu ohne große Behinderungen und Baustellen umgesetzt werden.
Bereits im August hatte das Bezirksamt angekündigt, ein Ingenieurbüro mit einem Gutachten beauftragen zu wollen, inwieweit eine massive sogenannte Durchfahrsperre die Situation vor Ort verbessern könnte. Bislang wurden schon Parkplätze verlängert und verbreitert. Dies war aber eine Maßnahme, die Unfälle während des Rückwärtsfahrens beim Ausparken verhindern sollte.
Rentner sind sichere Fahrer
Nach den Statistiken des Senats sind Menschen im Rentenalter allerdings keineswegs die gefährlichsten, sondern im Gegenteil sogar die sichersten Fahrer. Statistisch verursachten 1000 Einwohner im Alter von 65 bis 74 Jahren demnach 21,5 Verkehrsunfälle pro Jahr. Bei den über 74-Jährigen sank die Zahl sogar auf 19,6 Unfallverursacher pro 1000 Hamburger in dem Alter.
Die Statistik hat aber einen Haken. Unter den 335.312 Menschen über 64 Jahren, die laut Statistikamt im vergangenen Jahr in Hamburg gemeldet waren, dürfte der Großteil der 63.000 pflegebedürftigen Menschen in Hamburg sein. Diese nehmen gar nicht oder nur sehr eingeschränkt am Verkehr teil. Dazu kommt: Die Unfälle mit jungen Erwachsenen sind seit Jahren rückläufig, vergangenes Jahr um 3,9 Prozentpunkte, während die Zahl der Unfälle mit Senioren seit Jahren ansteigt. 2018 waren es in Hamburg 1,2 Prozent mehr. Die Polizei macht dafür die demografische Entwicklung verantwortlich.
„Statistische Tricks"
Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer (UDV) spricht von „statistischen Tricks“, die im Zusammenhang mit der Unfallerhebung bei Senioren angewandt werden. „Tatsächlich sind die über 75-Jährigen die Hochrisikogruppe“, sagt er. „Ab da wird es richtig dramatisch.“ So nehmen viele dieser Senioren ab diesem Alter nicht mehr am Verkehr teil.
Zudem gibt es dort überproportional viele Frauen, die keinen Führerschein besitzen. „Orientiert man sich an der Kilometerleistung, die Personen aus verschiedenen Altersgruppen zurücklegen, stellt man fest, dass Senioren über 75 bei den Unfallverursachern etwa gleichauf mit jungen Fahranfängern liegen“, so Brockmann. Bei den Unfällen mit Verletzten schneiden die Senioren im Vergleich zu Fahranfängern besser ab, bei Unfällen mit Toten schlechter.