Trittau. Oliver Mesch spricht über die Anspruchshaltung vieler Bürger, die Grenzen des Wachstums in der Kommune und seine Pläne.

Für Oliver Mesch geht seine erste Amtszeit als Bürgermeister von Trittau im August 2020 zu Ende. Ob der 48-Jährige sich erneut für das Amt bewerben will, verrät er im Interview mit dem Abendblatt. Er zieht Bilanz, spricht über wichtige Projekte und das Wachstum im Ort. Über Erfolge und Ärgernisse wie die Zunahme des Anspruchsdenkens, mit dem immer mehr Bürger ihre Anliegen an die Gemeinde und ihren Verwaltungschef herantragen. Oliver Mesch will die politischen Prozesse transparenter machen, fordert aber auch eine größere Beteiligung der Einwohner ein. Bei allem ist der gebürtige Trittauer und Familienvater von zwei Kindern bodenständig geblieben, trifft sich nach wie vor gern mit Freunden in einem Lokal im Ort. Die Wassermühle ist für ihn das Wahrzeichen der Gemeinde. Auf dem Gelände ist er auch sportlich unterwegs: Dank Lauftraining bekommt er nach einem langen Arbeitstag den Kopf frei.

Hat sich Ihr Verhältnis zu Ihren Mitbürgern geändert, seit Sie Bürgermeister sind?

Ich habe den Eindruck, dass die Bürger mich in erster Linie als Amtsperson wahrnehmen. Durch diese Position verändert sich aber nicht das Verhältnis zu den Mitmenschen. Ich verstehe das Amt als Aufgabe. Ich muss mich zwar ein Stück weit dahinter zurückziehen, bleibe dabei aber immer noch Mensch. Das ist wichtig, sonst ist man irgendwann nur noch eine Politpuppe.

Sind Ihnen schon einmal Zweifel gekommen, ob das der richtige Job für Sie ist?

Nein. Manchmal ist er sehr arbeitsintensiv und die Termine eng getaktet. Deswegen sind Auszeiten wichtig – aber bei der Fülle der Projekte, die in den vergangenen fünf Jahren in Trittau angegangen worden sind, nicht immer möglich.

Zu diesen Herausforderungen kommt die Digitalisierung der Verwaltung.

Alle Verwaltungsdienstleistungen müssen bis 2022 digital angeboten werden. Die Reform ist notwendig, wird uns aber viel Kraft kosten, denn sie verändert die Arbeit in der Verwaltung total. Aber das macht es auch spannend.

Kann Verwaltungsarbeit spannend sein?

Ja, absolut. Es gibt nichts Spannenderes als Verwaltungsarbeit (lacht). Man muss aber auch aufpassen, dass Bürokratie nicht ausufert.

Wirkt sich der generelle Mangel an Fachpersonal auf Projekte aus?

Die Umsetzung ist dadurch schwieriger geworden, das betrifft auch die beauftragten Firmen. Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Es gibt mehr Infrastrukturfördermittel, diese müssen aber auch abgerufen und verbaut werden. Dazu ist Personal erforderlich.

Setzen Sie als Bürgermeister andere Akzente als Ihre Vorgänger?

Jeder ist Kind seiner Zeit und setzt eigene Akzente. Ich möchte beispielsweise den Rahmen für eine sachlich-konstruktive Diskussion schaffen. Als ich die Aufgabe übernommen habe, war Politik in Trittau ineinander verkeilt. Durch den Streit um die Schützenplatz-Bebauung – welcher Supermarkt bekommt welchen Standort – war das politische Klima emotional aufgeladen. Über das Nahversorgungskonzept ist es gelungen, Interessen zu ordnen und auszugleichen. Eine weitere politische Auseinandersetzung betraf den Fortbestand des Freibades. Ich habe eine Bürgerbefragung vorgeschlagen, die mit 70 Prozent ein klares Votum für die Sanierung ergab, dem die Gemeindevertretung folgte. So funktioniert ein gutes Miteinander, so können Streitthemen abgeräumt werden.

Sie haben die Supermärkte angesprochen. Als Unterzentrum hat Trittau einen Nahversorgungsauftrag, aber müssen es gleich so viele Märkte sein?

Das sehen auch Bürger teils kritisch wegen des vielen Konsums, der wird aber auch nachgefragt. Der Hauptgedanke beim Nahversorgungskonzept ist, Trittau als Standort zu festigen, zukunftssicher zu machen. Die Verbrauchermärkte sind die großen Anker, sie locken die Leute nach Trittau. Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, ziehen sie sich durchs Dorf, beleben die Ortsmitte. Das ist die nächste große Aufgabe: Wir müssen das Zentrum mit dem seit Langem brach liegenden Campe-Areal sinnvoll umgestalten und qualitativ verbessern.

Was ist dort derzeit angesiedelt?

Die Bücherei, Volkshochschule und die Campehalle. Diese Nutzungen müssen sich dort später wiederfinden. Zusätzlich brauchen wir erschwingliches, zentrumsnahes Wohnen und Versammlungsräume. Hier kommt die Multifunktionshalle ins Spiel, die für die Großenseer Straße diskutiert wird. Alles ist miteinander verwoben. Plätze wie der Europaplatz könnten in die Gestaltung mit einbezogen werden. Wir haben beim Ortsmarketing viel darüber erfahren, wo die Bürger hinwollen. Jetzt brauchen wir ein Ortskern-Entwicklungskonzept. Im Herbst sollten wir mit dem Prozess zur Neugestaltung des Campe-Areals in der Politik beginnen.

Verändert Trittau sein Erscheinungsbild grundsätzlich?

Ich sehe es nicht so. Der Ort muss sich weiterentwickeln, dabei muss Identitätsstiftendes wie Bürgerhaus, Hahnheide-Turm und Wassermühle erhalten bleiben. Trittau befindet sich im Wandel. Diesen zu gestalten, festzulegen, wo die Wachstumsgrenzen sind, ist eine Herausforderung. Als Nächstes steht das Baugebiet 35 B zwischen Großenseer Straße und Ziegelbergweg an. Und dann müssen wir Bürger miteinander verhandeln, ob wir wirklich noch mehr wachsen wollen beziehungsweise wie. Ich glaube, das Wachstum muss Grenzen haben. Trittau ist noch überschaubar, aber das könnte bald kippen.

Erwarten Sie beim Wohngebiet 35 B weitere Einsprüche Gewerbetreibender?

Nein, wir haben im Bebauungsplan alle Interessen, auch die der anliegenden Gewerbetreibenden, sorgfältig eingepreist und abgewogen. Daher ist dieser Bebauungsplan sowohl fürs Bestandsgewerbe als auch den entstehenden Wohnraum, den wir dringend brauchen, sicher. Es bestehen rational keine Gründe, sich dagegen auszusprechen. Jetzt ist der Investor, die Landgesellschaft Schleswig-Holstein, am Zug.

Ist schon einmal ein Bürger Ihnen gegenüber übergriffig geworden?

Nein. Nicht in der Form, wie es mein Kollege Janhinnerk Voß aus Großhansdorf im Abendblatt geschildert hat. Aber ich bemerke, dass der Gemeinsinn zusehends schwindet, das Anspruchsdenken dagegen zunimmt. Die Bürger treten manchmal sehr egoistisch mit ihren Angelegenheiten an die Gemeinde heran. Verlieren den Blick dafür, dass wir nicht dazu da sind, private Anliegen Einzelner abzuarbeiten. Der Ton wird fordernder. Zwar ist die Gemeinde auch Dienstleister der Bürger. Aber der kann sich nicht eben mal einen Kindergarten oder einen neuen Radweg bestellen. So einfach ist das nicht, eine Gemeinde ist kein Pizza-Service. Der wachsende Egoismus einiger sorgt für eine Verbreitung des Ohnemichel-Prinzips nach dem Motto: Vor meiner Tür darf keiner parken oder diese Baustelle vor meinem Grundstück geht nicht. Da müssen wir gegenhalten.

Verbale oder körperliche Angriffe gegen Sie gab es also nicht?

Richtig. Natürlich muss ich als Verwaltungschef Emotionen von Bürgern aushalten und damit umgehen. Sind die Leute direkt betroffen, sind Gefühle im Spiel. So gesehen bin ich Projektionsfläche für Unmut. Dafür bin ich aber auch ein Stück weit da. Der Bürgermeister ist Schaltstelle zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung. Muss vermitteln, ist Manager und Impulsgeber. Natürlich entscheidet letztendlich die Politik. Trotzdem werde ich von den Bürgern oft für diese Entscheidungen verantwortlich gemacht und halte sozusagen meinen Kopf dafür hin.

Was regt Sie so richtig auf?

Wie stark die Mitarbeiter meiner Verwaltung belastet sind, wie hart sie arbeiten – das müsste mehr beachtet werden. Wir arbeiten für 19.000 Menschen im Amt mit seinen zehn Amtsgemeinden. Meine Mitarbeiter machen einen exzellenten Job. Wenn wir das mit einer Firma vergleichen, haben wir 150 Prozent Aufträge, aber nur 90 Prozent Personal. Das könnte öfter auch mal aufseiten der Politik und der Amtsbürgermeister honoriert werden.

Gibt es in Trittau ein Drogenproblem?

Mit Sicherheit werden hier Drogen verkauft und konsumiert, auch an den Schulen. Das ist ein allgegenwärtiges Problem der Gesellschaft, nicht nur in Trittau. Deswegen habe ich der Politik vorgeschlagen, wieder einen Streetworker einzustellen. Dieser hat kürzlich seine Arbeit aufgenommen. Doch letztlich sind die Eltern für ihre Kinder verantwortlich. Wir müssen unsere Kinder stark machen und dadurch schützen. Zu einem guten Vorbild zählt auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol.

Was braucht Trittau dringend?

Bezahlbaren Wohnraum, vor allem für junge Leute und Senioren, da ist kaum etwas am Markt. Und Kindergartenplätze, das ist ein Thema, das wir seit 2015 vor uns herschieben. Leider haben wir immer noch keine neue Kita, sind aber auf einem guten Weg, wenn auch zu spät. Wir hatten einen fast fertigen Bebauungsplan im Bereich des Gebiets Goethe­ring/Schillerstraße. Doch die Politik bewertete die Proteste der Anwohner gegen das Vorhaben höher als Kitaplätze, und so wurden die Pläne auf Eis gelegt. Wäre das anders gewesen, hätten wir schon 2016 eine neue Kindertagesstätte haben können.

Was genau tut sich aktuell in Sachen Kinderbetreuung?

Vor der Sommerpause haben wir den Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan 57 an der Hamburger Straße gefasst. Sobald der Flächennutzungsplan vom Land genehmigt ist und rechtskräftig wird, kann dort eine Kita gebaut werden. Für die gegenüberliegende Seite hat die Gemeinde im Bebauungsplan 59 einen weiteren Kita-Standort geplant, den wir ebenfalls dringend benötigen.

Gibt es Ideen, wie die Verkehrssituation auf der Poststraße gelöst werden könnte?

Die Lösung der Verkehrsprobleme in der Poststraße ist eines der dringlichsten Probleme der Gemeinde. Auch wenn sie de facto eine Landesstraße ist, müssen wir unsere Interessen in den Vordergrund stellen. Wir müssen uns für eine abschnittsweise oder völlige Aufhebung oder eine Verlegung der Landesstraße einsetzen. Wenn es gelingt, den Durchgangsverkehr über andere, breitere Straßen und nicht durchs Zentrum zu leiten, eröffnen sich neue Perspektiven.

Wir haben in den vergangenen fünf Jahren in Trittau viele Straßensanierungen vorgenommen – wie zum Beispiel in der Rausdorfer Straße und dem Mühlenweg – und eine leistungsfähige Ortsdurchfahrt geschaffen. Das würde ich als Diskussionsgrundlage nehmen. Wichtig ist, dass wir die Poststraße so gestalten, dass sie eine echte Aufenthaltsqualität bekommt. Im Eiscafé an der Poststraße beispielsweise gibt es tolles Eis. Doch mit meiner Frau kann ich mich dort kaum unterhalten, wenn die Autos vorbeidonnern.

Wäre dort auch eine Einbahnstraßenregelung denkbar?

Ja – genauso wie Shared Space oder eine Radspur. Viele Anregungen kommen aus dem Arbeitskreis Radverkehr. Wir müssen neue Wege denken, wenn sich Geschäfte und Lokale ansiedeln und sich eine „Zentrumskultur“ entwickeln soll.

Wie sehen Sie das Gebiet in zehn Jahren?

Dann haben wir in der Poststraße einen beruhigten Verkehr, wo sich verschiedene Mobilitätsformen – Fahrrad, Fußgänger, autonom fahrende Busse und Elektroautos – wiederfinden. Die Menschen sitzen in Cafés, können sich in Ruhe unterhalten, wechseln in das benachbarte Geschäft. Und am Ende nehmen sie noch etwas fürs Abendbrot aus dem Supermarkt mit. Es ist immer noch zentral, aber ruhig und modern.

Hätten Sie denn überhaupt Zeit, sich mal ins Café oder die Kneipe zu setzen?

Ich treffe mich regelmäßig mit Freunden, und das am liebsten zum Stammtisch in Trittau. Wenn man viel arbeitet und für die Gemeinde unterwegs ist, ist es wichtig, dass man die Erdung und den Kontakt nicht verliert. Ich bin Bürgermeister und Mensch Mesch.

Wollen Sie in so einer Situation nicht in erster Linie Privatperson sein? Wie reagieren Sie, wenn jemand mit einem Anliegen kommt und das sofort klären will?

Die Menschen gehen mit meiner Privatsphäre behutsam um. Es ist eher die Ausnahme, dass ich privat angesprochen werde. Vielleicht liegt das ein Stück weit daran, dass es bei uns problemlos möglich ist, mit dem Bürgermeister zu sprechen. Die Sprechstunden auf dem Markt sind so ein Anknüpfungspunkt, wo man unkompliziert etwas loswerden kann. Ich mache das sehr gern.

Sie bieten außerdem Sprechzeiten im Büro an. Lohnt sich der Aufwand?

Absolut. Das bringt eine Menge. Die Sprechstunden haben unterschiedliche Qualität. Die offenen auf dem Wochenmarkt werden sehr gut angenommen, es ist ein Kommen und Gehen. Manchmal würde ich zwischendrin gern eine Bratwurst vom Stand essen. Aber das ist dann zeitlich nicht drin. Die Bürger wollen dort eher Kritik oder Dinge loswerden, die ihnen auf den Nägeln brennen, geben Anregungen oder stellen Fragen. Dafür lohnt es sich nicht, extra einen Termin zu vereinbaren. Wenn es ans Eingemachte geht, besprechen wir das vertraulich im Büro. Mein Eindruck ist, dass die Bürger durch das niedrigschwellige Angebot der Teilhabe an der Gemeindepolitik profitieren. Auf der anderen Seite ist es für mich, die Verwaltung und Politik sehr wertvoll, diesen Input zu bekommen. Die Impulse daraus gebe ich weiter. Viele Menschen formulieren auch konkrete Anliegen, die dann abgearbeitet werden können.

Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen – welche sind Ihre?

Ich glaube, dass es mir gut gelingt, zwischen Interessen zu vermitteln, auszugleichen und Impulse zu setzen. Eine Schwäche von mir mag sein, dass mir die Dinge häufig nicht schnell genug gehen, gerade was politische Entwicklungen betrifft. Wir sind viel zu langsam bei der Digitalisierung der Verwaltung, Schaffung neuer Kindergartenplätze und von Wohnraum.

Welche Überlegungen spielen eine Rolle in Bezug auf eine erneute Kandidatur als Verwaltungschef?

Ich habe Bilanz gezogen und geschaut: Funktioniert das, was ich mir vorgestellt habe, mit der Verwaltung und der Politik? Und geht das in die richtige Richtung? Dann habe ich mich gefragt: Ergibt es für den Ort, für die Vorhaben, die angeschoben sind, und mich Sinn? Und ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Ja, ich trete noch einmal an.

Was sagt Ihre Familie denn dazu?

Meine Familie ist mein Backoffice, mein Team. Ich kann nicht Bürgermeister sein ohne deren Rückhalt. Es ist ja kein Nine-to-five-Job. Ich habe wenig private Zeit zur Verfügung. Vieles im häuslichen Umfeld kann ich nicht wahrnehmen wie Arbeit im Garten und Aufgaben im Haushalt. Meine Frau Birte kann als Übersetzerin teils von zu Hause aus arbeiten, managt alles. Und dann komme ich nach Hause und sage, nimm’ mal Rücksicht auf mich, ich hab so viel getan – dabei macht sie eigentlich viel mehr.

Was wünschen Sie sich als Bürgermeister noch für Trittau?

Dass sich die Bürger noch mehr einbringen in den Ort und die Diskussion, dass sie sich für gemeinschaftliche Belange einsetzen und dabei auch mal den Blick nach rechts und links richten. Wir bieten ja die Möglichkeiten dazu. Mehr Gemeinsinn für den Gesamtort, für das „Wir“, das wäre schön.