Bargteheide. Birte Kruse-Gobrecht spricht im Sommerinterview über Machtspielchen, eine lange Projektliste und vertane Chancen.

Die berühmte Sentenz der US-amerikanischen Informatikerin Grace Hopper brachte Birte Kruse-Gobrecht (50) keine sechs Monate nach ihrem Amtsantritt auf einer Wand ihres Büro an: „Der gefährlichste Satz einer Sprache ist: Das haben wir schon immer so gemacht.“ Bürgermeisterin von Bargteheide zu sein bedeutet für die gebürtige Hamburgerin Aufbruch, Umbruch und Wille zur Veränderung. Sie hat Jura studiert, als Mediatorin, Beraterin und Arbeitsvermittlerin gearbeitet, war Gleichstellungsbeauftragte des Kreises und Mitinitiatorin der Stiftung Beruf und Familie Stormarn. Seit 2017 lebt sie mit ihrem Sohn und ihrem Partner in Bargteheide. Zur Familie gehören auch ihre erwachsene Tochter und die beiden erwachsenen Töchter ihres Partners.

Haben Sie es schon einmal bereut, den Job der Bürgermeisterin übernommen zu haben?

Birte Kruse-Gobrecht Nein! Bargteheide ist eine lebenswerte Stadt. Das Amt ist eine große Herausforderung, das ist mir spätestens im Wahlkampf klar geworden. Es gilt, den Reformstau aufzulösen, die Digitalisierung voranzutreiben und die Verwaltung neu zu strukturieren. Das geht nicht ohne gewisse Reibungspunkte ab, denen wir uns stellen müssen. Doch ich weiß ein gutes, motiviertes Team an meiner Seite. Dieses Wissen hilft gerade in schwierigen Situationen besonders. Außerdem bekomme ich erfreulich viel positives Feedback von den Bürgern und aus der Wirtschaft. Das bestätigt mich und spornt an.

Vor der Sommerpause häufte sich Kritik aus der Kommunalpolitik. Fehlerhafte Sitzungsvorlagen wurden ebenso moniert wie zu lange Bearbeitungszeiten und mangelnder Nachdruck gegenüber Projektpartnern. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen?

Fehler passieren, das ist menschlich. Eine Verwaltung ist nie perfekt. Professionalisierung bleibt deshalb ein großes Thema. In allen Bereichen gibt es Optimierungspotenzial, nicht nur im Sitzungsdienst. Und nicht erst seit meinem Einzug ins Rathaus. Aber klar ist auch, dass das manchmal Zeit braucht. Dafür wünschte ich mir hier und da mehr Verständnis. Fakt ist, dass es seit meinem Amtsantritt deutlich mehr Anfragen aus den Fraktionen gibt. So kann man eine Verwaltung auch lähmen.

Es gibt also eine signifikante Zunahme von Anfragen ohne nennenswerten Mehrwert?

Grundsätzlich ist es gut, wenn die Kommunalpolitik Fragen an die Verwaltung stellt und um Erläuterungen bittet. Doch das geht zuweilen einher mit einer auffälligen Detailverliebtheit. Da ist die Beschaffenheit eines Projektorsteckers plötzlich wichtiger als der Blick aufs große Ganze, etwa die Leitlinien zur Stadtentwicklung beim Klimaschutz, im Wohnungsbau und bei der Lösung von Verkehrsproblemen.

Gibt es auch persönliche Anfeindungen? Und wie gehen Sie damit um?

Manchmal wundere ich mich schon über den Tonfall. Anscheinend ist es für manchen schwierig, sich jetzt mit einer Frau als Stadtoberhaupt auseinandersetzen zu müssen, die noch dazu parteilos ist. Das macht mich innerlich zwar unabhängig, hat aber auch eine Kehrseite: Ich habe keine Hausmacht in der Stadtvertretung. Doch Kommunalpolitik ist keine Bundespolitik. So sehe ich Verwaltung und Kommunalpolitik in einer Schicksalsgemeinschaft, in der wir gemeinsam zum Wohle der Stadt arbeiten sollten. Dafür braucht es konstruktive Zusammenarbeit und keine Machtspielchen.

So wie zuletzt beim kontroversen Thema Westumfahrung?

Ich kann verstehen, dass es der CDU an dieser Stelle nicht schnell genug geht. Doch die Kritik an der Verwaltung war unberechtigt, das haben wir längst umfassend aufgeklärt.

Gab es inzwischen die von der CDU versprochene Entschuldigung?

Fraktionschef Mathias Steinbuck hat sich unmittelbar vor den Ferien mit unserem Planungsleiter Jürgen Engfer zu diesem Thema ausgetauscht. Eine öffentliche Entschuldigung steht aber noch immer aus.

Was würden Sie als größte Erfolge in ihrer bisherigen Amtszeit bezeichnen?

Den Zuschlag für die Städtebauförderung. Jetzt werden zweistellige Millionenbeträge fließen, um zum Beispiel das Bahnhofsumfeld zu entwickeln. Dazu werden wir noch in diesem Jahr Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote in Bargteheide begrüßen können. Auch die von vielen gewünschte Buslinie ins Gewerbegebiet konnte durch die Unterstützung der Wirtschaft realisiert werden. Und die Stadt hat jetzt einen Kinder- und Jugendbeirat, das war mir ein besonderes Anliegen.

Apropos Bahnhofsumfeld. Wie stellen Sie sich dessen Umgestaltung vor? Und werden sich die verschiedenen Wünsche und Vorstellungen der Bürger am Ende harmonisieren lassen?

Das Bahnhofsumfeld ist mit seinen Bus- und Bahnanschlüssen nicht nur eine wichtige Pendler-Drehscheibe. Es sollte zugleich ein attraktives Eintrittsportal zur Stadt sein. Wie es konkret ausgestaltet wird, sollen über den Stadtdialog und ein integriertes Stadtentwicklungskonzept vorrangig die Bürger entscheiden.

Welche neuen Akzente, die Sie als Verwaltungschefin setzen wollten, sind noch nicht umgesetzt?

Die langwierigen Veränderungsprozesse in der Verwaltung binden viel Zeit und Energie. Da wäre es durchaus hilfreich, wenn die Politik weniger hinterfragt und uns mehr Vertrauen schenkt. Andersrum wünschte ich mir von ihr stringentere und schnellere Entscheidungen. So war die Suche nach einem neuen Standort für die Feuerwache lange eine Hängepartie. Das Gleiche gilt für den geplanten Schulneubau. Der steht in der Politik nicht ganz oben.

Wurden bei der Prioritätenliste für städtische Bauvorhaben durch den Finanzausschuss also nicht die richtigen Schwerpunkte gesetzt?

Den Schulneubau hätte ich weiter oben gesehen statt nur auf Platz neun. Die Feuerwache steht richtigerweise an erster Stelle. Am Ende kommt es aber darauf an, was aktuell umsetzbar ist. Die Feuerwache wird erst in ein paar Jahren realisierbar sein. Deshalb können und müssen wichtige Schritte für andere Projekte vorgezogen und parallel bearbeitet werden. Zudem wird der Zuschlag für die Städtebauförderung sicher noch für Verschiebungen sorgen.

Wie bewerten Sie die anhaltende Diskussion um die immer wieder geforderte Abschaffung der Straßenausbaubeiträge?

Darüber entscheidet allein die Kommunalpolitik. Klar ist: Bleiben die Einnahmen aus, würden dem Haushalt im Schnitt 100.000 Euro pro Jahr fehlen. Auch wenn diese zum Teil aus Zuweisungen für Infrastrukturmaßnahmen kompensiert werden.

Die Stadt soll als Vorreiterin einer bewussteren Umweltpolitik positioniert werden. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Verhinderung des Windparks, eines Windrads im Gewerbegebiet, des Bezugs von Ökostrom mit Neuanlagenquote für städtische Liegenschaften, der Erdgastankstelle?

All das sind verpasste Chancen. Aber die Diskussion um den Klimaschutz wird uns nicht mehr loslassen. Dazu trägt auch die Bewegung Fridays for Future bei. Die Politik muss sich mit den berechtigten Forderungen der Jugendlichen konstruktiv auseinandersetzen, weil der Klimawandel an Bargteheide nicht spurlos vorbeigeht. Beim Ausbau erneuerbarer Energien und des Radverkehrs ist noch viel Luft nach oben. Andererseits haben wir auch schon viel geschafft. Etwa mit dem Blockheizkraftwerk für das Schulzentrum, mit der Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs durch die neue Buslinie, beim Thema „Bienen- und insektenfreundliche Stadt“, mit der Anschaffung von Lastenfahrrädern für die Schulhausmeister.

Ist das Kulturangebot der Stadt durch die Neuorganisation des Kleinen Theaters jetzt in ruhigerem Fahrwasser?

Ich denke, das Kleine Theater ist auf einem sehr guten Weg. Aber Bargteheide hat deutlich mehr zu bieten als diesen Leuchtturm. Es gibt großartige Kirchenmusik, den Kunstkreis im Alten Stellwerk, die Volkshochschule, unser tolles Museum und viele andere Projekte. Glücklicherweise gibt es viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren.

Welche wichtigen Aufgaben und Projekte stehen im Herbst an?

Wir müssen mit dem Haushalt und dem Stellenplan die richtigen Weichen für die weitere Stadtentwicklung stellen. Die Projektliste für die nächsten fünf Jahre ist lang, und deren Abarbeitung kostet mit 70 Millionen Euro sehr viel Geld. Das muss gut geplant und ganzheitlich betrachtet werden. Niemand kann garantieren, dass die gute wirtschaftliche Lage langfristig trägt. Auch in Bargteheide spielen die schwankungsanfälligen Gewerbesteuereinnahmen im Etat eine wichtige Rolle. Ansonsten müssen wir den Umbau zur fahrradfreundlichen Kommune vorantreiben und die Angebote für Jugendliche weiterentwickeln.