Ammersbek. Die Brüder Armin und Arash sind aus Afghanistan geflohen, leben in Ammersbek. Bald wollen beide ein Studium beginnen.

„Ein Superschüler! Die Vorstellung im Gymnasium wird empfohlen!“ In Handschrift hat eine Lehrerin diese Worte auf die Teilnahmebestätigung für einen Deutsch-Kursus geschrieben, den Armin Sedighi in der Erstaufnahme für Flüchtlinge in Neumünster absolviert hat. Zwei Wochen war der junge Afghane zu dem Zeitpunkt erst in Deutschland. Mit seiner Familie flüchtete der damals 15-Jährige vor dem Krieg aus seiner Heimatstadt Herat – ohne jegliche Deutschkenntnisse.

„Ich dachte, hier wäre Englisch die Amtssprache“, sagt Armin. Er lacht bei der Erinnerung. Mit seinem älteren Bruder Arash (19) sitzt er in seiner Wohnung in Ammersbek, auf dem Tisch liegen Schulbücher und Hefte. Drei Jahre sind seit ihrer Ankunft vergangen. Beide stehen kurz vor dem Abitur, machen im Sommer ihren Abschluss. Armin besucht das Eric-Kandel-Gymnasium in Ahrensburg, Arash die Stadtteilschule Oldenfelde in Hamburg-Rahlstedt.

Ein Abendblatt-Artikel gibt den beiden Brüdern Ansporn

Dass es die Geschwister in so kurzer Zeit so weit geschafft haben, ist wohl ihrem enormen Ehrgeiz zu verdanken – und auch einem Zeitungsartikel aus dem Hamburger Abendblatt. Flüchtlingspatin Gesine Böscke brachte ihnen 2016 als Motivation den Bericht über ein syrisches Mädchen mit, das nach vier Jahren in Deutschland trotz vieler Hindernisse ihr Abitur gemacht hat. Die 19-jährige Roubina sagte dem Abendblatt: „Wenn man wirklich will, kann man alles schaffen.“ Eine Ansicht, die Armin und Arash teilen. Anfangs hätten ihnen viele Menschen gesagt, dass sie das Abitur niemals schaffen würden. Dass sie mit ihren damals 15 und 16 Jahren schon zu alt seien und erst einmal Deutsch lernen müssten. „Aber alles, was denkbar ist, ist auch machbar“, sagt Armin. Ihm sei schon in Afghanistan klar gewesen, dass er später einmal Bauingenieurwesen studieren will. „Und dafür braucht man nun einmal Abitur“, sagt der 18-Jährige. Dieses Ziel habe ihn angetrieben.

Mit seinem unbedingten Willen begeistert er auch Gesine Böscke. Die pensionierte Sport- und Geografie-Lehrerin lernt die Familie Sedighi Anfang 2016 in der Flüchtlingsunterkunft in Ammersbek kennen. „Jeder, der Armin trifft, erkennt sofort sein Potenzial“, sagt sie. „Er hat mir schon beim ersten Gespräch gesagt, dass er auf ein Gymnasium müsse. Ich dachte, ich kann etwas für ihn tun.“

Lehrer geben den Afghanen Nachhilfe

Sie überzeugte ehemalige Kollegen, den Geschwistern Nachhilfe zu geben, insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fachsprachen. Fünf Monate besuchen Armin und Arash eine spezielle DaZ-Klasse (Deutsch als Zweitsprache), in der Kinder mit Migrationshintergrund auf den regulären Unterricht vorbereitet werden. In der Zeit suchen sich beide in Eigeninitiative Oberstufenplätze. Armin wird in Ahrensburg angenommen, Arash geht zunächst zur Anne-Frank-Schule in Bargteheide, wechselt später nach Hamburg. „Am Anfang war es ganz furchtbar“, sagt Armin. Sein Bruder nickt zustimmend, sagt: „Nach einem Monat wollten wir abbrechen und zurück in die DaZ-Klasse, aber das ging nicht.“

Seine erste Deutsch-Klausur hat sich besonders tief in sein Gedächtnis eingeprägt. Die Lehrerin habe die Fragen an die Tafel geschrieben, doch Arash konnte die Schrift nicht entziffern. „Ich habe mich aber nicht getraut, nachzufragen. Ich war damals so schüchtern.“

Arash wollte zuerst „nur“ eine Ausbildung machen

Im Unterschied zu seinem jüngeren Bruder habe er 2016 eigentlich nur ein Jahr zur Schule gehen und danach eine Ausbildung beginnen wollen. Doch dann packte ihn der Ehrgeiz. Er wiederholte die elfte Klasse, lernte und lernte, auch in den Ferien. Nach dem Fachabitur wird Arash ein Freiwilliges Soziales Jahr an der Christophorus-Schule in Hamburg absolvieren, die Zusage bekam er vor wenigen Tagen. Danach möchte er Informatik studieren. „Viele Flüchtlinge denken, sie müssten eine Ausbildung machen. Ich will zeigen, dass man auch ein Studium schaffen kann.“ Anfangs benötigte er in der Schule viel Nachhilfe, inzwischen gibt er einem anderen Schüler in Deutsch und Mathe Unterricht.

Das erste Jahr war auch für Armin am schwierigsten. Danach habe er das Gefühl gehabt, es tatsächlich schaffen zu können. „Und seit diesem Schuljahr bin ich so schnell wie meine Mitschüler“, sagt Armin sichtlich stolz. Neben den Abiturprüfungen bringt er sich zurzeit selbst Gitarrespielen bei und lernt Türkisch, „weil ich Sprachen einfach liebe“.

Arbeitsagentur-Chefin lobt Vorbild-Charakter der Brüder

„Es ist beeindruckend, wie schnell es den beiden jungen Menschen in kürzester Zeit gelungen ist, die deutsche Sprache zu erlernen und nun sogar unmittelbar vor dem Erwerb des Abiturs zu stehen“, sagt Heike Grote-Seifert, Chefin der Arbeitsagentur in Bad Oldesloe. Das zeuge von hoher Anstrengungsbereitschaft und dem unbedingten Willen, sich integrieren und etwas aus dem Leben machen zu wollen. „Sie sind damit ein Vorbild für alle jungen Geflüchteten“, sagt Grote-Seifert. Es müsse natürlich nicht jeder Abitur machen – aber: „Um sich eine dauerhafte Perspektive zu schaffen, sind das Erlernen der deutschen Sprache, ein Schulabschluss und eine qualifizierte Berufsausbildung unerlässlich.“