Bad Oldesloe. Kreis ist bei Leistungen aus Teilhabepaket landesweit Schlusslicht. Nach Kritik will er nun die Bildungskarte einführen.
Sie soll Leistungsempfängern die gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe erleichtern: Der Kreis Stormarn plant nach Kritik aus Bad Oldesloe doch noch eine flächendeckende Einführung der Sodexo-Bildungskarte. Das hat Kreisverwaltungsdirektor Wolfgang Krause dem Abendblatt bestätigt. Bereits vor zwei Jahren war die Einführung einer Bildungskarte auf Kreisebene beschlossen, aber nie umgesetzt worden.
Die Kreisverwaltung begründete das zuletzt mit datenschutzrechtlichen Bedenken – und erntete Kritik. Vor allem aus Bad Oldesloe. Lokalpolitiker hatten die Absage des Kreises nicht ohne Grund beanstandet. Denn zusätzlich zu Hartz IV und anderen Sozialleistungen können finanzschwache Familien Geld aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Landes beantragen, etwa für Vereinsbeiträge oder Lernmittel.
Doch die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass nur sehr wenig Berechtigte die finanziellen Hilfen auch abrufen. Laut einer Untersuchung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ist die Resonanz auf das Teilhabepaket in Stormarn bisher sehr gering. Von knapp 1950 berechtigten Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 15 Jahren erhielten 2017 nur 274 zusätzliche Leistungen. Das sind lediglich 14 Prozent. Damit liegt der Kreis im landesweiten Vergleich abgeschlagen auf dem letzten Platz.
In Bad Oldesloe stellen Linke und CDU Antrag gemeinsam
Die in den vergangenen Wochen in den Oldesloer Gremien hartnäckig geführte Diskussion hat offenbar Eindruck hinterlassen und den Kreis zum Einlenken bewegt. „Ich habe mehrere Gespräche geführt“, sagt Bürgermeister Jörg Lembke. Zuletzt sei ihm mitgeteilt worden, dass der Kreis die Einführung bereits für die zweite Jahreshälfte plane. „Trotzdem wird wohl jede Kommune die nötigen Daten selbst an die Firma Sodexo übermitteln müssen“, sagt Lembke. Bad Oldesloe wird das tun – ob mit oder ohne Segen des Kreises. Der Beschluss in der Sondersitzung war einstimmig und für Cornelia Steinert (Linke) überfällig. „Die Hürden für die Beantragung von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sind so hoch, dass sie keiner in Anspruch nimmt. Betroffene fühlen sich stigmatisiert, und das kann die Bildungskarte ändern“, sagt sie.
Zum weiteren Vorgehen sagt Kreisverwaltungsdirektor Wolfgang Krause: „Wir haben uns noch einmal zusammengesetzt und einen Weg gefunden, wie die Bildungskarte auch datenschutzrechtlich möglich sein wird. Wir werden jetzt mit allen Gemeinden Kontakt aufnehmen.“ Denn alle müssten mitmachen. Alles andere sei wenig sinnvoll, so Krause. Ein „Flickenteppich“ bei der Beantragung von Leistungen soll vermieden werden. Die Kommunen müssten die Bildungskarten ausgeben. Die Auftragsvergabe übernimmt der Kreis. Ob es eine Ausschreibung geben wird oder Angebote eingeholt werden, steht laut Krause noch nicht fest.
Auch Vereinsbeiträge können mit der Karte bezahlt werden
Um die Karte einzuführen, haben die Linken in Bad Oldesloe in der CDU einen Partner gefunden. Die ungewöhnliche Parteien-Konstellation, die ihren gemeinsamen Antrag jetzt zur Abstimmung gebracht hat, ist auch Ergebnis des Ärgers über den Kreis Stormarn. Der ist als Träger der Sozialhilfe zwar für das Bildungs- und Teilhabepaket zuständig, konnte aber seit der Einführung im Jahr 2011 seine schlechte Abrechnungsquote nicht verbessern.
Die Bemühungen dazu wurden nicht besonders vorangetrieben. „Ich halte die Begründung für eine Nebelkerze, der Verweis auf den Datenschutz ist völliger Blödsinn“, sagt Jörn Lucas, stellvertretender Stadtverbandsvorsitzender der CDU in Bad Oldesloe. Eine schlüssige Erklärung für die Verweigerungshaltung habe ihm die Kreisverwaltung nicht liefern können. „Andere Kreise haben die Bildungskarte auch eingeführt, da war das kein Problem“, sagt er. Wenn der Kreis sich querstelle, müsse es Bad Oldesloe selbst machen und Vorbild sein.
Armutsatlas: Bad Oldesloe führt im Kreis
Es ist kein Zufall, dass sich ausgerechnet die Lokalpolitik in Bad Oldesloe so für die Sodexo-Karte einsetzte. Gerade erst hat der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) in Stormarn seinen Armutsatlas vorgestellt. Im kreisweiten Vergleich ist Bad Oldesloe die Hauptstadt der armen Kinder. Demnach lebte 2018 in der Kreisstadt jedes dritte Kind in einer Familie, die Sozialleistungen bezieht. Das sind 1453 von 4392 Kindern. Der Stormarner Durchschnitt liegt bei 17,2 Prozent.
Ingo Loeding, Geschäftsführer des DKSB in Stormarn, begrüßt den Vorstoß aus Bad Oldesloe: „Die Situation verschärft sich immer weiter. Jedes fünfte Kind ist arm, und das in einem der reichsten Kreise in Schleswig-Holstein.“ Er sieht in dieser Entwicklung eine zunehmende Gefahr für die Gesellschaft. Denn ohne Hilfe werden Kinder ausgeschlossen. Dass bei finanzschwachen Familien durchaus Interesse an zusätzlichen Bildungs- und Kulturangeboten bestehe, belege die große Nachfrage nach Unterstützung aus dem DKSB-Familienhilfe-Notfonds. Im Jahr 2018 hat der Kinderschutzbund 56.000 Euro verteilt. Für Essen und Kleidung, aber auch für Leistungen, die eigentlich im Bildungs- und Teilhabepaket enthalten sind, etwa Klassenfahrten oder Freizeitangebote.
Die Bildungskarte ähnelt in ihrer Funktion einer Bankkarte. Leistungsberechtigte bekommen das Geld, dass ihnen über das Bildungs- und Teilhabepaket zusteht, auf eine Art Konto überwiesen. Mit der Karte können dann etwa Vereinsbeiträge oder Ferienfreizeiten bezahlt werden.