Glinde. Am Gymnasium probten am Wochenende 50 Beamte und Rettungskräfte. Das Szenario: Ein Mann mit Langwaffe griff Schüler an.
Es ist ein ruhiger Vormittag in Glinde. Doch um kurz nach 10 Uhr geht in der Leitstelle der Polizei ein Notruf ein: Anrufer melden Schüsse vor einer Schule. Die Rede ist von einer „Lebensbedrohliche Einsatzlage“ – kurz LEBEL. Minuten später sind die ersten Polizisten vor Ort. Für dieses Szenario gibt es ein klares Protokoll: Die Beamten müssen sich blitzschnell einen Überblick verschaffen, Verletzte aus dem Gefahrenbereich bringen, den oder die Täter unschädlich machen – wenn nötig, mit Waffengewalt. Doch der Einsatz an diesem Sonnabend ist glücklicherweise nur eine Übung.
Rund 50 Polizeibeamte waren an der Übung beteiligt
Die Polizisten gehen so vor, als hätte soeben ein schwer bewaffneter Mann in einem Reisebus auf dem Schulparkplatz am Oher Weg um sich geschossen und ein Blutbad angerichtet. Ein solches Szenario ist ein Albtraum auch für die Sicherheitsbehörden. Zunächst gibt es viele unbekannte Faktoren. Gibt es nur einen oder mehrere Täter? Was wollen der oder die Verbrecher, möglichst viele Menschen töten? Wie schwer sind die Zielpersonen bewaffnet? Das alles müssen die Beamten möglichst schnell herausfinden und gleichzeitig die Verletzten aus der Schusslinie bringen, damit sie von Ärzten versorgt werden können. Es geht um Sekunden. „Eine Übung dieser Größenordnung haben wir noch nicht gemacht“, sagt Frank Gauglitz, Sprecher der Polizeidirektion Ratzeburg, die für die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg zuständig ist. Übungen gebe es immer wieder.
Doch diese sei etwas Besonderes, weil die Beamten darauf nicht vorbereitet gewesen seien. „Die Kollegen wussten nur, dass es heute eine Übung geben wird“, so Gauglitz. Über das konkrete Szenario wurde ihnen nichts verraten. Alle der rund 50 beteiligten Polizisten wurden während der normalen Dienstzeiten alarmiert – bei Streifenfahrten oder auf den Dienststellen. Alles sollte so realistisch wie möglich sein. Teil der Übung war, auch die interne Kommunikation und das Zusammenwirken der Polizei mit dem Rettungsdienst und der Feuerwehr zu testen. Alle Stellen hatten Beobachter entsandt. Was sie zu sehen bekamen war, wie ein Erkundungstrupp auf den Parkplatz vorrückte, Sturmgewehre und Maschinenpistolen im Anschlag. In und um den dort abgestellten Reisebus hatte der Täter ein Blutbad angerichtet. Verletzte lagen auf dem Boden, einige schrien vor Schmerzen, andere riefen um Hilfe. Einige Menschen liefen panisch umher.
Hausmeister wurde festgenommen
Der Regisseur des Übungsszenarios hatte eine möglichst unübersichtliche Situation geschaffen, in der die Polizisten auf vieles achten mussten. Nach vorn und hinten abgesichert arbeiteten sich die Beamten dann langsam vor. Am Bus vorbei ging es in Richtung Schulgebäude, wo der Täter verschwunden sein sollte. Wenig später stießen sie auf den Hausmeister, der dann eine Beschreibung des Täters lieferte. Dieser agierte allein: Etwa 1,80 Meter groß, gekleidet mit blauer Latzhose. Der Hausmeister wurde vorübergehend festgenommen, solange sich seine Angaben nicht bestätigten. Denn theoretisch hätte auch er der Täter sein können. Während Polizisten nach und nach die Verletzten retteten, arbeitete sich eine Gruppe aus gut geschützten und schwer bewaffneten Einsatzkräften zum Schulgebäude vor, um die Kollegen dort zu unterstützen und die Räume zu sichern. „Das ist bei einem Gebäude dieser Größenordnung nicht einfach“, sagt Polizeisprecher Frank Gauglitz. Es müsse immer sichergestellt werden, dass die bereits gesicherten Räume auch sicher bleiben. Hinzu kommt: In jedem der Räume oder Flure könnte der Schütze das Feuer auf die Beamten eröffnen oder beginnen, Geiseln zu erschießen.
Schminke und Kunstblut sorgen für nötiges Adrenalin
Ein Hintergrund der Übung ist, dass auch in Stormarn immer wieder Amokläufe an Schulen angekündigt wurden. Bislang aber stellten sich die Meldungen immer als Fehlalarme heraus. Einen bewaffneten Angriff gab es bisher nicht. Damit die Polizei aber darauf vorbereitet ist, wurden am Sonnabend zwei ähnliche Szenarien geprobt. Im Anschluss an die Übungen gab es Nachbesprechungen, die Erkenntnisse aus dem Testlauf wurden aufgearbeitet. Bei der Übung hatten die Beamten die Lage nach knapp eineinhalb Stunden unter Kontrolle. Nach Schüssen in und am Bus hatte sich der Täter im Schulgebäude verschanzt. Um 11.20 Uhr schalteten Polizisten den Amokläufer aus.
Mit Schminke, Kunstblut und schauspielerischem Talent stellten Mimen das Drama sehr realistisch dar. „Das ist sehr wichtig. Denn eine Übung soll einem echten Szenario möglichst nahe kommen, es sorgt für das nötige Adrenalin“, sagt Holger Meier von der Polizeidirektion Ratzeburg. Das übernahmen Mitarbeiter von Feuerwehr und Rettungsdiensten als Statisten. „Man kann auch Lehrgänge belegen, aber die meisten von uns machen das in ihrer Freizeit“, berichtete Julia Siewers, die das Team für die Übung zusammengestellt hatte. „Alle hier haben einen medizinischen Hintergrund oder zumindest erste Erfahrungen. Das ist sehr hilfreich“, so Siewers. Auch Paula Checinski zählte zu den Statisten, mimte ein Opfer des Anschlags-Szenarios. An diesem Tag hatte sie eine schwere Kopfverletzung aufgeschminkt bekommen. Zum Abendblatt sagte sie hinterher: „Ich habe das auch schon für die Berufsfeuerwehr in Hamburg gemacht. Aber so eine Polizeilage ist etwas Besonderes.“