Hamburg. Elite-Polizisten aus ganz Deutschland trainierten den Terror-Ernstfall in der HafenCity. Erstmals Rettung von vielen Verletzten geübt.
Schreiende, blutende Menschen, deren Kleidung in Fetzen hängt. Schwer bewaffnete Elite-Polizisten, die mit Waffen im Anschlag in Richtung Zugang der U-Bahn-Station HafenCity Universität rennen. Die Szenen, die sich am Dienstagmorgen an der Überseeallee abspielen, wirken verstörend echt. Die Polizei hat eigens große Plakate angebracht, die darauf hinweisen, dass es sich „nur“ um eine Übung handelt.
Unter dem Codenamen „Samariter“ übten Spezialeinheiten aus ganz Deutschland, darunter die legendäre GSG 9 der Bundespolizei, den Terror-Ernstfall. Der Codename war treffend gewählt. Erstmals wurde in so großem Stil die Rettung von vielen Verletzten geübt.
Das Szenario: In einer U-Bahn gibt es eine Explosion. Der Zug fährt in den Bahnhof HafenCity Universität ein. Dort versuchen die Terroristen weiter, Menschen zu töten. Spezialeinsatzkräfte greifen ein. Sie müssen nicht nur die Terroristen ausschalten, sondern sich auch um die lebensgefährlich verletzten Opfer kümmern, während um sie herum noch geschossen wird.
Mit Waffen im Anschlag die Treppe herunter
Um 9.20 Uhr treffen die Einsatzkräfte ein. Vorneweg fährt der „Survivor“ des Hamburger SEK. Das gepanzerte Fahrzeug ist voll ausgerüstet mit Räumschild und Sturmrampe. Als es hält, springen Beamte der Spezialeinheit heraus. Sie sichern in alle Richtungen, rennen dann zu einem der beiden U-Bahn-Eingänge. Mit Waffen im Anschlag geht es die Treppe herunter.
Große Anti-Terror-Übung in Hamburg
Gleich danach springen Beamte der GSG9 aus ihren Fahrzeugen. Immer zu zweit laufen sie mit Waffen im Anschlag über die zweispurige Fahrbahn zum zweiten U-Bahn-Abgang. Weitere Spezialeinheiten folgen. Was im U-Bahnhof passiert, der mit Pyrotechnik präpariert wurde, um ein realistisches Szenario zu bieten, bleibt geheim. Im Gegensatz zur Anti-Terrorübung in Lübeck will man keine Außenstehenden die Übung beobachten lassen. Geheime Taktiken, so heißt es, würden angewandt.
Erst als Verletzte – teils auf Tragen, teils auf speziellen Tragedecken – aus den Zugängen gebracht werden, wird die dramatische Inszenierung deutlich. Die Hamburger Polizei hat eine aus England stammende Gruppe engagiert, in der Körperbehinderte sind, die keine Beine oder Arme haben und für vergleichbare Übungen europaweit als Darsteller für Amputationsverletzungen gebucht werden. Sie spielen, blutig geschminkt, ihre Rolle perfekt, stöhnen und wälzen sich.
Schwerverletzte müssen versorgt werden
„In das Szenario sind die Erfahrungen der Terroranschläge der letzten Jahre geflossen“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. Die haben gezeigt, dass Sicherheitskräfte in der Lage sind, mit Terroristen fertig zu werden. Schwerverletzte blieben aber unbehandelt, weil Rettungskräfte sich nicht in den Gefahrenbereich trauten.
Genau hier setzt man an. „Es galt, sich mit diesem Szenario auseinanderzusetzen“, sagt Zill. „Schwerpunkt war die Evakuierung der Passanten und die sofortige Erste Hilfe für die Verletzten“, so Zill. „Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Polizeikräfte zwar die terroristischen Täter bekämpft haben, dass aber eine Vielzahl von Verletzten auf offener Straße liegen blieb und dass weder Feuerwehr noch Rettungsdienst wegen der weiter bestehenden Gefahr diese Menschen erreichen konnte.“
Einteilung nach Schwere der Verletzung
Hier hat man nachgebessert. „Die Spezialeinheiten sind inzwischen entsprechend ausgebildet worden“, sagt Zill. „Sie haben Beamte aus ihren Reihen zu Rettungssanitätern geschult. Damit sind sie in der Lage, Verletzungsmuster zu erkennen, sie zu klassifizieren und auch sofort lebenserhaltene Maßnahmen einzuleiten. Verbunden ist das mit einem dreistufigen System. Man versucht zunächst, die Verletzten aus dem akuten Gefahrenbereich in einen zumindest halbwegs gesicherten Bereich zu bringen. Dort werden sie gesammelt und nach der Schwere der Verletzung eingeteilt.“
Dort soll auch die erste Versorgung stattfinden. Erst außerhalb des Bahnhofs, außerhalb der Gefahr, werden die Verletzten an die Rettungskräfte der Feuerwehr übergeben. Auch das wird geprobt.
Die Feuerwehr ist mit rund 120 Einsatzkräften an der Übung beteiligt. „Für uns ist das eine ganz wichtige Übung, um unsere Einsatzkonzepte, die nach den Erfahrungen der letzten Terroranschläge in Europa überarbeitet wurden, zu testen“, sagt Feuerwehrsprecher Torsten Wesselly. „Eine Erkenntnis ist, dass Verletzte bei einem Terroranschlag möglichst schnell behandelt werden müssen. Das kann nicht durch den Rettungsdienst geschehen, sondern muss im akuten Fall durch die Spezialkräfte der Polizei passieren, damit Schwerstverletzte überhaupt eine Überlebenschance haben. Erst im gesicherten Bereich werden sie an den Rettungsdienst übergeben. Auch das war ein wichtiger Teil der Übung.“
Spezialeinheiten aus allen Bundesländern sind dabei
An diesem nebeligen Novembermorgen sind Spezialeinheiten aus allen Bundesländern dabei, auch vom Zoll. Rund ein Jahr war die Übung, die aus insgesamt vier Teilen besteht und bei der auch die Anfahrt durch den morgendlichen Berufsverkehr geübt wird, vorbereitet worden. „Wir haben uns darum beworben“, sagt Polizeipräsident Ralf Martin Meyer, der wie Innensenator Andy Grote als Beobachter vor Ort war. Hamburg bietet die „urbane Umgebung“, die für solche Szenarien wahrscheinlich ist.
„Wir haben diese Übung durchgeführt, weil wir natürlich auch wollen, dass unsere Einsatzkräfte davon profitieren“, sagt Polizeisprecher Zill. Das wird auch noch in den kommenden Wochen passieren, wenn die minutiös auf Film festgehaltene Übung ausgewertet wird. „Wir wollen uns bestmöglich vorbereiten“, so Zill. „Wir hoffen natürlich, dass dieser Tag nie eintritt. Aber wenn er eintritt, wollen wir gerüstet sein.“