Bad Oldesloe/Reinbek. Kreisweit besuchten im vergangenen Jahr mehr als 4400 Teilnehmer Kurse des Deutschen Roten Kreuzes. So viele wie nie zuvor.

Können Sie unfallfrei eine Dose Cola öffnen? Dann können Sie auch Leben retten. Davon ist Notarzt Frank Böttcher überzeugt. „Jeder, wirklich jeder, kann sich Grundkenntnisse aneignen, die andere im Ernstfall vor dem Tod bewahren“, sagt der 55-Jährige. Seit 25 Jahren ist er regelmäßig mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs, 18 davon auf Stormarns Straßen. Seine Basisstation ist die Rettungswache in Reinbek, gleich neben dem Krankenhaus St. Adolf-Stift.

Dort arbeitet Frank Böttcher auch als Oberarzt in der Anästhesie. Im Schnitt rückt der Rettungsdienst aus der Reinbeker Wache rund 500 Mal pro Monat aus, in etwa 20 Fällen davon ist der Patient beim Eintreffen eigentlich schon tot. Dann hilft nur noch eine Reanimation. Und zwar schnellstmöglich. „Denn in jeder Minute, die nicht wiederbelebt wird, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent“, sagt Böttcher.

Bei der Rettung können Sekunden zählen

Frank Böttcher, Anästhesist im Reinbeker Krankenhaus St. Adolf-Stift, arbeitet seit 25 Jahren auch als Notarzt für den Rettungsdienst-Verbund Stormarn.
Frank Böttcher, Anästhesist im Reinbeker Krankenhaus St. Adolf-Stift, arbeitet seit 25 Jahren auch als Notarzt für den Rettungsdienst-Verbund Stormarn. © Verena Künstner | Verena Künstner

Häufig erlebe der Notarzt, dass selbst Angehörige des Patienten nicht zu Erste-Hilfe-Maßnahmen greifen. „Sie stehen daneben und warten darauf, dass die Rettung eintrifft.“ Währenddessen verstreichen wertvolle Sekunden, die zwischen Leben und Tod entscheiden können. „Natürlich stehen vor allem nahe Angehörige während eines Notfalls unter Schock“, weiß Böttcher. Dazu komme die Angst, etwas falsch zu machen. Doch gerade bei einem plötzlichen Herzstillstand, der jeden zu jederzeit treffen kann, gäbe es nur einen fatalen Fehler: nichts zu tun. „Ich will den Menschen die Angst nehmen“, sagt Sabine Bösger. Sie ist Rettungsassistentin, fuhr jahrelang bei Einsätzen mit. Seit 2014 arbeitet die 39-Jährige hauptamtlich als Ausbilderin beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Stormarn. In insgesamt 355 Kursen haben Bösger und ihre Kollegen im vergangenen Jahr mehr als 4440 Teilnehmer kreisweit in Erster Hilfe geschult. So viele wie nie zuvor. „Ein absolut positiver Trend, der sich gern noch weiter steigern darf“, sagt die Ostholsteinerin.

Das beste Mittel gegen Ängste und Unsicherheiten seien Aufklärung und Übung. Beides vermittelt Bösger den Kursteilnehmern, zu denen neben Führerschein-Neulingen überwiegend die sogenannten Betrieblichen Ersthelfer gehören. Sie übernehmen nach einer speziellen Ausbildung bei Unfällen innerhalb ihres Betriebs die medizinische Erstversorgung. Alle zwei Jahre müssen sie ihr Wissen auffrischen.

Teilnehmerin hat schon Erfahrung mit Notfällen

Eine Kursteilnehmerin beatmet „Little Anne“, die Reanimations-Übungspuppe des Deutschen Roten Kreuzes.
Eine Kursteilnehmerin beatmet „Little Anne“, die Reanimations-Übungspuppe des Deutschen Roten Kreuzes. © Verena Künstner | Verena Künstner

Am jüngsten Lehrgang dieser Art nahm auch Marion Dohse teil. Die Oldesloerin arbeitet bei den Stadtwerken und hat sich vor zwölf Jahren bereit erklärt, Ersthelferin zu werden. Den einen oder anderen betrieblichen Einsatz hatte sie schon. „Das waren bisher zum Glück nur Kleinigkeiten“, sagt die Büroangestellte. Mehr als ernst wurde es jedoch schon einmal außerhalb ihres Arbeitsplatzes. Dohse wurde Zeugin eines Autounfalls, bei dem eine Frau lebensgefährliche Verletzungen erlitt. „Wir haben geschafft, sie zu reanimieren“, sagt die Oldesloerin, die davon überzeugt ist, dass sie ohne ihre bis dato geleisteten Erste-Hilfe-Kurse nicht sofort richtig reagiert hätte. „Dass ich wusste, was zu tun ist, hat mir Sicherheit und Selbstvertrauen gegeben. Ich habe nicht lange überlegt, sondern mir ins Gedächtnis gerufen, welche Maßnahmen wir trainiert haben.“

Dass eine regelmäßige Auffrischung des Gelernten sinnvoll ist, beweisen einige Situationen während der praktischen Fallbeispiele. Beim Demonstrieren der stabilen Seitenlage ist sich eine Teilnehmerin nicht sicher, welches Knie zuerst aufgestellt wird. Während einer anderen Übung vermittelt Bösger neue Kenntnisse zum korrekten Anlegen eines Druckverbands. „Eigentlich müsste solch ein Auffrischungskurs bei jedem alle zwei, drei Jahre im Kalender stehen“, sagt die Kursleiterin. „Es kann immer passieren, dass wir Zeuge eines Notfalls werden. Und jeder von uns kann in die Lage kommen, Hilfe zu brauchen.“

Neue App aktiviert Ersthelfer in der direkten Umgebung

Gäbe es ein flächendeckendes Netz aus gut geschulten Ersthelfern, könnten in Deutschland jährlich rund 5000 Menschenleben gerettet werden. So wie das des Mannes, zu dem Notarzt Frank Böttcher kürzlich gerufen wurde. „Als wir am Einsatzort ankamen, führte ein Nachbar bereits die Herzdruckmassage aus. Nur deshalb hat der Patient überlebt.“ Alarmiert wurde der Nachbar durch die App ‘Meine Stadt rettet’ (www.meine-stadt-rettet.de), die das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein mitentwickelt hat. Parallel zum Rettungsdienst-Alarm aktiviert die App Ersthelfer in der direkten Umgebung. Der Zweck: die bei einem Herzstillstand kritische Zeitlücke bis zum Eintreffen der Mediziner zu überbrücken.

Seit Oktober nutzt die Integrierte Regionalleitstelle Süd in Bad Oldesloe das System. Mit steigendem Erfolg. „Im Januar waren bei 55 Alarmierungen in 25 Fällen Ersthelfer vor Ort. Das ist eine super Quote“, sagt Sebastian Wenk. Er ist Einsatzsachbearbeiter der Leitstelle, die Notrufe aus den Kreisen Stormarn, Herzogtum Lauenburg und Ostholstein annimmt und koordiniert. „Bisher haben die meisten registrierten Nutzer einen medizinischen Hintergrund oder sind bei der Feuerwehr “, so Wenk. Mitmachen könne jedoch jeder, der einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht hat und dieser nicht länger als zwei Jahre her ist. „Je mehr Lebensretter es gibt, desto sicherer kann sich der Einzelne fühlen“, sagt Sabine Bösger. „Es gibt keinen einzigen Grund, nicht zu helfen.“

Notfall-Tipps

Bei Unfällen im Straßenverkehr: Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr, während Sie die Unfallstelle absichern. Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Situation und rufen Sie den Rettungsdienst (112). Beziehen Sie wenn möglich andere Personen in die Hilfsmaßnahmen mit ein. Sprechen Sie den Verletzten in ruhigem Tonfall an, sagen Sie ihm, dass Hilfe unterwegs sei. Eine Decke schützt vor Auskühlung. Falls Sie bei dem Verunfallten keine Atmung mehr feststellen: Starten Sie eine Herzdruckmassage, indem Sie 100 bis 120 Mal pro Minute den Brustkorb des Opfers kräftig drücken. Wer sich eine zusätzliche Beatmung zutraut, führt sie im 30:2-Rhythmus durch: 30 Mal drücken, zwei Mal beatmen. Bei Notfällen im häuslichen Umfeld: Rufen Sie den Rettungsdienst (112). Schildern Sie die Symptome, beantworten die Fragen und setzen mögliche Anweisungen um. Sorgen Sie dafür, dass der Hauseingang bei Dunkelheit gut beleuchtet ist und Hausnummern bereits von Weitem erkennbar sind. Das erspart den Rettungskräften unnötiges Suchen. Wer seine Erste-Hilfe-Kenntnisse auffrischen will, wendet sich an das DRK Stormarn unter Telefon 04531 / 17 81 14. Das Kursangebot und die Termine finden Sie auch im Internet unter www.drk-stormarn.de.