Glinde. Vorhaben am Glinder Gleisdreieck wird für Unternehmen Semmelhaack immer teurer, weil Klage von Anwohnern für Verzögerung sorgt.

Vielerorts hierzulande machen Anwohner gegen Bauprojekte mobil und verhindern diese zum Beispiel mithilfe von Bürgerentscheiden. Sie haben Angst vor Veränderungen in ihrem direkten Umfeld. In Glinde verzögert sich das Sozialwohnungsprojekt auf dem Areal Altes Gleisdreieck im Zentrum seit Jahren. Dort haben Protestler ein Normenkontrollverfahren initiiert. Andere Aktionen, die das Vorhaben in die Länge ziehen, waren vorausgegangen.

Für die Stadt ist das ärgerlich, weil sie dringend bezahlbaren Wohnraum benötigt. Das gilt auch für das zuständige Unternehmen Semmelhaack. Die Firma – seit 2016 anteilig auch Stiftung – kostet das Verharren in der Warteschleife nach eigenen Angaben bis heute rund drei Millionen Euro.

Hartmut Thede, Leiter der Projektentwicklung beim Unternehmen Semmelhaack, auf dem Areal im Zentrum von Glinde. Derzeit ruhen die Arbeiten, das Waldstück wurde bereits gerodet.
Hartmut Thede, Leiter der Projektentwicklung beim Unternehmen Semmelhaack, auf dem Areal im Zentrum von Glinde. Derzeit ruhen die Arbeiten, das Waldstück wurde bereits gerodet. © René Soukup | René Soukup

„Im schlimmsten Fall können wir erst 2022 anfangen. Dann wird die Summe wegen der Baukostensteigerung noch höher ausfallen“, sagt Hartmut Thede (67), Leiter der Projektentwicklung beim Unternehmen mit Sitz in Elmshorn. Ursprünglich war ein Investitionsvolumen in Höhe von 28 Millionen Euro vorgesehen: für 89 Wohnungen, davon 62 öffentlich gefördert, und 30 Reihenhäuser zur Miete. Thede: „Auch der Staat ist ein Kostentreiber, wenn er zum Beispiel neue Energiesparverordnungen vorgibt wie zuletzt 2016.“

Initiative machte mobil gegen das Projekt

In jenem Jahr sollten die Arbeiten auf dem 2,1 Hektar großen Areal eigentlich starten. Die Politik steht geschlossen hinter dem Projekt. Allerdings machte eine Bürgerinitiative mobil. Sie wollte das Waldstück erhalten und führte 2015 Beschwerde bei der Kommunalaufsicht. Ihr Vorwurf: Die Stadt habe ein 12.405 Quadratmeter großes Grundstück auf dem Gelände unter Marktwert an den Investor verkauft. Der musste rund 500.000 Euro nachzahlen, obwohl der Gutachterausschuss des Kreises den Preis zuvor so festgesetzt hatte. Doch das Gremium kam später zu einer anderen Meinung, wertete den Bereich von Bauerwartungsland zu Bauland auf.

Daraufhin schmiss Semmelhaack die Planungen um, verwarf die angedachten 153 Wohnungen mit 60-prozentigem öffentlich geförderten Anteil wegen fehlender Wirtschaftlichkeit. Die Parteien stimmten dem Kurswechsel zu und schluckten das Abspecken bei den Sozialwohnungen.

Anwohner ließen aber nicht locker und gingen juristisch gegen die Stadt wegen des Bebauungsplans vor. Im Eilverfahren wurde eine Normenkontrollklage vom Oberverwaltungsgericht in Schleswig abgewiesen. Eine Entscheidung im Hauptverfahren steht noch aus. „Bis dahin kann es noch drei Jahre dauern“, sagt Thede. Das ist für Semmelhaack ein Problem: Die Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH) hat für das Projekt ein zinsgünstiges Darlehen zugesagt, gibt das Geld aber nicht frei, solange das Grundstück beklagt wird. Insofern muss sich das Unternehmen in Geduld üben.

Anwohner handeln eigennützig

„Das Verhalten der Bürger ist zwar legitim. Allerdings wird hier das Recht genutzt, um eigene Interessen vor der Haustür durchzusetzen. Die gesellschaftliche Notwendigkeit wird dabei ausgeklammert“, kritisiert Bürgermeister Rainhard Zug. Er ist der Ansicht, dass die Anwohner den Protest spätestens nach der Niederlage im Eilverfahren hätten beenden müssen. „Die Bürgerinitiative verdrängt Menschen, deren Wohnung aus der Mietpreisbindung fällt. Das ist nicht hinnehmbar“, sagt der Verwaltungschef.

In den 1970er-Jahren gab es in Glinde noch rund 1900 Sozialwohnungen. Derzeit sind es 264. Am Holstenkamp entstehen zwar demnächst 39 Einheiten mit günstigen Mieten, doch das reicht selbst bei einem Zusammenrechnen mit dem Semmelhaack-Projekt nicht aus, um dem Bedarf nachzukommen. „Wir haben auf unserer Anmeldeliste 300 Menschen registriert“, sagt Thede, der das Verhalten der Kläger so beschreibt: „Das hat nichts mehr mit Rationalität zu tun, sondern ist aus meiner Sicht rein emotional gesteuert.“ Thede ist seit mehr als 30 Jahren im Geschäft, sagt: „So etwas wie hier am Gleisdreieck habe ich noch nicht erlebt.“ Er spielt damit auch auf Sabotage an. In der Vergangenheit hatten Unbekannte gleich dreimal Bohrmarkierungen während der Vorarbeiten aus dem Boden gerissen, diese mitunter in ein Regenrückhaltebecken befördert. Den Schaden beziffert Thede auf 50.000 Euro. Die Bürgerinitiative hat sich von diesen Aktionen ausdrücklich distanziert.

Mieten zwischen 6,10 und elf Euro kalt pro Quadratmeter

Inzwischen ist das Waldstück gerodet, 25.000 Kubikmeter Boden müssen noch abtransportiert werden. Seit Monaten schauen Spaziergänger auf Brachland samt Bauzaun. An diesem Anblick wird sich so schnell nichts ändern. „Selbst bei einem zeitnahen Urteil benötigen wir sechs Monate Vorlauf, um mit dem Bau zu beginnen“, sagt Thede und begründet das mit den vollen Auftragsbüchern der Handwerksbetriebe. Im März will Semmelhaack das Aufforsten der Ersatzfläche am Papendieker Redder vorbereiten. Eine Ausstiegs-Strategie ob der Verzögerung hat die Firma nicht. „Wir würden die Bebauung des Areals auch ohne Förderung der Investitionsbank umsetzen“, so Thede zum Abendblatt. Für Sozialwohnungen sollen Mieter 6,10 oder 7,20 Euro kalt pro Quadratmeter zahlen, bei den frei finanzierten zwischen 9,50 und elf Euro. Die Wohnungen sind bis zu 80 und Reihenhäuser 110 Quadratmeter groß.

Das Unternehmen Semmelhaack hat bundesweit 23.000 Wohnungen im Bestand, dazu 41 Pflegeheime sowie Gewerbeimmobilien. In Stormarn umfasst das Portfolio 600 Einheiten, die sich auf Reinbek, Glinde, Barsbüttel und Trittau verteilen. Vorzeigeobjekt ist ein Mehrgenerationenquartier in Elmshorn. Ein solches mit 160 Wohnungen ist in diesem Jahr auch in Bargteheide geplant, dazu 300 Einheiten in Trittau sowie 80 Seniorenwohnungen in Oststeinbek nahe der Feuerwache.