Reinbek. Hanna Barthels hat 14 Jahre lang in dem Raum gearbeitet, in dem die höchsten Werte gemessen wurden. Nun schildert sie ihre Gefühle.

Hanna Barthels strahlt Ruhe aus, trotz allem. Die Diplom-Pädagogin ist Schulsozialarbeiterin am Reinbeker Schulzentrum, das wegen Asbestfunden geschlossen wurde. Seit Mittwoch weiß sie, dass in ihrem Arbeitsraum die höchste Konzentration von Asbestfasern gemessen wurde: 13.130 pro Kubikmeter Raumluft. Ab einem Wert von 1000 Fasern gilt sofortiger Handlungsbedarf.

An Blicken der Kollegen spürte sie, das etwas nicht stimmt

Die Kollegen wussten es vor ihr. „Ich habe an ihren Blicken gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, sagt die 52-Jährige. Als sie die Werte von ihrem Vorgesetzten Ulrich Gerwe erfuhr, sei sie wie paralysiert gewesen. „Man fühlt nichts, steht unter Schock“, sagt sie. Aber hysterische Reaktionen passen nicht zu ihr. Obwohl sie diejenige ist, die es am schlimmsten erwischt hat, will sie Eltern, Lehrer und Schüler beruhigen, versucht andere aufzurichten. Sie sagt: „Das ist mein Beruf, ich habe das gelernt.“ Auch wenn ihr manchmal sorgenvolle Gedanken kommen, tröstet sie sich damit, dass alles für sie getan wird. „Ich habe Juristen in der Familie. Die waren beruhigt, als ich erzählt habe, was die Stadt alles unternimmt.“

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Ihre Unterlagen und der Computer werden spezialgereinigt

Der Raumplan mit den jeweiligen Mess-Ergebnissen
Der Raumplan mit den jeweiligen Mess-Ergebnissen © Stadt Reinbek | Stadt Reinbek

Der Raum, in dem sie seit 14 Jahren arbeitet, ist versiegelt. An ihre Unterlagen und den Computer kommt sie nicht heran. Alles muss spezialgereinigt werden. Hanna Barthels hat kein Büro, keine Arbeitsmittel mehr. Doch ihre Arbeitskraft wird gebraucht. Eltern, Kollegen und Schüler haben Fragen, Ängste. Andauernd klingelt ihr Mobiltelefon. Sie fährt zu den Ersatz-Schulstandorten nach Wentorf, wohin ein Großteil der Schüler ausgelagert wurde. Sie begleitet eine neunte Klasse zum Unterricht in eine Werkstatt, ist am Infopoint im Lehrerzimmer oder auf dem Schulhof präsent. „Ich rede mit den Schülern, wo ich sie treffe“, sagt die Schulsozialarbeiterin. Auch die Kollegen der Grundschule Klosterbergen und des Gymnasiums haben Hilfe angeboten. „Doch das Problem bleibt, wo treffen wir die Schüler? Es ist schwierig, unsere Arbeit zwischen Tür und Angel zu tun“, sagt Hanna Barthels.

Die Stadt bot der Pädagogin psychologische Betreuung an

Wäre jetzt Sommer, sie würde sich unter einen Sonnenschirm auf den Schulhof setzen, damit die Kinder zu ihr kommen können. Die Stadt sucht nach geeigneten Räumen. Auch für die Pädagogen, die kein Lehrerzimmer mehr haben. Ein Büro im Rathaus sei ihr angeboten worden. „Aber da wäre ich ja auch weit weg für die Kinder.“ Von ihrem Arbeitgeber, für den sie seit 26 Jahren arbeitet, fühlt sie sich gut betreut. Die Stadt tue alles Erdenkliche. Habe sich umgehend um einen Termin im arbeitsmedizinischen Zentrum für sie bemüht. Die Unfallkasse informiert und ihr psychologische Betreuung angeboten. Kathrin Schöning, Leiterin des Amtes für Bildung und Stadtleben, sei „ganz wild hinterher“, dass es den städtischen Mitarbeitern gut gehe, sagt Hanna Barthels und ergänzt: „Ich habe keinen Grund zur Klage, auch juristisch nicht.“

Diejenigen, die „das Ganze verbockt haben“, seien ja heute alle nicht mehr da. Und Jammern bringe nichts. Auch Panik helfe niemandem. Es gelte, sachlich zu bleiben, Hilfestellung zu suchen und Lösungen zu finden: „Das ist das Einzige, was uns jetzt hilft.“ Diese Einstellung vertritt sie auch gegenüber Eltern und Kollegen, sagt: „Wenn hier jemand auf den Putz hauen darf, dann ich. So lange ich es nicht tue, sollten die anderen es auch lassen.“

Für nächste Woche hat sich eine Expertin aus Kiel angekündigt

Dass die Lehrer Ängste haben und eine Klage erwägen, könne sie verstehen. Allerdings entsprächen die Werte im Gemeinschaftsschultrakt bisher der Norm. Sich aufzuregen, dazu gebe es dort derzeit nur begrenzt Grund. Die Werte im Förderzentrum, wo sich auch ihr Büro befindet, seien dagegen „unterirdisch“. In der Gemeinschaftsschule sollten daher alle tief durchatmen und weitermachen, findet sie. Das Stimmungsbild bei den Lehrern sei unterschiedlich, von „nicht so schlimm“ bis zu großen Ängsten sei alles vorhanden. Für nächste Woche habe sich eine Fachfrau vom Gesundheitsamt aus Kiel angesagt, die Gespräche mit den Lehrkräften führen will.

Trotz ihrer positiven Einstellung ist die Belastung für die 52-Jährige groß. Die Kollegen fragen sie ständig, wie es ihr geht. Ohne Arbeitsplatz und Rückzugsort in der Schule kommt sie nicht zur Ruhe. Es werde für sie und die anderen Betroffenen langfristig auch keine Sicherheit geben, fürchtet Hanna Barthels. Ob die eingeatmeten Asbestfasern in ihrem Körper irgendwann nach Jahren eine Krankheit auslösen werden, das könne heute niemand sagen. „Diese Nicht-Greifbarkeit macht die meisten Ängste aus. Und die werden die nächsten zehn, 20 Jahre weiter mitlaufen – das wird nicht aufhören. Das ist das Problematische für alle Beteiligten, das wir es mit einer Schleichkrankheit zu tun haben.“

Ein Gespräch mit einer Ärztin beruhigte die Pädagogin etwas

Auch wenn die Bildungsstätte neu gebaut würde – alle, die in diesem Gebäude gearbeitet haben, lasse die Vorgeschichte nicht mehr los. Das sei viel belastender als sich einer Situation zu stellen, die etwa mit einer Operation wieder geheilt werden könne. Hanna Barthels atmet tief durch, lächelt und sagt: „Ich muss sehen, wie lange meine Contenance noch steht.“ Am Freitag hatte sie einen Termin im Arbeitsmedizinschen Zentrum Reinbek/Glinde, seitdem sei sie etwas beruhigter. Ihr wurde gesagt, dass man Asbestfasern auch wieder ausatmen könne. Und dass der Körper in der Lage sei, sie zu verarbeiten. In ihrem Fall sei die Belastung durch Asbest zudem deutlich niedriger als die von Fachkräften in der Industrie vor dem Asbestverbot in 1990-er Jahren.

Sowohl die Arbeitsmedizinerin als auch das Gesundheitsamt des Kreises hätten geraten, Betroffene nicht einem belastenden Lungenröntgen auszusetzen, sondern bei Bedarf einen Lungenfunktionstest zu machen. Zunächst sollten sie einen Hausarzt zu Rate ziehen. Hanna Barthels sagt: „Ich bin jetzt etwas entspannter.“ Das ist gut so, denn am Montag wird sie wieder am Ersatzschulstandort Wentorf gebraucht.