Reinbek. Messungen am Schulzentrum Mühlenredder ergaben erhöhte Werte. Gebäude mindestens zehn Tage geschlossen. Wie kann unterrichtet werden?
Mittwochmorgen, 9.30 Uhr. Nichts ist wie sonst im Reinbeker Schulzentrum am Mühlenredder. Pädagogen, die späteren Dienstbeginn haben als zur ersten Stunde und auf dem Weg ins Lehrerzimmer sind, werden von Dirk Böckmann, dem Leiter der dort ansässigen Gemeinschaftsschule, zurückgepfiffen. „Halt, da kann keiner mehr rein. Das Schild wird gleich angebracht“, ruft der 50-Jährige. Jetzt ist also auch noch der Verwaltungstrakt gesperrt im Erdgeschoss, nachdem das auf die Räume im Gebäude, in denen die Jungen und Mädchen lernen, schon seit dem Vorabend zutrifft. Grund ist der Fund von krebserregenden Asbestfasern im Vorfeld der geplanten Sanierung in zwei Klassenräumen.
Gemessen wurden nach Angaben des Bürgermeisters Björn Warmer zwischen 1000 und 3000 Fasern pro Kubikmeter Luft. Nach den Richtlinien besteht damit „sofortiger Handlungsbedarf“. Sofort wurde daraufhin ein Krisenstab mit den Schulleitungen installiert, dem später auch Hausmeister und die beiden Schulbüros beitraten. In dem Gebäude ist neben der Gemeinschaftsschule auch die Amalie-Sieveking-Schule beheimatet, ein sonderpädagogisches Förderzentrum. Rund 770 Personen inklusive Lehrkräfte sind dort normalerweise vor Ort.
Krisenteam muss Schulbetrieb umorganisieren
Am Tag nach den Asbest-Funden ist es jedoch leerer. Mehrere Klassen inklusive der kompletten Oberstufe sind daheim geblieben, andere ausgelagert und in der Sporthalle der gegenüberliegende Grundschule untergebracht. Böckmann und seine Mitstreiter im Krisenteam mussten kurzfristig den Schulbetrieb umorganisieren und entscheiden, welche Klassen wo Unterricht haben.
Bei der 7b legten sich die Verantwortlichen auf einen Umzug in die Container vor dem Schulgebäude fest. Acht sind dort installiert, auch das Lehrerzimmer wurde kurzfristig dorthin verlegt. Auf dem Hof spielen Kinder, sie lachen. Doch Gedanken machen sie sich auch, ob der neuen Situation. Eine 13-Jährige sagte dem Abendblatt: „Ich hoffe, es wird nichts passieren. Ich habe schon ein bisschen Angst.“
Dieses Wort will Dirk Böckmann nicht in den Mund nehmen. Er sagt: „Ich war überrascht von den Funden, im Moment überwiegt der Organisationsdrang.“ Der Mann, der seit 2015 an der Spitze der Gemeinschaftsschule steht, wird den Schülern und deren Eltern sagen, dass in dieser Woche keine Normalität mehr einkehrt. Denn derzeit werden die mehr als 50 Räume von einer Fachfirma für Schadstoffsanierung gemessen. „Das dauert mehrere Tage inklusive der Auswertung“, sagt Bürgermeister Warmer. „Vor Montag, dem 17. Dezember, werde ich das Gebäude nicht öffnen.“ Außerdem solle ein Ingenieur die Ursache suchen.
In Deutschland ist der Einsatz von Asbest seit 1995 endgültig verboten, früher wurde es aber in einer Vielzahl von Produkten am Bau oder im alltäglichen Leben verwendet. Eine Gefahr besteht vor allem, wenn asbesthaltige Bauteile beschädigt oder bearbeitet werden, sodass die Fasern freigesetzt werden. In der Raumluft, auf Oberflächen und im Hausstaub sollten Asbestfasern im Idealfall gar nicht nachweisbar sein. Über 200 Fasern pro Kubikmeter Raumluft gelten als deutlich auffällig.
Verwaltung fragt bei Gesundheitsministerium wegen Gefahr an
Laut Warmer hat Bauamtsleiter Sven Noetzel am späten Dienstagnachmittag verschiedene Behörden angerufen, darunter das Gesundheitsministerium, um Kenntnis über die Gefahren der Funde zu erfahren. „Zu diesem Zeitpunkt konnte aber keiner eine belastbare Aussage machen“, so der Verwaltungschef. Er habe sich dann im Internet über Grenzwerte schlau gemacht und die Sperrung des Schulzentrums angeordnet.
Am Mittwochnachmittag dann informieren die Verantwortlichen auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz über die möglichen Ursachen und die Pläne für das weitere Vorgehen. „Wir wussten von asbestbelasteten Bestandteilen in dem Gebäude“, sagt Bauamtsleiter Noetzel. Dort seien sogenannte Glasalplatten verbaut. „Die sind aber nicht beschädigt.“ Trotzdem stehe das Material natürlich jetzt unter Verdacht, für die Schadstoffe in der Raumluft ursächlich zu sein.
Lehrer und Schüler sind in Sorge
Ein zweiter Verdacht richtet sich gegen einen gebundenen Kitt, der zwischen Fensterscheibe und -rahmen verbaut worden ist. Noetzel erinnert daran, dass in den 80er-Jahren alle Schulgebäude auf Asbest in der Raumluft untersucht worden seien. In Reinbek verliefen diese Tests negativ, es wurde keine Belastung gemessen. Damals habe man sogar die Glasalplatten teilweise präventiv mit Glasfasertapete überklebt.
Lehrer und Schüler, die teilweise seit Jahren die Räume des Schulzentrums intensiv nutzen, sind angesichts der Asbestfunde verunsichert. Schulleiter Dirk Böckmann hat das Gesundheitsamt um fachliche Unterstützung gebeten. „Die Kollegen haben Fragen“, begründet er diesen Schritt.
Verwaltung setzt auf Transparenz
Möglichst viele Fragen beantworten will auch die Reinbeker Verwaltung. Sie setzt auf Transparenz. „Wir informieren so aktuell wie möglich auf unserer Webseite und per Facebook“, sagt Bürgermeister Björn Warmer. Und zwar unter dem Titel: „Was wir bisher wissen.“
Noch weiß die Verwaltung nicht, ob die Sperrung der Schule auch über den 17. Dezember hinaus aufrecht erhalten bleiben muss. Alle Beteiligten suchen daher nicht nur nach kurz-, sondern auch nach längerfristigen Ausweichmöglichkeiten. Dabei sind kreative Lösungen gefragt. Bereits am heutigen Donnerstag werden einige Schüler im Rathaus antreten, um Klausuren zu schreiben. Einige Klassen, die gestern zu Hause geblieben sind, werden heute wieder in den Containern unterrichtet werden können. Die anderen bekommen Aufgaben mit nach Hause. Drei Förderklassen der Amalie-Sieveking-Schule finden in der Grundschule Klosterbergen Unterschlupf.
Sanierung für 27 Millionen Euro geplant
Über die aktuellen Pläne informiert die Schule per E-Mail, über die Vertretungsplan-App und die klassische Telefonkette. Auch für den Fall, dass die Schule über einen längeren Zeitraum nicht genutzt werden kann, gibt es bereits Gedankenspiele: Die Feuerwehr hat Unterstützung signalisiert, auch Räume der Volkshochschule könnten als Ausweichquartier dienen.
Das Anfang der 1970er-Jahre erbaute Schulzentrum am Mühlenredder ist schon länger ein Sanierungsfall. Es weist in technischer und energetischer Sicht erhebliche Mängel auf. Außerdem gibt es im Gebäude zu wenig Räume, denn seit Sommer 2015 hat die Gemeinschaftsschule auch eine Oberstufe. Die Sanierung und Erweiterung wurde von der Politik bereits vor zwei Jahren beschlossen. Die Modernisierung ist bei laufendem Betrieb vorgesehen, die Nutzfläche soll von derzeit 7200 auf 11.800 Quadratmeter wachsen. Die Kosten belaufen sich auf mindestens 27 Millionen Euro.
Eigentlich sollte mit den Arbeiten im Sommer 2019 begonnen werden. Die aktuelle Entwicklung könnte diesen Zeitplan jedoch beschleunigen. Sollte es kein Zurück in die Schule geben, wäre ein früherer Beginn denkbar – und die Bauphase dürfte kürzer sein, wenn nicht während des Schulbetriebs gebaut wird. Amtsleiter Sven Noetzel: „Auch diese Variante prüfen wir.“