Bad Oldesloe. Vorgeschriebene Hilfsfrist wird häufig nicht eingehalten. Kreispolitik will Aufgaben künftig einer Tochtergesellschaft übertragen.
Oft zählt jede Sekunde, wenn es darum geht, Menschenleben zu retten. Doch in Stormarn kommen die Sanitäter bei jedem sechsten Rettungseinsatz zu spät. Das geht jetzt aus einem Gutachten hervor. Gesetzlich vorgeschrieben ist eine sogenannte Hilfsfrist von zwölf Minuten. Das ist die Zeit von der Alarmierung bis zum Eintreffen der Retter. Laut Vorschrift muss diese Frist bei mindestens 90 Prozent aller Rettungseinsätze eingehalten werden. Doch in Stormarn sind die Helfer nur in 85 Prozent aller Alarmierungen innerhalb der vorgeschrieben zwölf Minuten am Einsatzort.
Es fehlen Rettungsfahrzeuge und Personal
Um diesen gesetzeswidrigen Zustand zu verändern, werden mehr Personal und mehr Rettungsfahrzeuge benötigt. Gutachter Emil Betzler spricht an dieser Stelle von 487 „Rettungsmittelvorhaltestunden“, die pro Woche kreisweit fehlten. Nach seinen Berechnungen steht das Rettungspersonal derzeit an den neun Rettungswachen mit 21 Fahrzeuge zusammengerechnet an 2425 Stunden in der Woche bereit. Um die Hilfsfrist in 90 Prozent aller Einsätze einhalten zu können, müssten die Rettungswagen aber zusammen auf 2912 Vorhaltestunden kommen. Insbesondere in Ahrensburg und Umgebung ist der Bedarf am größte, so der Experte. Wie viele zusätzliche Notfallsanitäter und Fahrzeuge dort genau fehlen und an den anderen Standorten benötigt werden, ist noch unklar. „Diese Feinjustierung müssten Experten machen“, erklärte der Gutachter jetzt bei einer Sondersitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses des Kreises.
Die Politiker mussten am Dienstag dennoch eine Entscheidung darüber treffen, wer die 487 fehlenden Stunden abdecken soll. „Einfach den Rettungsdienstverbund Stormarn damit zu beauftragen, ist nicht möglich“, sagte die Ausschussvorsitzende Margot Sinning (SPD). Das verstieße gegen EU-Recht. Der Kreis hat 53 Prozent der Anteile am RVS, den Rest teilen sich das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB).
Tochtergesellschaft soll den Rettungsdienst übernehmen
Somit gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es wird europaweit ausgeschrieben und damit an einen externen Anbieter vergeben, oder der Kreis übernimmt die Aufgaben selbst. Dafür müsste er aber eine 100-prozentige Tochter gründen. Die Politiker beschlossen einstimmig Letzteres. Sie beauftragten die Verwaltung, Verhandlungen mit der RVS zu führen. Und zwar mit dem Ziel, dem DRK und ASB die Anteile abzukaufen. Ist dies nicht möglich, soll der Kreis eine eigene Gesellschaft gründen.
Im Unterschied zu einem externen Anbieter habe dies mehrere Vorteile. Andreas Rehberg, Fachdienstleiter Sicherheit und Gefahrenabwehr, sagt: „Eine europaweite Ausschreibung dauert 15 bis 18 Monate. Eine Tochtergesellschaft könnte in drei Monaten gegründet sein. Wenn wir die Beschaffung von Fahrzeugen und Personal hinzurechnen, könnten wir in weniger als einem Jahr die Autos auf der Straße haben.“ Ein weitere Vorteil sei, dass der Kreis bei einem externen Anbieter einen höheren Verwaltungsaufwand hätte. Er müsste als Träger des öffentlichen Rettungsdienstes sowohl den RVS als den neuen externen Anbieter überwachen.
Auch Stormarns Landrat Henning Görtz hat sich am Dienstagabend klar für die Inhouse-Lösung ausgesprochen. Auch Gutachter Emil Betzler empfahl diese: „Vergeben Sie extern, werden Sie in Zukunft immer wieder neu ausschreiben müssen, sobald der Bedarf steigt.“ Und der dürfte weiter wachsen. Denn seit Jahren steigt die Zahl der Rettungseinsätze im Kreis.
Zahl der Einsätze hat sich mehr als verdoppelt
2011 registrierte die Rettungsleitstelle in Bad Oldesloe 15.757 Notfalleinsätze. Fünf Jahre später fuhren die Retter zu 24.811 Einsätzen mit Blaulicht und Martinshorn. Zwischen dem 1. Juli 2017 und dem 1. Juli 2018, also dem Jahreszeitraum, der für das Gutachten untersucht wurde, waren es schon 34.616 Notfalleinsätze – mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2011. Die Gründe sind vielseitig. Neben dem Bevölkerungswachstum spielt laut Gutachter die älter werdende Bevölkerung eine Rolle. „Untersuchungen haben ergeben, dass pro 1000 Einwohner 40-Jährige für 40 Rettungswageneinsätze pro Jahr sorgen. 60 bis 70-Jährige werden in 800 Fällen transportiert“, so Betzler.
Dass in Stormarn ein Defizit im Rettungsdienst herrscht, ist seit Jahren bekannt. 2016 kam ein Gutachter zu dem Ergebnis, dass die Hilfsfrist in Stormarn nur in 82 Prozent der Einsätze eingehalten wird. Insbesondere in Bargteheide waren die Retter auffällig oft zu spät. Der Kreis folgte der Empfehlung des Gutachters, ein Fahrzeug aus Ahrensburg in Bargteheide zu stationieren. Auch mehr Personal und Fahrzeuge im Kreis wurden schon damals als Lösung präsentiert. „Das wurde aber nicht umgesetzt“, sagt Andreas Rehberg: „Die Krankenkassen haben das Gutachten nicht akzeptiert.“ Diese müssen einem Mehrbedarf zustimmen, weil sie auch die Kosten dafür tragen.
Rettungsdienst im Kreis wird 1,2 Millionen Euro teurer
Um nicht erneut in diese Situation zu kommen, sind die Kassen von Beginn an bei der Erstellung des neuen Gutachtens beteiligt gewesen. „Und der Kostenträger akzeptiert jetzt den ermittelten Mehrbedarf“, sagt der Gutachter. Für die zusätzlichen 487 Rettungsmittelvorhaltestunden pro Woche werden die Kassen jährlich rund 1,2 Millionen Euro zusätzlich zahlen müssen. Bislang kostet der Rettungsdienst in Stormarn jährlich rund 13 Millionen Euro.
Bevor die Verwaltung den Beschluss des Sozial- und Gesundheitsausschusses umsetzen kann, muss der Kreistag dies Entscheidung zuvor bestätigen. Das Gremium tagt in zwei Wochen am Freitag, 14. Dezember.