Ahrensburg. Ihre Arbeit gilt als körperlich anspruchsvoll und psychisch belastend. Stormarnerinnen geben einen Einblick in ihren Alltag.
Rund 1800 Pflege-Fachkräfte könnten laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bis zum Jahr 2030 im Kreis Stormarn fehlen. Schon jetzt sind viele Alten- und Pflegeheime verzweifelt auf der Suche nach Personal. Bei der Arbeitsagentur in Bad Oldesloe sind knapp 80 unbesetzte Stellen gemeldet. „Es gibt eine ganze Reihe von Pflegeheimen in Stormarn, die einige ihrer vorhandenen Plätze freiwillig nicht besetzen, weil sie nicht genügend Fachpersonal haben“, sagt Andreas Rehberg, bei der Kreisverwaltung für die Stormarner Heimaufsicht zuständig.
Pflegemindestlohn steigt weiter
Doch warum ist es so schwierig, Mitarbeiter zu finden? Die Arbeit in der Pflege ist körperlich anspruchsvoll und psychisch belastend. Pfleger werden im Schichtdienst eingesetzt, arbeiten mal früh am Morgen, mal die ganze Nacht. Viele Beschäftigte klagen über enorme Arbeitsbelastungen, Zeitdruck durch fehlendes Personal, zu schlechte Bezahlung und zu geringe gesellschaftliche Wertschätzung. Das Bundesarbeitsministerium hat bereits reagiert und den Pflegemindestlohn in Westdeutschland auf derzeit 10,55 Euro erhöht (Osten: 10,05 Euro). Zum 1. Januar 2019 steigt er auf 11,05 Euro, 2020 dann auf 11,35 Euro. Die Mindestgrenze gilt für Pflegeheime, aber nicht für Privathaushalte. Dort ist nur der gesetzliche Mindestlohn von 8,84 Euro bindend.
Doch wie empfinden Pflegekräfte in Stormarn die Situation? Warum haben sie sich für den Job entschieden? Wie anstrengend ist die Arbeit wirklich? Und was sind die schönen Seiten? Das Abendblatt hat vier Stormarnerinnen getroffen, die in der Pflegebranche ihren Traumberuf gefunden haben.
„Der Beruf bietet viele Ausbildungs- und Aufstiegschancen“
Elena Kremnev befindet sich gerade im zweiten Jahr ihrer Ausbildung zur Altenpflegerin. Sie ist 58 Jahre alt – und damit alles andere als ein typischer Azubi. „Ich möchte endlich Fachkraft werden, so wie meine Kollegen, und mehr Verantwortung übernehmen dürfen“, sagt sie. Seit 13 Jahren arbeitet die gebürtige Kirgisin bereits im Pflegezentrum Ahrensburg als sogenannte Pflegehelferin. Sie wäscht die Bewohner, hilft ihnen beim Anziehen, reicht das Essen.
Doch Aufgaben im medizinischen Bereich, zum Beispiel die Ausgabe von Medikamenten, das Spritzen von Insulin oder die Arbeit mit Ärzten und Therapeuten, blieben ihr bisher verwehrt. „Dabei kenne ich mich eigentlich damit aus, denn ich habe in meiner Heimat früher als Krankenschwester gearbeitet“, sagt Elena Kremnev, deren Mann schon vor Längerem eine Ausbildung zum Altenpfleger absolviert hat. Sie selbst habe sich in Deutschland aber erst einmal um die Erziehung ihrer Kinder gekümmert. Doch nun möchte auch sie beruflich weiterkommen. Gefördert wird die dreijährige berufsbegleitende Ausbildung von der Arbeitsagentur.
Drei Schichten gibt es pro Tag
„Ich mag es, mit alten Menschen zu arbeiten, ihnen zu helfen“, sagt die Ahrensburgerin. Die Bewohner seien für sie wie eine zweite Familie, ein zweites Zuhause. „Manche haben keine Angehörigen mehr. Sie freuen sich, wenn ich zu ihnen komme und sie mir alles aus ihrem Leben erzählen können.“ In ihrem privaten Umfeld könnten viele nicht verstehen, warum sie ihre Arbeit so gern macht – trotz der damit verbundenen körperlichen Anstrengungen. „Ja, es gibt schwierige Tage“, sagt Kremnev. „Aber schon am nächsten Morgen ist es anders und ich bin wieder glücklich.“
Die Pflegekräfte arbeiten in der Einrichtung in einem Drei-Schicht-System. Die Frühschicht beginnt um 6 Uhr, die Spätschicht um 12 Uhr und die Nachtschicht um 20 Uhr. Für Elena Kremnev sind die unterschiedlichen Arbeitszeiten inzwischen normal. Ihre Chefin Jasmin Mantwill ist meist tagsüber im Einsatz. Als Wohnbereichsleiterin ist sie für das ganze Pflegeheim mit seinen rund 50 Bewohnern verantwortlich. Neben den normalen Pflegeaufgaben muss sie auch die Mitarbeiter delegieren und Dienstpläne schreiben.
„Es gibt Tage, die sehr hart sind“
Die 35-Jährige hat einen anderen beruflichen Werdegang hinter sich als Kremnev, ist direkt nach der Schule in die Altenpflege gekommen. Ihre Großmutter hatte ihr dazu geraten, „denn ich komme gut mit der älteren Generation klar“, sagt Mantwill. Sie absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Pflegeheim, anschließend folgte eine dreijährige Ausbildung zur Altenpflegerin.
„Die Arbeit macht einfach Spaß“, sagt Mantwill, fügt aber auch hinzu: „Man muss ein Gleichgewicht finden zwischen körperlicher und psychischer Arbeit, damit man nicht überfordert wird. Es ist ein schmaler Grat und es gibt Tage, die sehr hart sind.“ Aber da sei eben auch die andere Seite, die vieles wieder aufwiege. „Die Bewohner kennen mich. Sie merken sofort, wenn ich mal nicht gut drauf bin und fragen nach“, sagt Jasmin Mantwill. „Genauso brauchen sie mal eine Umarmung, wollen gedrückt werden.“
Spannend an ihrer Arbeit finde sie auch, die verschiedenen Krankheiten im Alter und den Umgang damit kennenzulernen. Für vieles gebe es Fortbildungsmöglichkeiten, man lerne immer wieder Neues dazu. Vor zwei Jahren absolvierte sie eine Ausbildung zur Pflegedienstleiterin, lernte dort zum Beispiel, wie sie Mitarbeiter führt und wie gute Kommunikation aussehen sollte. Mantwill sagt: „Die Aufstiegschancen in der Altenpflege sind immens. Das gefällt mir.“
Elizabeth Heller: „Die Arbeit mit den alten Menschen gibt mir wirklich viel“
Elizabeth Heller ist in London geboren, lebt seit gut 35 Jahren in Deutschland. Aber ihre Berufung gefunden hat sie erst vor knapp drei Jahren: Seitdem arbeitet die 58-Jährige als Pflegehelferin. „Ich wollte schon als junge Frau Krankenschwester werden“, sagt sie. Über Stationen als Labortechnikerin in ihrem Heimatland und in einer Sprachschule in Deutschland ist sie nun zur Pflege gekommen.
„Dafür habe ich mich auch schon in Köln beworben, da wurde ich jedoch abgewiesen, weil ich zu alt sei.“ Nicht so bei der Gesundheits- und Krankenpflege zu Hause von Anke Schäddel in Ahrensburg. „Da sind wir ein eingeschworenes Team“, sagt Heller. Nun gehört das Anziehen von Kompressionsstrümpfen, das Helfen beim Waschen und Anziehen zum Alltag der Ammersbekerin. „Umarmungen aus Dank aber auch“, sagt sie. Zeit für ein paar warme Worte findet sie immer, nur ins Klönen kommen, dürfe sie nicht. Dafür fehle die Zeit. Dennoch sollen ihre Patienten „bei jedem Besuch einmal gelächelt haben“, sagt sie. Die Arbeit mit Menschen gibt ihr viel. Stirbt jemand, geht das der Engländerin, die mit einem Deutschen verheiratet ist, nahe. „Aber es gehört auch dazu“, sagt sie und steigt schnellen Schrittes ins Auto. Auf dem Weg zum nächsten Patienten.
„Nur der Kontakt mit Menschen muss Bewerbern liegen“
Wie wichtig es heute ist, Mitarbeiter wie Elizabeth Heller zu haben, erklärt ihre Chefin Anke Schäddel: „Wir können Mitarbeiter fast jeden Alters gebrauchen“, sagt die gelernte Krankenschwester. Die Mitarbeiter bewegten sich bei pflegebedürftigen Menschen zu Hause, seien dort auf sich allein gestellt. Auch wenn das Gesetz nur ein Mindestalter von 17 Jahren vorgebe, zeige die Erfahrung, dass Ältere damit besser umgehen könnten. „Mindestens 20 sollten sie schon sein“, sagt Schäddel, die selbst 51 Jahre alt ist. Gerade Mitarbeiter mit einem sozialen oder medizinischen Hintergrund eigneten sich dafür. Gesucht werden ungelernte Kräfte genauso wie ausgebildete. „Nur der Kontakt mit Menschen muss ihnen liegen.“ Das könne bei pharmazeutisch-technischen Assistenten, die vorher in einer Apotheke gearbeitet haben, genauso der Fall sein wie bei Friseuren. Dann komme eine Ausbildung oder Umschulung zur Fachkraft in der Pflege infrage. „Die Ausbildung muss gründlich sein, damit der Zustand der Patienten richtig eingeschätzt und Krankheiten weiter gemeldet werden können“, so Schäddel.
Um neue Mitarbeiter zu gewinnen, geht Schäddel verschiedene Wege. „Einmal im Jahr gibt es einen Infoabend an der Volkshochschule“, sagt sie. So sei auch Elizabeth Heller dazugestoßen. Außerdem versuche sie, den Wünschen ihrer Mitarbeiter entgegenzukommen. Schäddel „Wer ein Kind bekommt, kann zum Beispiel bei Frühdiensten entlastet werden.“
Izabela Vasilioris: „Ich bin durch den Beruf zufriedener und dankbarer geworden“
Eine ältere Frau schiebt ihren Rollator durch einen Flur des Pflegezentrums im Seniorendorf Bargteheide. „Vorsicht, ich habe ein großes Auto“, ruft sie Pflegerin Izabela Vasilioris zu. Diese tritt einen Schritt zur Seite, antwortet: „Fahren Sie nicht zu schnell!“ Beide lachen. Izabela Vasilioris ist die Freude an ihrem Beruf anzumerken. „Die Bewohner geben mir so viel zurück, das kann ich gar nicht in Worte fassen“, sagt die 43-Jährige.
Seit fünf Jahren arbeitet sie in der Pflegebranche, war vorher lange in der Gastronomie tätig. Nach der Geburt ihres Sohnes Theo (7) wollte sie etwas Neues ausprobieren. „Die Altenpflege hat mich schon immer interessiert“, so die Bargteheiderin. „Trotzdem dachte ich, es wird ein Job wie jeder andere.“ Doch dann sei ihre Leidenschaft von Tag zu Tag größer geworden. „Jetzt ist es mein Traumberuf, ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen“, sagt sie. Ihr Sohn frage oft, ob sie zu ihrer „zweiten Familie“ gehe, wenn sie sich zur Arbeit verabschiedet. Und so nimmt die Bargteheiderin die 35 Bewohner im Pflegezentrum inzwischen auch wahr. „Ich erfahre den Kummer und die Sorgen der Menschen, sie vertrauen mir ihre Lebensgeschichte an.“ Nach einem freien Wochenende fragten die Senioren meist, wo sie gewesen sei. „Sie sagen dann, sie hätten mich vermisst“, sagt Vasilioris und lächelt glücklich. „Diese Herzlichkeit und Dankbarkeit ist mit keinem Geld der Welt zu ersetzen. Dafür lohnt es sich, jeden Tag zur Arbeit zu kommen.“
Als Pflegehelferin angefangen
Izabela Vasilioris hat als Pflegehelferin angefangen. Weil sie mehr über altersbedingte Krankheiten und Symptome erfahren wollte, entschloss sie sich zu einer dreijährigen berufsbegleitenden Ausbildung. Seit Anfang Oktober darf sie sich nun Pflegefachkraft nennen. „Ich bin stolz auf mich, das geschafft zu haben – trotz der Doppelbelastung als Berufstätige und Mutter“, sagt sie. Wegen Theo macht sie meistens Frühschichten. Sie fängt um 6 Uhr morgens an, hat um 13.45 Uhr Feierabend. Dann gehört der Nachmittag ihrem Sohn und ihrer Familie.
Die körperliche Arbeit sei schon anstrengend, sagt Vasilioris, „aber das nehme ich gern in Kauf“. Sie könne sich nicht vorstellen, irgendwann nur noch Verwaltungsaufgaben zu machen. „Ich möchte die Arbeit am Bett nicht verlassen. Das Lächeln, mit dem die Bewohner mich begrüßen, ist das Schönste.“ Wenn es ihr selbst einmal schlecht gehe, wisse sie, bei wem sie klopfen müsse, damit es ihr wieder gut gehe. „Ich bekomme schon mal den ein oder anderen Rat“, sagt sie zum Abendblatt. „Die Bewohner geben mir ihre Lebenserfahrung weiter. Das ist toll.“
Im „Wohnzimmer“ des Pflegezentrums
Die Arbeit mit den alten Menschen habe sie verändert. „Ich bin zufriedener und dankbarer für das, was ich habe.“ Viele Bewohner haben den Zweiten Weltkrieg miterlebt. „Einige waren mit sechs Kindern auf der Flucht, hatten nichts“, sagt Vasilioris. Heute fühlten sich die Menschen viel schneller überfordert, strebten gleichzeitig nach immer mehr. Vasilioris: „Ich habe gelernt: Nicht Häuser oder Autos sind wichtig, sondern Familie und Gesundheit.“
Nach dem Mittagessen begleitet Izabela Vasilioris die Bewohnerinnen Brigitte Busch und Lieselotte Steinmüller ins „Wohnzimmer“ des Pflegezentrums, ein gemütlicher Raum mit Sesseln und Regalen voller Bücher. Die alten Frauen beginnen sofort, eifrig Neuigkeiten zu erzählen. Die 43-Jährige greift nach den Händen der beiden, hält sie fest. Alle wirken glücklich.