Bargteheide. Kinderschutzbund hat zum dritten Mal eine Übersicht vorgelegt. Zahlen steigen weiter an. Zusammenhang von Eltern- und Kinderarmut.

„Reiches Land, arme Kinder“ – der Kampagnenspruch, mit dem der Kreisverband Stormarn des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) bereits bei der Kommunalwahl 2013 auf ein eklatantes Problem aufmerksam gemacht hat, ist aktueller denn je. Denn trotz sinkender Arbeitslosenzahlen und des Wohlstands im Kreis steigt die Zahl der Kinder, die in Armut leben, weiter an. Das geht aus dem „3. Armutsatlas für den Kreis Stormarn“ hervor, den der Verband jetzt veröffentlicht hat.

Demnach leben 4071 Kinder in Familien, die Hartz IV beziehen, und sind somit betroffen. Das sind 9,83 Prozent aller Kinder. Addiert man diejenigen Kinder, die Anspruch auf Sozialleistungen haben, erhöht sich die Zahl sogar auf 7124 Kinder (17,2 Prozent). „Es geht hier nicht um ein paar Kinder, sondern in einem der reichsten Landkreise ist fast jedes fünfte Kind betroffen“, sagt Ingo Loeding, Geschäftsführer des DKSB in Stormarn. In Bezug auf die jüngste Kommunalwahl hat er eine klare Botschaft: „Es ist wichtig, dass alle Gemeindevertreter sich mit diesem Problem auseinandersetzen. Kinder haben ein Recht auf soziale Sicherheit.“

Einzig Bargteheide verzeichnet Rückgang

Die Städte Bad Oldesloe (33 Prozent) und Glinde (29,6 Prozent) sind am stärksten von Kinderarmut betroffen – und das schon seit zehn Jahren. „In diesen beiden Städten befindet sich fast jedes dritte Kind in einer Armutssituation“, sagt Loeding und gibt zu Bedenken: „Wer einmal so lebt, kommt schwer wieder heraus.“ Einzig in Bargteheide habe es in den letzten zehn Jahren einen deutlichen Rückgang der Zahlen gegeben. Das sei jedoch auf den Mangel an günstigem Wohnraum zurückzuführen, der viele Familien nötige, auf Dörfer auszuweichen.

Hilfe für Kinder

Das Bildungspaket bezeichnet staatliche Leistungen, die hilfsbedürftigen Kindern und Jugendlichen neben dem Regelbedarf (Hartz IV) ermöglichen sollen, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen.

So erhalten betroffene Kinder zum Beispiel die Möglichkeit, ein Instrument zu lernen, Mitglied in einem Sportverein zu werden oder an einer Klassenfahrt teilzunehmen.

Auch schulische Anschaffungen wie Schulranzen, Bücher oder Schreibmaterial werden bezuschusst. Die Leistungen müssen beantragt werden.

Die Zuständigkeit liegt bei den Kommunen. Diese können einen Gutschein ausstellen oder das Geld, zum Beispiel den Mitgliedsbeitrag für den Verein, direkt an die Anbieter überweisen.

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Laut EU-Definition gilt als arm, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Problematisch an den meisten Statistiken sei daher, dass sie sich nur mit den Hartz-IV-Zahlen beschäftigen, so Loeding. Dadurch würden andere Kinder aus dem Raster fallen, obwohl sie ebenfalls von Armut betroffen sind. Für den aktuellen Armutsatlas hat der DKSB Stormarn deshalb zusätzlich zu den Kindern, deren Eltern Hartz IV beziehen, diejenigen hinzugefügt, die Sozialleistungen aus dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ der Bundesregierung erhalten (siehe Grafik).

Erster Armutsatlas 2009 publik gemacht

„Diese Gruppe taucht in der aktuellen Statistik zum ersten Mal auf“, sagt Loeding. Vor 15 Jahren habe der Verein erstmalig über das Thema Kinderarmut berichtet. Der erste Atlas erschien 2009, der zweite folgte 2014. „Das Thema hat an Aktualität nichts verloren“ sagt Birgitt Zabel, erste Vorsitzende des DKSB-Stormarn. „Das ist eine gesellschaftliche Katastrophe.“ Zwar hänge der Anstieg der Kinder, die in Armut leben, auch mit der Zahl der Flüchtlinge zusammen, aber nicht nur. „In Deutschland stehen nicht genügend Mittel für Kinder zur Verfügung“, sagt Loeding. Kinderarmut sei immer auch Elternarmut. „Wir fordern deshalb seit Jahren eine Kindergrundsicherung.“ Mittlerweile werde darüber auf Bundesebene diskutiert, aber „es gibt scheinbar kein ernsthaftes Interesse, die Lebenssituation benachteiligter Kinder zu verbessern“. Hartz IV reiche zur Bekämpfung der Kinderarmut nicht aus. „Kindern unter sechs Jahren stehen im Monat 38,16 Euro für Bekleidung und Schuhe zur Verfügung. Wer Kinder hat, weiß, dass das nicht reicht“, sagt Loeding. Auch die staatlichen Leistungen, die über das Bildungs- und Teilhabepaket ausgeschüttet werden, seien nicht kostendeckend.

Für viele Kinder sei es daher bittere Realität, dass sie auf Freizeitaktivitäten verzichten müssen, weil das Geld fehlt. So entstünden auch Vorurteile bezüglich der Wahrnehmung armer Kinder. „Häufig hört man die Frage ,Wo gibt es denn hier arme Kinder?’ Die nehmen nicht teil. Arme Kinder sieht man nicht“, sagt Birgitt Zabel. Der DKSB plädiert daher beispielsweise für kostenfreie Ferienangebote, die es bislang nur in Ahrensburg gibt. Loeding: „Soziale Teilhabe ist wesentlich für die Persönlichkeitsentwicklung.“