Bad Oldesloe. Viele sozial schwache Mieter im Kreis akzeptieren mittlerweile unhaltbare Zustände in Wohnungen, um nicht obdachlos zu werden.

Die Mieten in Stormarn steigen und steigen, die Ansprüche vieler Mieter sinken: Auf dem angespannten Wohnungsmarkt lassen sich mittlerweile sogar regelrechte Bruchbuden vermieten – Schimmel und kaputte Fenster inklusive. Kreisweit müssten laut aktuellem Gutachten jährlich rund 1000 Wohnungen neu gebaut werden, um die Situation in den Griff zu bekommen. Aus dieser Not heraus hat der Kreis das Stormarner Bündnis für bezahlbares Wohnen gegründet. Landrat Henning Görtz: „Wir brauchen Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen, vom Einzelhaus bis zum Geschosswohnungsbau.“ Man dürfe aber keine überzogenen Erwartungen haben, die Flächen seien weiterhin knapp.

Dem Bündnis haben sich, wie berichtet, 36 Stormarner Kommunen und acht Kooperationspartner aus der Immobilienwirtschaft angeschlossen. Die Idee: Die Städte und Gemeinden melden Baugrundstücke beim Kreis. Der leitet die Informationen an die Wirtschaft weiter. Stormarn erhofft sich dadurch bis zu 500 zusätzliche Wohnungen pro Jahr. Doch bis das Bündnis seine volle Wirkung entfaltet, dürfte es noch eine Weile dauern. An kurzfristigen Lösungen fehlt es bislang.

Tochter hat Asthma und kann in Wohnung nicht schlafen

Im Jahr 2016 gab es in Stormarn nur noch 2000 Sozialwohnungen – im Kreis Segeberg waren es dreimal so viele. Die Leidtragenden sind in erster Linie Menschen mit wenig Geld zum Leben: Arbeitslose, Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Flüchtlinge. Mohammed Kadak, Kurde aus Syrien, lebt mit seiner Familie seit einem Jahr in einer Wohnung in Bad Oldesloe, die die Bezeichnung eigentlich nicht verdient. Es gibt keine Heizung, die Fenster sind kaputt, es gibt Schimmel an den Wänden – sogar im Schlafzimmer.

Im Keller und Hinterhof stapelt sich der Sperrmüll der Vormieter. Mohammed Kadak berichtet in gebrochenem Deutsch von Mäusen. Seine Tochter (8) hat Asthma und kann mittlerweile nicht mehr in der Wohnung schlafen. Das sind unhaltbare Zustände, findet Hendrik Holtz (Linke). Der Lokalpolitiker will helfen und hat bei der Stadt eine Inspektion der Wohnung durch die Bauaufsicht angestrengt. „Die Wohnung ist eine Zumutung“, sagt Holtz und zeigt auf eine mobile Gasheizung an der spakigen Wand. Das Gerät soll zwei Zimmer, Küche, Bad beheizen: aussichtslos. Doch die Stadt wird nichts unternehmen. Mängel seien festgestellt worden, sagt Holtz. Doch die seien nicht so gravierend, dass die Nutzung als Wohnraum untersagt werden könne.

Hat die Stadt Handlungsmöglichkeiten?

Theoretisch wäre das möglich. Die Stadt kann einem Hauseigentümer verbieten, eine Wohnung in schlechtem Zustand zu vermieten oder zu bewohnen. Doch die Hürden dafür sind hoch, wie Bürgermeister Jörg Lembke auf Anfrage des Abendblattes sagt: „Dafür müssten derart große Mängel vorliegen, dass die Statik beeinträchtigt wäre und das Gebäude eine unmittelbare Gefahr darstellen würde.“ Auch gegen Abfall oder Sperrmüll im Garten könne zunächst einmal nichts unternommen werden, solange dieser sich auf Privatgelände befindet.

Handlungsmöglichkeit seitens der Stadt sieht Verwaltungschef Lembke nicht: „Das ist letztendlich eine Sache zwischen Mieter und Vermieter.“ Wenn die Zustände derart schlimm seien, stelle sich auch die Frage, warum der Mieter überhaupt eingezogen sei und es dort ein Jahr ausgehalten habe. Doch gibt es immer wieder Fälle, in denen Menschen in eigentlich unhaltbaren Zuständen hausen – und das über Jahre.

Vor allem Flüchtlinge suchen Hilfe bei den Beratern

Die Gründe für die Not vieler Mieter sind Angst, Überforderung, Alternativlosigkeit, Sprachbarrieren, wie Gerd-Günther Finck sagt. Der Immobilien-Experte berät in Bad Oldesloe ehrenamtlich Mieter in Streitfragen. „Viele Menschen haben keine Wahl und nehmen die Wohnungen, die sie bekommen können“, sagt Finck. Der Zustand der Wohnung sei vielen Menschen erst einmal egal – Hauptsache, sie werden nicht obdachlos.

Gerd-Günther Finck berichtet außerdem von „schwarzen Schafen“ auf dem Immobilienmarkt, die sich bei der Höhe der Mieten an den Listen der Jobcenter orientieren. „Die wissen genau, welchen Quadratmeterpreis sie nehmen können“, so der Oldesloer. Der Zustand der Wohnung spiele bei der Berechnung keine Rolle. Dadurch würden Bruchbuden, deren Mieten an Wucher grenzen, sogar noch subventioniert.

In seinem Büro im Mehrgenerationenhaus Oase vermittelt Gerd-Günther Finck in etwa 30 Mietstreitigkeiten pro Jahr – Tendenz steigend. Es sind vor allem Flüchtlinge, die ihn aufsuchen. Neben Geldnot spielen bei Asylbewerbern auch die anfänglichen Sprachbarrieren eine Rolle. „Es bräuchte einen Flüchtlingskoordinator, der auch bei der Wohnungssuche unterstützt“, sagt Finck. Um nicht vermieteten Wohnraum nutzbar zu machen, vertritt der Immobilien-Experte, der selbst mehrere Objekte in Hamburg vermietet, eine klare Linie: „Im Unterschied zu Stormarn können in Hamburg mittlerweile nicht genutzte Wohnungen beschlagnahmt und unter Zwangsverwaltung gestellt werden.“ Das müsse als letztes Mittel auch in Stormarn möglich sein.