Todendorf . Der letzte Gottesdienst. Ein Ortstermin in Todendorf im Kreis Stormarn, wo das Gebäude aus finanziellen Gründen abgerissen wird.
Es ist 19.54 Uhr, als Bischöfin Kirsten Fehrs die entscheidenden Worte ausspricht: „So entwidme ich jetzt diese Kapelle. Von nun an ist sie nicht mehr dem Dienst Gottes geweiht.“ Mit einem Mal ist es still. Kein Rascheln mehr auf den Bänken, kein Flüstern oder Husten. Aus der Kirche in Todendorf (Kreis Stormarn) ist ein weltliches Gebäude geworden. Ein Gebäude, das nur noch wenige Wochen existieren wird. Die Gemeinde Todendorf, die das Gotteshaus samt 5000 Quadratmeter großem Grundstück gekauft hat, will es spätestens bis zum Sommer abreißen lassen. Danach soll an der Stelle ein Feuerwehrgerätehaus gebaut werden.
Zum Abschied ist die kleine Kirche noch einmal gut gefüllt. Rund 70 Besucher haben auf den Bänken Platz genommen. Ein seltenes Bild. Zu den normalen Gottesdiensten, die Pastorin Susanne Schumacher früher jeden zweiten Sonntag veranstaltet hat, kamen meistens nur vier bis acht Todendorfer. Doch das zählt an diesem Abend nicht. Die Stimmung ist wehmütig. „Das ist ein schmerzhafter Moment, der mir sehr nahegeht“, sagt Bischöfin Fehrs.
Noch einmal erklingen die drei Kirchenglocken
Noch einmal nehmen die Todendorfer das rote Liederbuch in die Hand, singen und beten zusammen. Noch einmal erklingen die drei Kirchenglocken. Und noch einmal spielt Kantor Andis Paegle an der Orgel. Die letzte Predigt darf Propst Hans-Jürgen Buhl halten. Wenn die Menschen gefragt würden, welche Kirche sie am liebsten hätten, fielen oft große Namen wie der Michel, sagt er. „Genauso häufig nennen sie aber ihre Heimatkirche – auch wenn sie noch so klein und bescheiden ist.“
Die Todendorfer Kapelle wurde 1967 eingeweiht. Das Kirchenschiff ist fünfeckig, die Dachkanten reichen bis zum Boden. Besonders auffällig sind die klaren, großen Fensterscheiben, die während der Gottesdienste einen Blick nach draußen ermöglichten. Da auf dem Gelände früher ein Teich war, entstand die Kirche als Pfahlbau. 17 Pfeiler reichen mehr als acht Meter in die Tiefe und stützen das Gebäude. Allerdings korrodierte der Stahl im Laufe der Jahre, bereits in den 1980er-Jahren wurden aufwendige Sanierungen nötig. „Die Kirchen aus den 60er- und 70er-Jahren haben uns teilweise eine Baulast hinterlassen, die nur schwer zu bewältigen ist“, sagt Buhl.
Proteste gegen die Schließung der Kirche blieben aus
So ist es auch in Todendorf. Architekten schätzten die Sanierungskosten für die kommenden 15 Jahre auf rund 134.000 Euro. Geld, das die zuständige Kirchengemeinde Eichede allein hätte aufbringen müssen. Denn der Kirchenkreis Hamburg-Ost stufte die Kapelle im April 2016 als „nicht förderungswürdig“ ein. In einem internen Papier teilte er damals seine 138 Kirchen und 140 Gemeindehäuser in A-, B- und C-Standorte ein. Die Gebäude der Kategorie C, immerhin 35 Prozent, müssen seitdem ohne Hilfe unterhalten werden.
Der Kirchengemeinderat Eichede beschloss daraufhin im Oktober 2016, die Kapelle in Todendorf zu entwidmen. Vorausgegangen seien „viele schlaflose Nächte“, betont Pastorin Schumacher bei der Abschiedszeremonie. Letztendlich sei es eine Entscheidung aus Vernunft gewesen. „Die wirtschaftliche Lage gibt es nicht her, die Kirche zu erhalten. Wir haben nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung.“
Ein Stück Todendorf geht verloren
Die Todendorfer akzeptierten den Beschluss widerstandslos – auch zur Überraschung von Susanne Schumacher. „Ich hatte damit gerechnet, dass sich eine Interessengruppe bildet, die für den Erhalt der Kirche kämpft“, sagt sie. „Aber das war nicht der Fall.“ Zu einem Informationsabend über die Zukunft des Gebäudes seien nur 35 Kirchenmitglieder gekommen – von 2500. So viele Menschen gehören der Kirchengemeinde Eichede an, die für Todendorf und sieben weitere Dörfer zuständig ist. „Ich habe das als Zeichen gewertet, dass ein Erhalt der Kirche nicht gewollt ist“, sagt sie. Trotz allem sei der Abschied traurig.
„Ein Stück Todendorf geht verloren“, sagt Susanne Weißbach sichtlich bewegt. Die 53-Jährige verbindet viele Erinnerungen mit der Kirche. „Meine beiden Söhne wurden hier konfirmiert, und ich habe viele Jahre im Kirchenchor gesungen.“ Sie habe gern die Gottesdienste besucht. Besonders gut habe ihr gefallen, dass „durch die Fenster morgens immer die Sonne hinein schien“, sagt die Todendorferin. Auch sie ist verwundert, dass es so wenig Widerstand gegen die Schließung gegeben hat. „Offenbar ist niemandem bewusst, was uns hier fehlen wird.“
Der Bürgermeister verfolgt die Abschiedszeremonie
Helga Flindt widerspricht. „Ich werde die Kirche vermissen“, sagt die 78-Jährige. „Aber wenn sie so reparaturbedürftig ist, müssen wir einsichtig sein.“ Früher habe sie mit ihrer Schwiegermutter regelmäßig die Gottesdienste besucht, zuletzt sei sie nur noch zu besonderen Anlässen in die Kirche gegangen. Auch Bernd und Sabine Behnke waren lange nicht mehr in der Todendorfer Kapelle. „Ich wurde hier konfirmiert“, sagt die 52-Jährige. Inzwischen wohnen die beiden in Elmenhorst. Dennoch ist es ihnen wichtig, sich von der Kirche zu verabschieden. „Ich werde mit aufgewühlten Gedanken ins Bett gehen“, sagt Bernd Behnke. Es sei ein komisches Gefühl, bestätigt Sylvia Unger. Immer wieder hält sie während des Gottesdienstes ihr Smartphone hoch, um mit der Kamera die letzten Momente der Kirche einzufangen.
In der zweiten Reihe verfolgt Bürgermeister Hans-Joachim Dwenger mit seiner Frau Renate die Abschiedszeremonie. „Wir müssen uns damit abfinden“, sagt er. Seine Worte klingen nüchtern, die Betroffenheit ist ihm aber anzusehen. „Ich habe damals die Einweihung mitgemacht“, berichtet er. Mit dem Musikzug der Feuerwehr sei er zur Kirche gelaufen. „Und jetzt erlebe ich das Ende mit.“ Das Problem sei, dass es in Todendorf keine großen Firmen gebe, die Geld für den Erhalt und Weiterbetrieb hätten sponsern können. „Es ist schade, dass es so gekommen ist“, sagt Renate Dwenger. „Unsere Tochter hat in der Kirche geheiratet, unsere Kinder wurden hier getauft und unsere Enkelkinder auch.“
Kirche plant Gottesdienste in den Gemeindehäusern
Künftig will sich die Kirchengemeinde auf ihre Hauptkirche in Eichede konzentrieren. Sie wurde 1757 erbaut, steht unter Denkmalschutz und wurde vom Kirchenkreis Hamburg-Ost als „förderfähig“ eingestuft. Allerdings, gibt Pastorin Schumacher zu, sei es schwierig, die Menschen von den umliegenden Dörfern zum Gottesdienst nach Eichede zu bewegen. Die Wege seien zu lang, um sie zu Fuß zu bewältigen. Die Todendorfer müssten fünf Kilometer laufen.
Propst Hans-Jürgen Buhl appelliert in seiner Predigt an die Besucher, sich davon nicht abschrecken zu lassen. „Lassen Sie jetzt hier los, und halten Sie an einer anderen Stelle fest“, sagt er. „Es wäre toll, wenn Sie in einer ähnlichen Stärke wie heute den Weg in die Eicheder Kirche finden würden.“
Gemeinde arbeitet an einem neuen Konzept
Die Gemeinde arbeitet zudem an einem neuen Konzept. Ziel sei es, vermehrt Gottesdienste auf den Dörfern in den dortigen Gemeindehäusern anzubieten, sagt Schumacher. In Todendorf habe das bereits Heiligabend gut geklappt, rund 120 Einwohner seien ins Mehrzweckhaus gekommen. Im März und April sind weitere Versuche in Lasbek und Stubben geplant.
Bei diesen Rundtouren soll künftig eine der drei Glocken aus der Todendorfer Kirche zum Einsatz kommen. „Wir wollen sie mit einem Lastwagen zu den Gottesdiensten in die Dörfer bringen“, sagt Schumacher. „Auf diese Weise bleibt uns ein Erinnerungsstück erhalten.“ Überhaupt wolle die Kirchengemeinde so viele Gegenstände wie möglich aus Todendorf behalten. Bereits an diesem Wochenende beginnt das Ausräumen, zum 1. Februar gehen Kirche und Grundstück dann in den Besitz der Gemeinde über.
Die Orgel ist eine Spezialanfertigung – aus Eichenholz gebaut
Einige Dinge sollen auch verkauft werden, zum Beispiel die Orgel. Sie wurde 1967 aus Eichenholz gebaut, die Kirchengemeinde hat für die Spezialanfertigung damals 21.000 D-Mark bezahlt. Eine Firma aus Wuppertal bietet die Orgel bereits im Internet an. Die Kirchenbänke sollen bei Ebay angeboten werden. „Für einen Garten sind sie wohl zu lang, aber vielleicht kann sie jemand für seine Reithalle gebrauchen“, sagt Schumacher.
Für Kirsten Fehrs ist es die zweite Entwidmung, die sie als Bischöfin begleitet. Vor fünf Jahren musste sie eine solche Zeremonie schon einmal in Witzhave vornehmen. In Todendorf versucht sie, den Blick der Anwesenden in die Zukunft zu lenken. Es sei schön, dass das Grundstück mit dem geplanten Feuerwehrhaus weiterhin für das Gemeinwesen genutzt werde. „Das gibt Trost“, sagt sie. „So liegt in diesem Abschied auch ein neuer Anfang.“
Zusammen mit Propst Buhl überreicht sie den Mitgliedern des Kirchengemeinderats die Insignien vom Altar, darunter das Abendmahl-Geschirr. Übrig bleiben nur noch die vier Altarkerzen. Nacheinander pusten die beiden die Flammen aus – und verlassen dann die Todendorfer Kirche.