Im Abendblatt spricht Stefan Heße über die Schuldenkrise seiner Diözese – und die drohende Schließung von katholischen Kirchen.

Das Erzbistum Hamburg droht tief in die roten Zahlen zu rutschen (das Abendblatt berichtete). Die derzeitige Überschuldung von 80 Millionen Euro könnte bis zum Jahr 2021 auf 350 Millionen wachsen, ergab eine Prüfung durch die Unternehmensberatung Ernst & Young. Das Abendblatt sprach darüber mit Hamburgs Erzbischof Stefan Heße.

Wie kommt es, dass das Defizit höher ist als bislang bekannt?

Erzbischof Stefan Heße: Dafür gibt es mehrere Gründe. Wir haben mit der Unternehmensberatung Ernst & Young erstmals eine Tiefenprüfung unternommen. Und zweitens haben wird künftige Investitionsbedarfe ermittelt. Schließlich muss ein kluger Kaufmann schon heute zurücklegen, was übermorgen auf ihn zukommt.

Sie haben die Kirchengebäude mit in den Blick genommen?

Heße: Ja. Wenn eines Tages größere Reparaturen anstehen, kostet das mehr. Dazu kommen die hohen Pensionsverpflichtungen der Erzbistums. Weil das Geld noch immer niedrig verzinst wird, müssen wir mehr zurücklegen. Das aber ist eine Entwicklung, die das Erzbistum gar nicht selbst zu verantworten hat.

Wer ist verantwortlich für die Schuldenkrise im Erzbistum?

Heße: Wir sind ein junges Bistum, das erst 1995 gegründet wurde. Es brauchte eine Aufbauphase. Und wir haben keinen großen Verwaltungsapparat.

Sie machen niemandem in den kirchlichen Gremien einen Vorwurf?

Heße: Nein, es wurde vielleicht nicht konsequent genug entschieden und gehandelt. Hier zeigt sich, dass ein Bistum unbedingt ein Controlling braucht, das die Umsetzung der Beschlüsse kontrolliert. Die großen Bistümer haben das. Wir brauchen so ein Controlling dringend.

Bis wann?

Heße: Das müssen wir jetzt aufbauen, ich hoffe, bis Mitte nächsten Jahres. Wir brauchen jemanden, der uns auf die Finger guckt. Wir werden auf jeden Fall zu einer neuen Gremienstruktur kommen müssen.

Was bedeutet das?

Heße: Dass wir nicht so viele Gremien nebeneinander haben. Mir liegt daran, dass wir eine hohe Transparenz in den Entscheidungen haben. Außerdem brauchen wir eine Art Wirtschaftsrat, der die Entscheidungen mitträgt.

Müssen sich die Katholiken Sorgen um ihre Kirche machen?

Heße: Ich glaube, dass sich das Erzbistum verändern wird. Es geht um harte Einschnitte. Wir haben aber noch keine aktuellen Entscheidungen getroffen. Es wird in allen Bereichen zu weniger führen. Und das wird große Veränderungen mit sich bringen und dazu führen, sich vom Liebgewordenen zu verabschieden.


Zum Beispiel
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Heße: Es gibt keine Entscheidungen im Moment.

Was ist unverzichtbar? Der Gottesdienst?

Heße: Der ist etwas ganz Zentrales. Aber für einen Gottesdienst braucht man keine Riesenkirche. Ich könnte mir, da wo es möglich ist, Mehrfachnutzungen von Gebäuden vorstellen. Warum soll eine Gemeinde ihren Gottesdienst nicht auch im Gemeindesaal feiern können? Wichtig ist es, dass dieses Weniger zu einer Verlebendigung des Glaubens führt. Es gibt Diözesen auf der Welt, die mit sehr geringen Mitteln auskommen müssen, und trotzdem sind sie sehr lebendig.

Es gibt Gerüchte, dass vier bis fünf katholische Schulen geschlossen werden sollen.

Heße: Die Lage ist ernst, und deswegen können wir von der Prüfung keinen Bereich ausnehmen, sondern müssen ungeschminkt alles anschauen. Mir wäre lieb, wenn wir im Dialog Wege miteinander finden, die dann zu verträglichen Lösungen führen. Man könnte sagen, es gibt in dem einen oder anderen Bereich einen Abbruch. Man könnte aber auch sagen: Es gibt einen Umbruch mit kreativen Lösungen.

Kreative Lösungen im Schulbereich?

Heße: Man muss mit der Stadt darüber reden, wir sind grundsätzlich mit dem Schulsenator im Gespräch.

Noch einmal: Sie schließen Schulschließungen nicht aus?

Heße: Ich schließe gar nichts aus. Alles muss jetzt auf dem Tisch bleiben, und wir müssen miteinander nach Lösungen suchen, die solidarisch für das ganze Bistum sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt einer sagt: Den Kelch müssen andere trinken. Wir müssen vielmehr das gemeinsam schaffen!

Wird das Schulgeld weiter erhöht?

Heße: Das müssen die Fachleute prüfen und hängt von sozialen Faktoren an.

Wie lange wird der Prozess dauern, bis Entscheidungen fallen?

Heße: Vonseiten der Wirtschaftsprüfer ist klar: Wir können die Entscheidung nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Die Lage ist so ernst, dass wir möglichst rasch handeln müssen. Das gilt auch, weil diese Entscheidungen in den Gemeinden oder an den Schulen zu Verunsicherungen führen können.

Welche Gremien treffen diese Entscheidungen?

Heße: Kirchensteuerrat, Diözesanvermögensverwaltungsrat gehören dazu. Man wird auch die Pfarrer einbinden, das Domkapitel und über den pastoralen Orientierungsrahmen die Mitglieder aus den Gemeinden. Mit diesem pastoralen Orientierungsrahmen wollen wir die Aufgaben der Kirche für die Zukunft beschreiben. Man kann, so meine ich, mit weniger Mitteln auch Kirche sein. Man wird aber anders Kirche sein. Diese Hoffnung habe ich ganz stark.

Sollen die reichen Diözesen in München-Freising und Köln dem armen Norden helfen?

Heße: Einen Bistumsfinanzausgleich haben wir nicht. Aber die Entwicklung der Zukunft wird dazu führen, dass wir eine größere Solidarität zwischen den Diözesen brauchen.