Ahrensburg/Lübeck. In Lübeck stellen Experten Abschlussbericht über Hilfsangebot der Nordkirche vor und kommen zu einem positiven Ergebnis.

Seit gut fünf Jahren entschädigt die Nordkirche Menschen, die insbesondere in den 80er-Jahren von dem damaligen Ahrensburger Pastor Dieter K. sexuell missbraucht wurden. Eine Arbeitsgruppe der Trauma- und Stressforschung in der Klinik für Psychiatrie und Psychologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg hat ein Jahr lang unter der Leitung von Professor Ingo Schäfer das Hilfsangebot untersucht. Die Experten haben Interviews mit Opfern geführt und kamen zu dem Ergebnis, dass Betroffene überwiegend „zufriedenstellende Erfahrungen mit dem Unterstützungsleistungsverfahren gemacht hatten“. So ist es in dem Abschlussbericht zu lesen.

Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs wird mit den Fachleuten am heutigen Freitag die Ergebnisse der externen Prüfung der Landessynode in Travemünde vorstellen. Zwei Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in Ahrensburg hatte die Nordkirche (damals Nordelbische Kirche) 2012 ein Konzept zur Entschädigung der Betroffenen eingeführt. Zuvor hatte die Bischöfin gemeinsam mit Missbrauchsopfern und zwei externen Experten für Opferhilfe das Konzept entwickelt. Es trägt den langen Namen: „Unterstützungsleistungen für Betroffene von sexuellem Missbrauch in Anerkennung ihres Leides und in Verantwortung für die Verfehlungen der Institution“.

Über Entschädigungssummen macht die Kirche keine Angaben

Laut Expertenbericht haben bislang 32 Menschen das kirchliche Verfahren in Anspruch genommen. Die Missbrauchsopfer oder deren Angehörige können sich für dieses Verfahren einen Lotsen suchen. Dieser berät die Betroffenen und tritt wie ein Anwalt auf, der sie durch das gesamte Verfahren begleitet. In einer zweiten Stufe folgt das Gespräch mit der Unterstützungsleistungskommission. Je nach Wunsch des Opfers kann dieses daran teilnehmen oder von dem Lotsen vertreten werden. Die vierköpfige Kommission, zu der auch Bischöfin Fehrs gehört, entscheidet, wie das Opfer unterstützt werden soll, ob Geld gezahlt wird und/oder Therapiekosten übernommen werden.

Wie viel die Nordkirche in den vergangenen fünf Jahren an die Opfer gezahlt hat, dazu wollte der Sprecher der Nordkirche Stefan Döbler auf Anfrage keine Angaben machen. In dem Bericht des UKE heißt es, dass pro Opfer bis zu 10.000 Euro gezahlt werden können.

Die Experten des UKE kommen ferner zu dem Ergebnis, dass das Unterstützungsleistungsverfahren sich im besonders hohen Maße an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert. Beispielsweise müssten Opfer ihre Erlebnisse nicht nachweisen.

Experten sehen langfristigen Bedarf

Döbler: „Wir sehen uns durch den Bericht ermutigt, das Verfahren für Unterstützungsleistungen zu verbessern und zu verstetigen.“ Denn die Nordkirche habe die Evaluation in Auftrag gegeben, weil sie das Angebot aufrechterhalten und das Konzept noch verbessern wolle.

Auch die Experten, die für ihre Untersuchung Gespräche mit 14 Opfern oder Angehörigen wie Eltern geführt haben, sagen: „Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Evaluation kann eindeutig empfohlen werden, das Unterstützungsleistungsverfahren mit einigen Ergänzungen weiterzuführen.“ Denn aus fachlicher Sicht sei davon auszugehen, dass es einen langfristigen Bedarf gebe. Zum einen, weil sich Betroffene zum Teil auch erst nach Jahrzehnten melden. So hätten sich allein während der einjährigen Untersuchungszeit zwischen April 2016 und März 2017 zehn weitere Betroffene bei der Nordkirche gemeldet. Zum anderen befürchten die Experten, „dass es trotz aller präventiver Bemühungen zu weiteren Fällen kommen kann“.

Das Programm soll noch verbessert werden

Das Hilfsprogramm der Nordkirche wird dabei von den Fachleuten als „grundsätzlich gut geeignet“, bezeichnet, „um das Leid Betroffener sowie die Verantwortung der Institution anzuerkennen und Unterstützung zu leisten“. Dennoch schlagen die Experten auch Verbesserungen vor. Beispielsweise sollten Betroffene zu Beginn des Verfahrens mehr Informationen bekommen. Auch sollte verstärkt mit dem Angebot an die Öffentlichkeit gegangen werden und ein Betroffenenbeirat und eine Schlichtungsstelle eingerichtet werden. „So könnte ermöglicht werden, dass noch mehr Betroffene in der Lage sind, das Unterstützungsleistungsverfahren in Anspruch zu nehmen und so eine Anerkennung ihres Leids und eine Verantwortungsübernahme durch die Nordkirche zu erfahren“, heißt es.

Der Skandal in der ehemaligen nordelbischen Kirche kam 2010 ans Licht. Damals brachen Opfer nach jahrelangem Leid ihr Schweigen und berichteten von sexuellen Misshandlungen bei Jugendtreffs oder Zeltlagern. Zeugen berichteten, dass der frühere Ahrensburger Pastor Dieter K. den Minderjährigen reichlich Alkohol gegeben haben, damit die Hemmschwelle sinke.

Ein Disziplinarverfahren läuft seit mehreren Jahren

Die Aufarbeitung dieser Fälle dauerte Jahre. 2014 kam eine Expertenkommission sogar zu dem Ergebnis, dass 14 Pastoren innerhalb der nordelbischen Kirche über Jahrzehnte Kinder und Jugendliche sexuell misshandelten. Zu einer strafrechtlichen Verurteilung kam es nicht. Die Fälle waren verjährt. Einem Verfahren vor dem Kirchengericht entzog sich der Ahrensburger Pastor Dieter K. Nach einem Geständnis ist er auf eigenen Wunsch aus dem Kirchendienst ausgeschieden.

Gegen seinen Kollegen, den Ruhestandspastor Friedrich H., läuft indes seit mehreren Jahren ein Disziplinarverfahren. Opfer hatten sich nach den Übergriffen an den Geistlichen gewand, doch dieser schwieg. Warum das Verfahren gegen H. immer noch läuft, dazu gibt es seitens der Nordkirche keine Angaben. Opfer wie Anselm Kohn bezeichnen dies als „unerträglich“. Eine Anerkennung des Leid und Verantwortung sehe anders aus.