Bischöfin Kirsten Fehrs sprach in ihrer Predigt vom Versagen der Kirche. Gestaltet wurde der evangelische Gottesdienst gemeinsam mit Opfern, die von einem Gemeindepastor aus Ahrensburg einst missbraucht wurden.

Hamburg. Schweigend stehen zwei Frauen vor dem Altar. Die eine trägt einen schwarzen Talar, die andere Jeans und Turnschuhe. Es sind Bischöfin Kirsten Fehrs, eine Repräsentantin der Nordkirche. Und Corinna Boller. Sie war als Jugendliche vor Jahrzehnten von einem Ahrensburger Pastor sexuell missbraucht worden.

Dann erhebt Corinna Boller ihre Stimme bei diesem Gottesdienst in der Hauptkirche St. Katharinen: „Das Vergangene ist vorbei.“ Danach sagt Bischöfin Fehrs: „Ich sehe mit Demut und Mut ihre gereichte Hand.“ Ganz still ist es in der Kirche bei den rund 120 Gottesdienstteilnehmern. Die ersten Tränen fließen. Am Ende reichen beide Frauen einander die Hand.

Mit dieser symbolischen Geste wurde am Montagabend ein Versöhnungsgottesdienst mit den Opfern sexuellen Missbrauchs in der evangelischen Kirche gefeiert. Dieser Veranstaltung markiert einen weiteren Schritt bei der Aufarbeitung des Ahrensburger Missbrauchsskandals. Unter der „Maske der Fortschrittlichkeit“ hatte ein Ahrensburger Pastor rund 20 Jahre lang Mädchen und Jungen missbraucht. Zur Anzeige kamen die Fälle damals nicht, weil Kirchenoberen und Amtskollegen offenbar die Hinweise nicht ernst genommen und weiterverfolgt haben. Bischöfin Fehrs beklagte deshalb in ihrer Predigt, dass sich die Kirche damals nicht an die Seite der Schwächeren gestellt habe. „In all dem hat diese Kirche Schuld auf sich geladen. Also trage ich sie auch.“ Die Kirche habe versagt und der Verletzung und Gewalt nicht Einhalt geboten.

Die Initiative zu diesem Gottesdienst ging von Corinna Boller selbst aus. Sie hatte 2010 den Skandal öffentlich gemacht. Gerade weil sie erlebt hat, dass es der Kirche Jahrzehnte später wirklich um Reue geht, kann sie nun die Hand zur Versöhnung reichen. „Um hier anzukommen, bin ich einen langen Weg gegangen – auch mit der Kirche und meinen durch die erlittenen Taten stark verletzten Anteilen des christlichen Glaubens.“

Erschüttert, fassungslos, traurig

Kirsten Fehrs schilderte in ihrer Predigt, wie sehr sie sich nach ihrer Wahl zur Bischöfin um ein Gespräch mit Corinna Boller bemüht hatte. Schließlich kam es zu vielen Gesprächen und Mails. „Nicht selten sind uns die Tränen über die Wangen gelaufen, so erschüttert, fassungslos traurig hat es uns gemacht“, betonte die Bischöfin.

Die sexuellen Übergriffe unter dem Dach der Kirche hatten sich bereits in den 1970er und 1980er-Jahren ereignet. Der Täter ist inzwischen Rentner und aus dem kirchlichen Dienst entlassen. Er hat die kirchlichen Pensionsansprüche verloren. Der Missbrauch begann zunächst mit Flirts, Tätscheleien, angeblichen Gesprächstherapien und ging über zu sexuellen Praktiken. Von den Übergriffen waren mehr Jungen als Mädchen betroffen, hat eine Unabhängige Expertenkommission inzwischen herausgefunden. Mit dem Angebot „extrem großer Mengen von Alkohol“ suggerierte der Geistliche ein „Klima von Liberalität“ und baute auf diese Weise die Hemmschwellen der Mädchen und Jungen ab, heißt es in der Unabhängigen Kommission.

In der Folge des Missbrauchsskandals war Bischöfin Maria Jepsen im Jahr 2010 von ihrem Amt zurückgetreten. Zehn Betroffene und Unterstützer hatten im selben Jahr den Verein Missbrauch in Ahrensburg gegründet. Ziel war es, Gerechtigkeit für sich zu erzielen. Vor einem Jahr hatte sich der Verein wieder aufgelöst. „Wir haben unsere Ziele größtenteils erreicht“, sagte damals der Vereinsvorsitzende Anselm Kohn, der jetzt an dem Gottesdienst als Zuhörer teilnahm. Die Kirche hat ein breites Bündel an Unterstützungsleistungen bereitgestellt. Dazu zählen auch finanzielle Hilfen, über deren Gesamthöhe nichts öffentlich bekannt ist. Allerdings kündigte Kohn schon vor Monaten an, dass er weiter die Aufarbeitung des Systems Missbrauchs in der Evangelischen Kirchengemeinde Ahrensburg aufmerksam beobachten werde. „Sollte der Eindruck entstehen, dass die daraus abzuleitenden Maßnahmen komplett schiefliegen, könnten die Mitglieder den Verein auch jederzeit wieder aufleben lassen“, erklärte er.

Mitgestaltet wurde der Versöhnungsgottesdienst von drei weiteren Betroffenen des Ahrensburger Missbrauchsskandals und von Freunden Corinna Bollers. Sie hatte auch den ausdrücklichen Wunsch geäußert, dass ein solches Ritual in der Hauptkirche St. Katharinen stattfindet. Begonnen hatte die Feier ausgerechnet mit dem Adventslied „Macht hoch die Tür“ – und das mitten im Sommer. Doch wie Katharinen-Hauptpastorin und Pröpstin Ulrike Murmann sagte, sei das symbolisch gemeint. „Wir öffnen eine neue Tür, aber wir ziehen keinen Schlussstrich.“ Und Bischöfin Fehrs fügte hinzu: „Abgeschlossen wird dieses Thema für uns als Kirche nie sein.“

Derzeit arbeitet die Unabhängige Expertenkommission aus juristischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive den Skandal weiter auf und benötigt dafür noch mehr Zeit. Der Abschlussbericht sollte eigentlich im Frühjahr vorliegen. Einen neuen Termin konnte die Kirche noch nicht nennen.