Barsbüttel. CDU und SPD arbeiten so eng wie noch nie zusammen. Das liegt an den politischen Akteuren und an ihrer Vergangenheit – eine Analyse.
Das Ende naht. So sehen es zumindest CDU und SPD. Sie wollen die Große Koalition in Berlin beenden, haben das in den vergangenen Wochen immer wieder betont. Dass die Tage des Bündnisses nach der Bundestagswahl am 24. September gezählt sind, ist gut möglich. Doch was auf großer Politikbühne von den Protagonisten nicht mehr gewünscht ist, wird in Barsbüttel über diesen Termin hinaus andauern.
Dort entscheidet die Gemeindevertretung. Der Bürgermeister hat bei Themen wie zum Beispiel Ortsentwicklung nur eine beratende und vorbereitende Funktion. Maßgebend ist der Wille der Parteien. Und die Musik machen derzeit CDU und SPD in Einklang.
Wählergemeinschaft stört sich an „Großer Koalition“
Es gibt Geheimtreffen, wo ausgelotet wird, welche Projekte umgesetzt werden, um dann in der Gemeindevertretung geschlossen aufzutreten. Dort haben die beiden großen Parteien eine Mehrheit. So war es unter anderem bei der Rathaussanierung und auch bei kleineren Angelegenheiten wie einem 5000-Euro-Zuschuss für den örtlichen Tennisverein.
Politische Gegner wie Rainer Eickenrodt, Fraktionsvorsitzender der Barsbütteler Wählergemeinschaft (BfB), stört das. Er spricht von einer „Großen Koalition“ und fühlt sich von ihr „missachtet“. Der 73-Jährige sagt auch: „Wer hier bei der Kommunalwahl für die SPD votiert, gibt indirekt auch der CDU seine Stimme und andersherum.“
Tehge war in seiner Jugend in der SPD engagiert
Doch warum funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Christdemokraten in Barsbüttel so gut? Es liegt unter anderem an den Menschen, die sich ehrenamtlich in den Parteien engagieren – und ihrer Vergangenheit. Da ist zum Beispiel Wolfgang Böckmann, Christdemokrat und stellvertretender Bürgermeister. Der Rentner hat früher bei den Hamburgischen Electricitäts-Werken, die 2002 in Vattenfall aufgegangen sind, als Elektromeister sowie im Controlling gearbeitet und war bis 2001 Mitglied der SPD. „Es gab Meinungsverschiedenheiten“, sagt der 67-Jährige über seinen Abschied. Über die Wählergemeinschaft Unabhängige Fraktion Barsbüttel kam Böckmann im Januar 2003 zur CDU. Martin Habersaat, jetzt für die SPD im Kieler Landtag, war früher Kommunalpolitiker in Barsbüttel. Der habe versucht, ihn wieder für die Partei zu gewinnen, sagt Böckmann. Vergeblich. „Aber ich habe natürlich ein Herz für die Sozialdemokratie, sonst würde ich nicht Themen wie Schule, Kindergärten und sozialen Wohnungsbau vorantreiben.“
Ein anderer Christdemokrat mit ausgeprägter Sympathie für die Genossen ist Bürgervorsteher Friedrich-Wilhelm Tehge (69). Er hat sich in seiner Jugendzeit für die SPD engagiert, war Polizeibeamter und mehrere Jahrzehnte in der Gewerkschaft aktiv. Er sei zur CDU übergetreten, weil die sich seinerzeit mehr für die Polizei eingesetzt habe. Über sein politisches Handeln sagt Tehge: „Man muss auch für den kleinen Mann etwas tun.“ Dieser Satz könnte aus dem Munde des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz stammen.
Alle vier Wochen ein informelles Treffen
Tehge berichtet von Freundschaften mit Sozialdemokraten. Einen guten Draht hat er zum stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus-Jürgen Krüger. Die beiden haben den Neubau des Sportplatzes in Willinghusen angeschoben. Dort entstehen gerade ein großes und kleines Kunstrasen-Fußballfeld, eine 50 Meter lange Tartanbahn sowie eine Weitsprunganlage für rund 1,4 Millionen Euro.
SPD-Fraktionschef Hermann Hanser (67) ist seit 35 Jahren in der Partei. Früher sei der Umgang zwischen Sozial- und Christdemokraten durch Konkurrenzdenken und auch Aggressionen gekennzeichnet gewesen, sagt der Unternehmer. „Jetzt stehen in beiden Fraktionen die Sachthemen im Vordergrund. Es gibt alle vier Wochen ein informelles Treffen.“ Dort tausche man sich aus. Grünen-Fraktionschef Joachim Germer sagt: „CDU und SPD waren sich noch nie so nahe.“ Früher habe es zwischen denen Wortgefechte gegeben, wenn Entscheidungen anstanden.
Bürgermeister SChreitmüller trat aus der CDU aus
Das hat sich geändert. Kein Blatt zwischen die beiden Parteien passte zum Beispiel beim Streitthema Rathaus: Die im Juli 2014 einstimmig von der Gemeindevertretung beschlossene Teilsanierung für 2,5 Millionen Euro machten Christ- und Sozialdemokraten elf Monate später rückgängig, strebten stattdessen einen Neubau auf dem Grundstück der Sparkasse Holstein gegenüber dem Verwaltungsgebäude an. Die Pläne wurden per Bürgerentscheid durchkreuzt. Daraufhin setzten sie eine Vollsanierung für 8,5 Millionen Euro plus 800.000 Euro für die Auslagerung der Mitarbeiter durch. Nach dem Motto: Wenn schon anfassen, dann umfangreich und vor allem nachhaltig.
Im Zuge der Diskussionen trat sogar Bürgermeister Thomas Schreitmüller aus der CDU aus. Konkret ging es dabei um die Formulierung einer Stellungnahme der Gemeindevertretung zum Bürgerbegehren über den Rathaus-Neubau, die der Bevölkerung samt Wahlunterlagen zugeschickt wurde. In dem von CDU und SPD entworfenen Papier hieß es am Ende: „Damit der Bürgermeister diese Schritte umsetzen kann, ist ein klares Nein beim Bürgerentscheid erforderlich.“ Schreitmüller bat darum, das Wort Bürgermeister durch Gemeinde zu ersetzen. Seinem Wunsch entsprachen die Parteien nicht.
„Die BfB tritt auf die Kostenbremse“
Die BfB hatte der Vollsanierung genauso wenig zugestimmt wie dem Sportplatzprojekt in Willinghusen und dem neuen Flächennutzungsplan, der regelt, wo die Gemeinde wachsen kann. Fraktionschef Rainer Eickenrodt wirft CDU und SPD eine unsolide Finanzpolitik vor, sagt: „Sie haben einen Haushalt mit steigender Verschuldung von heute 4,7 Millionen Euro bis 2020 auf 18,2 Millionen Euro beschlossen.“ Laut Grünen-Politiker Germer hat die Wählergemeinschaft früher Sparprogramme vorgelegt, bei der die Christdemokraten mitgegangen seien. Die Gegenwart sieht anders aus. „CDU und SPD haben uns signalisiert, dass sie mit der BfB wegen abweichender Positionen beim Flächennutzungsplan keine Grundlage mehr für gemeinsame Gespräche sehen, egal worüber“, so Eickenrodt.
Wolfgang Böckmann verteidigt den Kurs der „Großen Koalition“, mit dem neuen F-Plan die Möglichkeit zu schaffen, dass in Barsbüttel auf Sicht mehrere Hundert Wohneinheiten an verschiedenen Orten entstehen: „Wir wollen die jungen Leute hier im Ort halten, müssen ihnen Perspektiven bieten.“ So sieht es auch SPD-Fraktionschef Hanser, sagt: „Die BfB tritt auf die Kostenbremse, mit ihr kann man die Gemeinde nicht weiterentwickeln.“
Auf ihren Geheimtreffen sprechen die Akteure der „Großen Koalition“ in Barsbüttel derzeit intensiv über die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. – ein Problem, das beide Parteien für so wichtig erachten, dass sie es wieder gemeinsam lösen wollen.