Mehr als 120 Jahre hat die Trittauer Meierei den Ort geprägt. Mit dem Abriss der leerstehenden Hallen endet die „Mili“-Ära.

Unaufhaltsam frisst sich der Abrissbagger durch die Mauern der ehemaligen Meierei Trittau. Mehr als 120 Jahre hat das Gebäude im Zentrum den Ort geprägt. Jetzt endet die „Mili“-Ära – der deutschlandweit bekannte Markenname – endgültig. „Das hätte nicht so weit kommen müssen“, sagt ein Mann, dessen Leben wie kein zweites mit der Meierei verbunden ist.

Heinrich Gosch ist nicht nur auf dem Betriebsgelände aufgewachsen, sondern hat die Geschicke des Unternehmens auch von 1954 bis 1994 als Geschäftsführer geleitet. „Als kleine Meierei kann man im Markt bestehen, da man viel schneller auf aktuelle Entwicklungen reagieren kann als die Großen.“ Beispiele seien das Familienunternehmen Rücker (1890 auf Fehmarn gegründet, produziert heute in Aurich und Wismar) oder die ehemalige Dorfmolkerei Müller-Milch (1896 in Aretsried/Landkreis Augsburg gegründet). Dagegen rutschte die Trittauer Meierei in die roten Zahlen. Im März 2011 stellte der Eigentümer Hansa-Milch (Hansano) den Betrieb ein.

Vater und Sohn Gosch leiteten Betrieb fast sechs Jahrzehnte

Wenn einem der Beruf in die Wiege gelegt wurde, dann Heinrich Gosch: 1929 kam er in der Dorfmeierei von Stuvenborn (Kreis Segeberg) zur Welt, die sein Vater Wilhelm leitete. „Als ich laufen konnte, nahmen mich meine Eltern mit zur Arbeit“, sagt der heute 88-Jährige über seine Kindheit. Zwischen Blechkannen, Pasteurisierungsapparaten und Zentrifugen war seine Spielecke. Er erinnert sich genau: „Am spannendsten war es, wenn ich auf einen Hocker durfte, um das Hauptventil der Dampfmaschine aufzudrehen.“ Die trieb die Geräte an.

1936 zog die Familie nach Trittau, wo Wilhelm Gosch die Betriebsleitung übernahm. „Wir wohnten in altertümlichen Zimmern ohne Bad und WC direkt über der Meierei“, so Heinrich Gosch. Im Winter 1937/38 bekam der technisch veraltete Betrieb an der Kirchenstraße eine komplett neue Ausrüstung. Wichtigste Veränderung: Alle Maschinen erhielten einen elektrischen Einzelantrieb, die Dampfmaschine hatte ausgedient.

Waschanlage für Kannen war 1955 eine große Erleichterung

Die Modernisierung zahlte sich schnell aus: 1938 schlossen die Bauern aus Koberg und Sirksfelde ihre Meierei in Koberg und kamen nach Trittau. 1939 wurde das Aus der Meierei Grönwohld angeordnet, die Milch von dort und aus Lütjensee wurde ebenfalls in Trittau verarbeitet. 1941 folgten die Linauer Bauern nach Auflösung der Meierei Kalkkuhle. In den Kriegsjahren versorgten die Trittauer auch die Menschen im Hamburger Osten.

„Das größte Problem war der Transport“, sagt Heinrich Gosch. Auf dem Lande sorgten die schmalen Kopfsteinpflasterstraßen mit ihren vielen Schlaglöchern immer wieder für Verzögerungen. Im Winter wurden die Fahrten zu wahren Abenteuern. Es gab aber auch noch Kleinbauern, die ihre Milch in Eimern an Schulter-Tragegestellen ablieferten – ähnlich wie beim Hamburger Hummel.

Dorfbewohner halfen bei Sonderschichten aus

Nach der Währungsreform im Juni 1948 investierte die Meierei erst in ein Käsereigebäude, das aber nach einem Preiseinbruch auf dem Käsemarkt bald zur Herstellung von Stieleis genutzt wurde: die Geburtsstunde des Namens „Mili“, der auf den Milchanteil im Eis hinweisen sollte. Im Sommer füllten bis zu 14 Frauen die Eisformen und kamen an heißen Tagen mit der Produktion gar nicht hinterher. Sonntags ging der Geschäftsführer durchs Dorf und trommelte Helferinnen für Sonderschichten zusammen. Handwerker und Kaufleute mit eigenem Auto fuhren das Eis aus.

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Der © HA | Harald Klix

Während Heinrich Gosch zur Meisterschule ging, plante sein Vater Wilhelm auf einem Nachbargrundstück an der Kirchenstraße die Erweiterung. „Nach bestandener Prüfung hatte ich schon die Zusage von der Schule, in die Lehrlingsausbildung einzusteigen“, sagt der Junior, „doch mein gesundheitlich angeschlagener Vater bat mich dringend, ihn beim Ausbau zu unterstützen.“

Erweiterung brachte das Geschäft voran

Im Oktober 1954 starb Wilhelm Gosch, der erst 25 Jahre alte Sohn trat die Nachfolge an. Ende 1955 wurde die Erweiterung festlich eingeweiht. „Das hat uns richtig nach vorn gebracht“, sagt Heinrich Gosch. Vor allem der Spülraum mit einer Kannenwaschanlage sprach sich schnell herum und sorgte für Zulauf. Die Bauern mussten ihre Lieferbehälter nicht mehr umständlich von Hand reinigen, sondern bekamen sie blitzsauber zurück. „Das war eine enorme Erleichterung“, so Gosch.

1950: die Belegschaft mit Firmenfahrzeugen an der Kirchenstraße
1950: die Belegschaft mit Firmenfahrzeugen an der Kirchenstraße © HA | Amtsarchiv Trittau

Neu war auch eine Anlage zur Kartoffeldämpfung, die die Landwirte gern nutzten. Dort wurden die Eisfahrer nach der Saison eingesetzt. „So brauchten wir keine Leute mehr zu entlassen.“ In den Folgejahren hörten in der Umgebung etliche kleine Meiereien auf, weil sie sich neue, teure Maschinen nicht leisten konnten. Unter anderem kauften die Trittauer 1963 die Vereinigte Meierei Ahrensburg an der Manhagener Allee.

Auf dem Grundstück wird ein Supermarkt gebaut

Die nächste Großinvestition war 1969 die Umstellung von der Eigenanlieferung auf Tanksammelwagen. Dafür mussten alle Bauern Kühllager und Zufahrten bauen. Etliche Nebenerwerbler mit wenigen Kühen und geringen Mengen gaben auf, weil sich die Ausgabe für sie nicht lohnte. „Die schnelle Kühlung verbesserte die Qualität erheblich“, so Gosch. Noch im selben Jahr wurde eine neue Halle für Speiseeis und Milchabfüllung gebaut. Zugleich wurde die Zweigstelle in Ahrensburg stillgelegt.

In den Folgejahren schlossen sich immer mehr Bauern aus Stormarn und dem Nachbarkreis Herzogtum Lauenburg der Genossenschaft an. Ende der 1970er-Jahre stieg die Mitarbeiterzahl auf 120. Es gab allein 60 Tankwagenfahrer, weitere 20 Fahrer für den Vertrieb von Tiefkühlkost und eine eigene Werkstatt für die Fahrzeuge.

Vorreiter mit der „Längerfrischen“

1893 schließen sich 21 Bauern aus Trittau und Hamfelde zusammen, um ihre Milch zu verarbeiten.

1894 kauft die Genossenschaft 900 Quadratmeter an der Kirchenstraße in Trittau und baut dort eine Meierei, die im Dezember in Betrieb geht.

Von 1948 bis 1989 wird auch Speiseeis unter der Marke „Mili“ produziert. 1989 kauft Schöller die Sparte.

1994 stellt Trittau als erste Meierei in Deutschland die „Längerfrische“ her, die gekühlt drei Wochen haltbar ist.

2006 wendet die Meierei das drohende Aus ab, investiert 2,4 Millionen Euro in neue Anlagen auf dem 18.000 Quadratmeter großen Firmengelände. Rund 60 Mitarbeiter liefern täglich bis zu 150.000 Liter Trinkmilch aus, außerdem Butter und Sahne.

2010 übernimmt Konkurrent Hansa-Milch (Hansano) die letzte freie Meierei in Schleswig-Holstein. Verwaltung und ein Teil der Produktion ziehen nach Uphal, in Trittau wird nur die Biomilch „Hamfelder Hof“ abgefüllt.

2011 schließen die neuen Besitzer das Werk zum 31. März. Die letzten zwölf Mitarbeiter bekommen Übernahmeangebote.

2013 kauft Edeka Süllau das Gelände.

2017 reißen Bagger die alte Meierei ab.

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Im Kampf gegen die Branchenriesen wie Langnese hatte es das „Mili“-Eis zunehmend schwer. 1989 wurde die Sparte an den Nürnberger Hersteller Schöller verkauft. Der gehört mittlerweile zum Nestlé-Konzern.

„Die Meierei hat etliche Chancen ausgelassen“

Den Anspruch, als kleine Firma immer einen Schritt vor den anderen zu sein, unterstrich die Meierei Trittau noch einmal mit der „Längerfrischen“. 1994 verkaufte sie die dank einer speziellen Pasteurisierung bis zu drei Wochen haltbare Frischmilch als Erstes in Deutschland. „Ein Kollege aus Holland hatte sie mehreren Unternehmen angeboten, doch niemand wollte sie haben“, sagt Heinrich Gosch. Er selbst probierte die Produktprobe Tag für Tag. Sein Fazit: „Eine gute Milch, die bis zuletzt einwandfrei schmeckte.“

Bis die erste Tüte verkauft wurde, vergingen aber noch zwei Jahre. „Die Behörden wollten die Milch nicht als frisch zulassen“, sagt Gosch, und kann sich darüber auch heute noch ärgern. Hilfe kam ausgerechnet von der oft gescholtenen EU: Dank des schleswig-holsteinischen Europaabgeordneten Reimer Böge (CDU) sei der Durchbruch gelungen.

Danach habe die Meierei etliche Chancen ausgelassen, so der ehemalige Geschäftsführer. Und so ist sie endgültig Geschichte, macht Platz für einen Supermarkt-Neubau.

2017: Damit es beim Abriss nicht so staubt, kommt Wasser zum Einsatz
2017: Damit es beim Abriss nicht so staubt, kommt Wasser zum Einsatz © HA | Harald Klix

Still sieht ein Mann vom Parkplatz am Freibad zu, wie der Abrissbagger die Fabrikhallen plattmacht. „Da hab’ ich elf Jahre gearbeitet“, sagt der Zaungast wehmütig, „als Tankwagenfahrer.“ Eine schöne Zeit sei das gewesen in einer guten Firma. „Da wäre ich gern alt geworden.“ Heute lenkt er Schulbusse für die Autokraft. „Das tut schon weh“, sagt er beim Blick auf die einstürzenden Mauern. Auch für ihn hätte es nicht so weit kommen müssen ...