Ahrensburg. 7500 von ihnen leben allein in Stormarn mit dem ständigen Risiko, in Geldnot zu geraten oder sind auf staatliche Hilfe angewiesen.
Obwohl die Wirtschaft brummt und die niedrigsten Arbeitslosenquoten seit der deutschen Einheit gemessen werden, meldet der Paritätische Wohlfahrtsverband einen historischen Höchststand der Armutsquote von 15,7 Prozent. Laut aktuellem Armutsbericht der Bundesregierung verfügen Arbeitslose und Alleinerziehende über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Überraschend ist dabei der hohe Anteil der Alleinerziehenden. Wie stellt sich deren Situation in Stormarn dar? Im Kreis haben 7551 alleinerziehende Elternteile ein erhöhtes Armutsrisiko – mit steigender Tendenz. Ebenfalls betroffen ist nach einer Auswertung des Stormarner Kreisverbandes des Deutschen Kinderschutzbundes jedes sechste Kind. Das sind rund 7000 Heranwachsende, denen oft das nötige Geld für eine soziale Teilhabe fehlt.
Als das zweite Kind unterwegs war, folgte die Trennung
Armut war für Marianne Edelmann (Name von der Redaktion geändert) lange Zeit nicht mehr als ein theoretischer Begriff. Als ausgebildete Physiotherapeutin leitete sie drei Wirbelsäulenzentren mit bis zu 24 Mitarbeitern und einem Durchlauf von 100 Patienten am Tag.
Als die 36-Jährige ungeplant schwanger wird, steigt sie in die Firma ihres Mannes ein und arbeitet dort zunächst unentgeltlich und ohne festen Vertrag. Zusätzlich schießt Edelmann eine größere Summe von einem Privatkonto in das Projekt Selbstständigkeit. „Im Nachhinein war das ein großer Fehler“, sagt Marianne Edelmann heute. „Wir trennten uns, als ich mit unserem zweiten Kind schwanger war.“ Was nun folgt, hätte sich die ehemalige Geschäftsführerin so nie vorstellten können. Ohne Unterhalt war das Konto schnell leer. Sie klagte erst spät gegen ihren Mann auf Unterhalt. Doch rückwirkend konnte sie keine Ansprüche geltend machen. Nun droht das nächste Problem: Sobald das jüngste Kind drei Jahre alt ist, entfällt der sogenannte Basisunterhalt.
Das Kitasystem sei zu unflexibel, sagt eine betroffene Mutter
Als Folgen der Unterhaltsrechtsreform von 2008 ist es einer Frau nach einer Trennung auch mit Kindern zuzumuten, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. In der Realität gestaltet sich das allerdings offenbar schwierig. „Ich kann unmöglich wieder in meinen alten Beruf zurück“, erzählt die zweifache Mutter. „Ich bin in einer sich extrem schnell entwickelnden Branche seit sechs Jahren aus meinem Job raus. Und ich habe 50 bis 60 Stunden in der Woche gearbeitet. Das geht nun nicht mehr.“ Ein Grund sei das unflexible Kitasystem in Schleswig-Holstein. Edelmann: „Eine Vollzeitbetreuung ist hier in Glinde nicht möglich. Wenn ich mehr will, muss ich die Gruppe wechseln. Das möchte ich meinen Kindern ungern zumuten, da sie besonders diese Konstante in ihrem Leben brauchen. Zusätzlich sind die Betreuungskosten sehr hoch.“
Die Arbeitszeiten sind in vielen Jobs nicht familiengerecht
Solche Sorgen kennt auch Kerstin Ackermann, die im Gutshaus Glinde einen Treff für Alleinerziehende leitet. Alleinerziehende fänden sich mittlerweile in jeder fünften Familie, viele hätten Probleme dadurch. Daher sei es besonders wichtig, in der Gruppe Verständnis zu wecken und gemeinsame Unternehmungen zu machen. „Armut ist ein großes Thema bei Alleinerziehenden“, sagt die 53-Jährige. „Viele haben sich durch die Trennung verschuldet. Vollzeitarbeit ist schwierig, da die Arbeitszeiten oft nicht familiengerecht sind. Und selbst dann reicht das Geld nicht aus, weil die typischen Frauenberufe schlecht bezahlt werden.“ Demnach könne die Grenze von 1225 Euro, die ein Elternteil rechnerisch mit einem Kind unter 14 Jahren benötigt, trotz Arbeit nicht erreicht werden.
Dies bestätigt auch der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. darin heißt es: „Bemerkenswert ist, dass die Armutsquote der Alleinerziehenden steigt, obwohl ihre Erwerbstätigenquote seit Jahren zunimmt“. Hinzu komme, dass viele Frauen während ihrer Ehe einer Teilzeitbeschäftigungen nachgehen und sich um die Erziehung der Kinder und die Pflege Angehöriger kümmern.
Auch Seda Petrowa ist auf Hilfe angewiesen
„Hier herauszukommen ist schwer“, sagt Kerstin Ackermann. „Oft muss der Verdienst vom Sozialamt aufgestockt werden. Altersarmut ist eine wahrscheinliche Folge.“ Ein Los, das auch Seda Petrowa (Name geändert) mit vielen Alleinerziehenden teilt. Die 34-Jährige kam vor 15 Jahren aus Tschetschenien nach Deutschland, schulte hier zur Verkäuferin um. Mit ihrem Vollzeitjob schaffte sie es bald, ohne staatliche Hilfe auszukommen und von einer Notunterkunft in eine eigene Wohnung zu ziehen. Ihren Mann heiratete die Muslima nach islamischem Recht und bekam eine kleine Tochter. Als die Familie auseinanderbrach, hatte Petrowa keinen Unterhaltsanspruch, kann in ihrem Job als Verkäuferin nicht mehr flexibel arbeiten. Petrowa schulte zur Seniorenbegleiterin um, arbeitet nun 20 Wochenstunden in einem Seniorenheim.
„Ich bin gern hier und freue mich, anderen Menschen helfen zu können“, sagt sie zum Abendblatt. „Schwierig sind für mich aber die Arbeitszeiten. Da der Kindergarten in Reinbek abends um halb sechs schließt, muss ich meine Tochter zu jeder Spätschicht mitnehmen.“ Außerdem sei sie nun auf staatliche Hilfe angewiesen. „Ich verdiene ungefähr 700 Euro netto, 408 Euro kommen als Zuschuss dazu. Wenn ich alle monatlichen Ausgaben abziehe, bleiben uns das Kindergeld, der Unterhaltsvorschuss und 100 Euro vom Jobcenter zum Leben.“
Viele Kindern bleibt die soziale Teilhabe dauerhaft versagt
Nach aktuellen Zahlen des Kinderschutzbundes leben acht Prozent der Kinder in Stormarn von Hartz IV. Oder in einer Familie, deren Gehalt aufgestockt werden muss. Was für andere selbstverständlich sei, könnten sich viele Alleinerziehende nicht leisten, beobachtet auch Andrea Schulz, Leiterin vom Kinderhaus Blauer Elefant in Bargteheide. Der Sportverein, ein Klassenausflug oder das Erlernen eines Musikinstruments sei nicht möglich. Schulz: „So ist die Teilhabe an der Gemeinschaft mit Gleichaltrigen eingeschränkt. Das prägt. Vor allem, wenn dieser Zustand andauert.“
Wie geht die Alleinerziehende Marianne Edelmann mit dieser Situation um? „Das Leben geht auch nach der Trennung weiter“, sagt sie, „aber mit einer maximal schlechteren Qualität.“