Glinde. Die Lehrerin Yvonne Pohle kritisiert die Wiesenfelder Elterninitiative, die die Fusion der beiden Gemeinschaftsschulen verhindern will.

Vincent Hassenstein kann sich noch gut daran erinnern, wie er an der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld in Glinde abgelehnt wurde. „Mein Bruder war schon auf der Schule, und ich wollte auch da hin. Meine Noten waren gut, aber in Schrift hatte ich eine Vier, deshalb hat es nicht geklappt “, erzählt der 17-jährige, der heute Schülersprecher der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule ist. Auch Sarah Lachmann (16) wollte als Viertklässlerin unbedingt in die Sportklasse in Wiesenfeld, bekam aber keinen Platz. „Die Ablehnung haben meine Eltern mir gut verkauft. Aber das nimmt einen schon mit als Kind, ich war sehr enttäuscht.“

Sarahs Lehrerin Yvonne Pohle weiß, wie es in Kindern aussieht, die immer wieder erleben müssen, dass sie nicht gut genug sind. Sie kritisiert die Wiesenfelder Elterninitiative „Interessengemeinschaft – Schulvielfalt in Glinde“, die die geplante Fusion der beiden Gemeinschaftsschulen durch einen Bürgerentscheid verhindern will. „Deren Kinder haben nicht erleben müssen, wie es ist, an der Wahlschule im Heimatort abgelehnt und von den bisherigen Freunden ausgeschlossen zu werden“, meint die Pädagogin.

Schüler leiden unter dem Zweiklassensystem

Pohle unterrichtet seit zehn Jahren Mathematik, Deutsch und Technik an der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule. Die 43-Jährige hat oft miterlebt, wie Kinder und Jugendliche unter dem Zweiklassensystem an Glindes Gemeinschaftsschulen leiden. Im zweiten Halbjahr der vierten Klasse sei die Stimmung wegen der vielen Ablehnungen aus Wiesenfeld immer sehr gedrückt gewesen, erinnert sie sich an ihre Zeit als Grundschullehrerin in Neuschönningstedt. Eine Mutter habe ihr erzählt, dass sich ihr Kind einen ganzen Sommer lang Zuhause vergraben habe, weil die anderen Schüler immer gefragt hätten: „Auf welche Schule gehst du denn eigentlich?“ Auch im Freundeskreis ihrer beiden Kinder habe sie herzzerreißende Geschichten miterlebt.

„Die Mitglieder der Interessengemeinschaft gegen die Fusion sind nicht immer Eltern Glinder Schüler und deshalb auch nicht wirklich an der Schulstruktur der Stadt interessiert“, sagt Pohle. Denn zum Einzugsgebiet der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld gehören außer Glinde auch Reinbek, Oststeinbek, Trittau und weitere Umlandgemeinden. Es sei zwar verständlich, dass die Eltern ihren Kindern den unbequemen Schulwechsel an eine fusionierte Gemeinschaftsschule ersparen wollten. Doch die kurzzeitige Unbequemlichkeit schaffe eine gerechtere Schulsituation, argumentiert die Pädagogin und hat damit Glindes Politiker an ihrer Seite.

Denn trotz der Abschaffung der Haupt- und Realschule in 2007 gibt es in der Stadt nach wie vor ein dreigliedriges Schulsystem aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule Wiesenfeld mit Oberstufe sowie der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule ohne Oberstufe. Letztere ist deshalb unattraktiver und erhält weniger Anmeldungen. Sie muss zudem alle Kinder aufnehmen, die an den anderen beiden Schulen abgelehnt werden, was ihr den Ruf einer „Resteschule“ gebracht hat.

Debatte um Schulfusion lässt Anmeldezahlen sinken

In diesem Jahr entsprachen die Wiesenfelder Anmeldezahlen erstmals den Plätzen in den vorgesehenen vier fünften Klassen. Ein Rückgang, der auch der langen Debatte um die Schulfusion geschuldet ist. Noch vor fünf Jahren bewarben sich 180 Viertklässler um einen Platz, nur 99 konnten angenommen werden. Der damalige Schulleiter Volker Wurr erklärte den Erfolg so: „Unsere Profilklassen sprechen für uns, wir haben eine Oberstufe und die Schüler neun Jahre Zeit bis zum Abitur.“ Dass die Fusionsgegner nun angäben, die Schulvielfalt und Wahlfreiheit in Glinde erhalten zu wollen, verdrehe die Realität, meint Lehrerin Yvonne Pohle. Sie sagt: „Erst wenn Familien zwischen dem Gymnasium und der Gemeinschaftsschule entscheiden und sicher sein können, einen Platz an der gewünschten Schule zu bekommen, ist echte Vielfalt und Wahlfreiheit gegeben.“ Pohle wünscht sich eine „echte“ Gemeinschaftsschule für alle Kinder.

Streit um Fusion

Elf Millioen Euro hat Glinde in die Erweiterung der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld investiert. Die Arbeiten werden 2017 nach sechs Jahren abgeschlossen sein. Schon bei der Grundsteinlegung für das neue Unterstufenhaus im September 2014 protestierten Eltern und Lehrer gegen die Fusionspläne der Politik.

Die 720 Jungen und Mädchen werden ihre Neubauten nur kurz nutzen, sollen 2018 ans Schulzentrum umziehen und dort mit der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule (548 Schüler) fusionieren. Das Gymnasium zieht vom Schulzentrum an den Holstenkamp in die Räume der Wiesenfelder.

Eine Elterninitiative will die Fusion stoppen und hat den 24. September, dem Tag von Bundestags- und Bürgermeisterwahl, für einen Bürgerentscheid ins Auge gefasst. Die Interessengemeinschaft, gegründet von Eltern aus Wiesenfeld, muss jetzt 1298 Unterschriften sammeln, damit ihr Antrag auf ein Bürgerbegehren vom Kreis geprüft wird.

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Das gilt auch für die Schülerin Sarah Lachmann und ihre Freunde Winona Rehberg, Johann Sophie Seidensticker, Verena Schultis, Lea Böhnstedt und Sinan Tanrikulu. „Wenn wir hier eine Oberstufe hätten, würde ich bleiben,“ meint Sarah. Sie will in Hamburg Abitur machen und nimmt dafür einen weiten Fahrweg in Kauf, obwohl ihre Bewerbung für die Oberstufe in Wiesenfeld erfolgreich war. Die Debatten um die Fusion hätten ihr gezeigt, dass sie dort nicht gewollt sei. Sarah sagt: „Die haben eine doofe Einstellung und Vorurteile.“

Eine reine Kooperation in der Oberstufe biete keine Chancengleichheit. Die gebe es erst durch ein gemeinsames Aufnahmeverfahren, sagt Yvonne Pohle, und das sei rechtlich nur in einer fusionierten Schule möglich. Derzeit trage die Sönke-Nissen-Schule auch die Last der DAZ-Klassen allein, in der Kinder von Geflüchteten Deutsch als Zweitsprache lernen. Wütend macht es die Lehrerin, wenn man ihrer Schule unterstellt, sie habe kein gutes Konzept: „Wir haben die schwierigeren Schüler, da braucht man sehr gute Konzepte.“