Bad Oldesloe. Neue Zahlen: Rund 25 Prozent mehr Fälle festgestellt. Nachweis ist häufig schwierig. Ermittler gehen von „riesiger“ Dunkelziffer aus.
Die Zahlen, die das Landespolizeiamt am Dienstag bekannt gab, haben es in sich: Die Polizei erwischt in Schleswig-Holstein immer mehr Autofahrer mit Handy am Steuer. Im vergangenen Jahr habe sie 11.507 Autofahrer bei Handyverstößen ertappt. Im Vergleich zu 2015 bedeutete dies eine Steigerung um 24,4 Prozent. Wegen des deutlichen Anstiegs werde die Landespolizei diesen Schwerpunkt weiter verstärken. Bereits Mitte März seien im Rahmen einer landesweiten Kontrolle erneut 800 Fahrer beim Tippen und Telefonieren erwischt worden.
Nicht genau sagen lässt sich allerdings, wie oft Handys am Steuer Unfallursache sind. In der Statistik werden diese Fälle unter „Andere Fehler“ eingeordnet, erklärte der Polizeisprecher. Diese Kategorie werden bei zwölf Prozent aller Unfälle als Ursache festgestellt. Dazu dürften viele Ablenkungs- und Handyunfälle zählen. Das Hantieren mit einem Handy am Steuer ist verboten und wird mit einem Bußgeld von 60 Euro und einem Punkt bestraft. Das Verbot gilt sowohl für das Telefonieren als auch für das Schreiben von Texten.
Polizei sieht Zusammenhang mit Unfällen
In Stormarn und im Herzogtum Lauenburg wurden während 3252 Fahrzeuge kontrolliert. „Dabei haben wir 186 Nutzer auf frischer Tat ertappt“, sagt Hauptkommissar Kay-Uwe Güsmer von der für Stormarn zuständigen Polizeidirektion Ratzeburg. Darunter seien 126 Männer und 60 Frauen gewesen.
Erst im März hatte die Polizeidirektion den Verkehrssicherheitsbericht für Stormarn mit Zahlen aus dem Jahr 2016 vorgestellt. Die Zahl der Unfälle ist mit 6120 um knapp fünf Prozent gestiegen, die der Schwerverletzten um 24 auf 126. Außerdem kamen mit neun Menschen vier mehr als im Vorjahr ums Leben. Die beunruhigende Erkenntnis dabei: „Wir haben Hinweise darauf, dass Ablenkung gerade durch Smartphones für den Anstieg der schweren Unfälle mitverantwortlich ist“, so Verkehrsexperte Kay-Uwe Güsmer.
Nachbarländer erfassen die Fälle bereits systematisch
Das Problem: Ablenkung am Steuer wird nicht systematisch erfasst. „Es gibt dafür kein Kästchen bei der Unfallaufnahme“, sagt Güsmer. Unfallforscher wie Jörg Kubitzki vom Allianz Zentrum für Technik (AZT) kritisieren das seit Langem: „Das ist in Nachbarländern wie Österreich und der Schweiz längst üblich“, so der Wissenschaftler. Einer Ende 2016 veröffentlichten Studie des AZT zufolge hat Ablenkung Alkohol als Unfallursache Nummer eins abgelöst (wir berichteten). Bei den Gründen für eine Ablenkung steht das Telefonieren am Steuer ganz oben, gefolgt von der Navi-Bedienung sowie Lesen und Tippen von Textnachrichten. „Auch telefonierende oder betrunkene Mitfahrer, intensive Gespräche, Streit und die Einstellungen von Spiegel und Sitz spielen eine große Rolle“, so Kubitzki.
Die Polizei will verstärkt gegen die Sünder vorgehen. Allerdings ist der Nachweis eines Gesetzesverstoßes nicht immer einfach zu führen. „Wenn es konkrete Verdachtsmomente gibt, können auch die Verbindungsdaten ausgelesen werden“, so Kay-Uwe Güsmer. Marco Hecht-Hinz von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gibt jedoch zu bedenken, dass dies verhältnismäßig und mit knappen Ressourcen auch zu schaffen sein muss. „Das geht nicht bei jedem leichten Auffahrunfall“, so der Gewerkschafter. Gerade wenn der Autofahrer die Kooperation verweigert und erst ein Gerichtsbeschluss beantragt werden muss, könnten Monate vergehen, bis das Gerät ausgelesen sei. Die Dunkelziffer sei dadurch vermutlich „riesig“. Denn wer zugibt, abgelenkt gewesen zu sein, nehme zumindest eine Teilschuld auf sich, so der Vorsitzende der GdP-Regionalgruppe Lauenburg-Stormarn.
Beim Blitzermarathon ist Schleswig-Holstein nicht dabei
Ende vergangenen Jahres hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt eine Verschärfung des Handy-Paragrafen (§ 23 der Straßenverkehrsordnung) ins Spiel gebracht, die eine Erhöhung der Strafen von jetzt 60 auf bis zu 200 Euro und auch eine explizite Nennung von Geräten wie Tablets vorgesehen hätte. Geschehen ist seither jedoch nichts. Für Marco Hecht-Hinz ist hingegeben vor allem mehr Personal nötig, damit die flächendeckende Überprüfung der Autofahrer möglich ist. „Kontrolldruck bringt am meisten“, sagt der Beamte der Ahrensburger Polizei-Zentralstation. Die TISPOL-Kontrollen begrüßt er – vor allem, weil sich die zusätzliche Belastung der Beamten so besser verteilen lasse. Konzentrierte Kontrollen wie der ursprünglich bundesweit angedachte Blitzermarathon am heutigen 19. April seien hingegen kaum noch zu stemmen, so der Gewerkschafter.
Laut Jürgen Börner vom Landespolizeiamt sind vor allem organisatorische Belange Grund für die Absage. „Bisher hat Nordrhein-Westfalen die Koordination des bundesweiten Blitzermarathons übernommen. Die sind in diesem Jahr selbst nicht dabei, außerdem ergeben Kontrollen vor Schulen und Kindertagesstätten während der Ferien keinen Sinn“, so der Sprecher. Mit der TISPOL-Kontrollwoche, die am Ostermontag mit dem Schwerpunkt Geschwindigkeitsüberschreitung begonnen hat, gebe es einen guten Ersatz.
Der Termin für den nächsten Schwerpunkteinsatz zum Thema Ablenkung und Gurtpflicht steht übrigens auch schon fest: Für die Zeit vom 11. bis zum 17. September ist die nächste Kontrollwoche angesetzt.