Kreis Segeberg. Schuldfrage: Polizei will Smartphones von Autofahrern sicherstellen und auslesen, wenn es zu einer Kollision gekommen ist.
Ein Klingelton, ein Vibrieren – reflexartig richtet sich der Blick des Autofahrers zum Smartphone. Ablenkung durchs Mobiltelefon, Navigationsgerät oder andere Technik ist für etwa jeden zehnten Unfall mit Getöteten verantwortlich, belegt eine Verkehrsstudie des Allianz-Zentrums für Technik (AZT). Dennoch steigt die Zahl der Autofahrer, die mit einem Handy am Ohr unterwegs sind. Ertappte die Polizei im Kreis 2010 noch 299 Fahrzeugführer beim Telefonieren ohne Freisprechanlage, so waren es im Jahr 2016 schon 666.
Dabei war die Zahl der Kontrollen im vergangenen Jahr vergleichsweise gering, weil die Polizei mit der Bekämpfung der Einbruchskriminalität und der Bewältigung des Flüchtlingsansturms belastet war.
Auffahrunfälle, aber auch das Abkommen von der Fahrbahn auf gerader Strecke seien typische Folgen bei Handynutzung, sagt der Verkehrsexperte des Norderstedter Polizeireviers, Kai Hädicke-Schories. Auf den ersten Blick seien immer mehr Unfälle nicht zu erklären. Dazu gehöre auch das Überfahren von Verkehrsinseln oder manche Kollision, nach denen die Polizei von einem Autofahrer höre: „Den habe ich nicht gesehen.“ Inzwischen gehen die Unfallermittler davon aus, dass Ablenkung durch technische Geräte immer öfter zu diesen scheinbar rätselhaften Unfällen führt.
Viele greifen im Auto zum Handy
Hädicke-Schories spricht von einem Problem, das in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen habe. Am Anfang waren es zumeist junge Autofahrer, die mit einem Handy am Steuer auffielen. „Inzwischen sind alle Altersgruppen betroffen“, sagt der Verkehrsexperte. Selbst das Antippen eines Navis lenke ab. Erhöht werde die Gefahr durch das wachsende Tempo im Straßenverkehr und Zeitdruck.
„Wer bei 100 Kilometern pro Stunde zwei Sekunden auf das Handy schaut, fährt über 50 Meter blind“, lautet eine Regel bei der Polizei. Das Schreiben von Textnachrichten erhöhe die Unfallwahrscheinlichkeit sogar um das 23-fache. Jörg Kubitzki, Co-Autor der Allianz-Studie, sagt, innerhalb der Unfallursachen durch Ablenkung belege das Telefonieren der Häufigkeit nach immer noch Platz eins gefolgt von Einstellungen am Navi, wobei auch fest eingebaute Geräte gemeint sind. Danach folge das Lesen und Tippen von Nachrichten, das besonders für schwere Unfälle verantwortlich gemacht wird.
Zu den anderen unfallträchtigen Ablenkungen am Steuer zählt der Unfallexperte telefonierende oder betrunkene Mitfahrer, intensive Gespräche oder ein Streit während der Autofahrt, gefolgt von Einstellungen an Spiegel oder Sitz. Die Betreuung von Kindern oder kranken Angehörigen sei hingegen nicht problematisch. Ihre Anwesenheit sorge für eine defensivere Fahrweise und damit weniger Unfallgefahr, so Kubitzki.
In einer repräsentativen Umfrage der Allianz geben 74 Prozent der Fahrer zu, durch die Nutzung fest verbauter Technik im Auto abgelenkt zu sein. Immer noch 46 Prozent räumen Handyverstöße ein, wovon 24 Prozent Textnachrichten während der Fahrt lesen, 15 Prozent schreiben auch welche.
Hädicke-Schories hält gesetzliche Neuerungen für sinnvoll. Bislang habe die Polizei keine rechtlichen Möglichkeit, Handys nach Unfällen sicherzustellen und auszulesen. Auf diesem Wege könne ermittelt werde, ob und wie das Gerät zum Zeitpunkt des Unfalls genutzt worden ist. Lediglich nach schweren Unfällen darf das Smartphone beschlagnahmt werden – wenn eine Anordnung vom Staatsanwalt vorliegt.
Wer telefonierend am Steuer erwischt wird, muss ein Bußgeld von 60 Euro zahlen und wird mit einem Punkt beim Kraftfahrtbundesamt bestraft.