Köthel/Wentorf. Vor fast 30 Jahren wurden die Frauen in Köthel und Wentorf getötet. Jetzt setzen Ermittler Hoffnung auf DNA-Spuren an den Asservaten.
Der blutverschmierte Kopf der leblosen Frau ragte aus einem halb geöffneten Autofenster. Die Taxifahrerin wurde auf brutale Weise getötet. Eine Kollegin wurde in einen Kofferraum gesperrt, das Auto angezündet. Wer hat Rosemarie Hirt und Ingrid Grimm ermordet? Seit fast 30 Jahren sucht die Polizei nun schon nach Antworten auf diese Frage. Jetzt werden beide Fälle neu aufgerollt. Die Kriminalpolizei hofft, neue Spuren finden zu können, die zum Mörder der beiden Frauen führen.
Es ist mittlerweile etwa ein Jahr her, dass die sogenannte Cold Case Unit (CCU) beim Landeskriminalamt in Kiel gegründet wurde. Die Ermittler dieser Einheit beschäftigen sich mit Kapitalverbrechen, die nicht aufgeklärt werden konnten. 183 solcher Taten gibt es landesweit im Norden. Doch auch die vier Mordkommissionen in Schleswig-Holstein bearbeiten ungeklärte Fälle, wenn gerade keine aktuellen Ermittlungen zu Fällen anstehen. So haben sich die beiden Kriminalhauptkommissare Welf Szebrowski (41) und Matthias Hölzen (39) von der Lübecker Mordkommission die Morde an den beiden Taxifahrerinnen Rosemarie Hirt und Ingrid Grimm vorgenommen.
Der Mörder stieg in Bergedorf in die Taxis seiner Opfer
Hirt starb im März 1988 in Wentorf, Grimm ein Jahr später im August in Köthel. Die Polizisten sind sicher, dass der Mörder in beiden Fällen derselbe ist. „Der Ort Wentorf spielt eine entscheidende Rolle“, sagt Welf Szebrowski. In beiden Fällen stieg der Mörder am Taxistand am S-Bahnhof Hamburg-Bergedorf in die Autos der Frauen.
Es ist der 21. März 1988, als Rosemarie Hirt gegen 19.15 Uhr auf Fahrgäste wartet. Kollegen beobachten, wie ein Mann in den hellen Mercedes der 46-Jährigen steigt. Es ist das letzte Mal, dass sie „ihre Rosi“ sehen. Denn nur wenige Minuten später, um 19.30 Uhr, machen Fußgänger in Wentorf eine grausige Entdeckung. An der Straße Am Petersilienberg steht das Taxi der gebürtigen Polin halb auf dem Gehweg. Die Fensterscheibe auf der Fahrerseite ist halb geöffnet, der blutverschmierte Kopf der Frau ragt heraus.
Rechtsmediziner stellen später fest, dass Rosemarie Hirt mit mehreren Messerstichen in Hals und Oberkörper getötet wurde. Das mutmaßliche Motiv des Täters: Er raubte das Portemonnaie der Frau. Ermittler sicherten zahlreiche Spuren im Taxi, darunter auch Zigarettenkippen, die im Aschenbecher lagen. In den darauf folgenden Tagen durchkämmen Bereitschaftspolizisten das Bergedorfer Gehölz. Die Polizei vermutet, dass der Täter durch dieses Waldgebiet flüchtete. Die Beamten suchen Zeugen, verteilen 1500 Fragebogen an die Einwohner von Wentorf.
„Die Kriminalpolizei arbeitete damals 177 Spuren akribisch ab“, sagt Matthias Hölzen. Doch keine davon führte die Ermittler zum Täter. „Wenn es sich um Zufallsopfer handelt, es also keine soziale Beziehung zwischen Täter und Opfer gibt, sind die Ermittlungen immer besonders schwierig“, sagt Hölzen zum Abendblatt. Zudem gibt es im Fall Hirt keine Tatzeugen.
Anders der Fall Grimm. Am 9. August 1989 fährt die 58 Jahre alte Ingrid Grimm Nachtschicht. In den frühen Morgenstunden wartet sie auf Fahrgäste am Taxistand am Bergedorfer Bahnhof. Gegen 6 Uhr beobachten Zeugen eine Rauchsäule im 30 Kilometer entfernten Köthel bei Trittau. Sie nehmen an, ein Landwirt verbrennt Holz auf einem Feld. Erst Stunden später wird klar, dass es sich um ein Auto handelt, das am Feldrand vollständig ausbrennt. Im Kofferraum liegt die Leiche der Taxifahrerin. „Wie die Frau genau gestorben ist, konnte man nicht mehr feststellen, dafür war der Leichnam zu sehr verbrannt“, sagt Kripomann Szebrowski. Sämtlich Spuren in dem Mazda 626 wurden durch das Feuer vernichtet.
Aber: „Es konnten eine Haarbürste und die Armbanduhr des Opfers wenige Meter neben dem ausgebrannten Taxi sichergestellt werden“, sagt der Lübecker Ermittler. Und: Zeugen kamen mit dem Mörder in Kontakt. Rund drei Stunden später, gegen 9 Uhr, taucht ein fremder Mann im wenige Kilometer entfernten Sirksfelde an der Hauptstraße auf, bittet eine Anwohnerin um Wasser und bietet dafür sogar 50 D-Mark. Die spätere Zeugin schenkt dem Unbekannten eine Flasche Zitronenlimonade. Einen Autofahrer, der in dem Ort gerade Bekannte besucht, fragt der mutmaßliche Mörder, ob er ihn nach Wentorf fahren könne. „Er erzählte, dass seine Frau und seine Kinder gerade einen Unfall hatten und im Krankenhaus seien“, sagt Szebrowski. Der Zeuge stimmt zu. Er nimmt jedoch an, dass Nachbardorf Wentorf im Amt Sandesneben sei gemeint.
Täter lebte oder jobbte in oder nahe Wentorf, glaubt die Kripo
Der Unbekannte lenkt den Mann durch mehrere Gemeinden Richtung Süden. „An einer Kreuzung in Neuschönningstedt wurde es dem Autofahrer zu bunt, er ließ den Mann aussteigen“, sagt Szebrowski. Aus einer Telefonzelle rief der Unbekannte ein Taxi. Die Polizei findet später heraus, dass dessen Fahrer ihn nach Hamburg-St. Georg bringt. Weitere Ermittlungen ergeben, dass die Geschichte mit dem Unfall erfunden war. Mithilfe der Zeugen können die Beamten ein Phantombild von dem 30 bis 40 Jahre alten Mann erstellen lassen. Er hatte ein südländisches Aussehen, sprach akzentfrei deutsch. Auffällig waren seine braunen Cowboystiefel. Doch obwohl die Polizei 220 Spuren verfolgt, kann sie die Identität des Mannes nicht klären. Die Ermittler sind aber schon damals sicher, dass es einen Zusammenhang zwischen den Morden an Rosemarie Hirt und Ingrid Grimm gibt. Und: „Der Täter kennt sich offenbar gut aus in Wentorf und den umliegenden Gemeinden, lebte dort, oder hat dort gearbeitet“, sagt Matthias Hölzen.
Die Möglichkeit, DNA-Spuren zu sichern und diese später auszuwerten, haben die Ermittler damals noch nicht. Die Technik steckte Ende der 1980er -Jahre noch in den Kinderschuhen. Ferner war den Ermittlern nicht bekannt, dass später einmal selbst kleinste Hautpartikel ausreichen werden, um einen Täter zu überführen. Erst seit Dezember 1998 kann das LKA in Kiel DNA-Untersuchungen durchführen. Somit wurden bereits Anfang des Jahrtausends Asservate aus den Fällen Grimm und Hirt untersucht. Bei Hirt war es die sichergestellt Jacke, an der jedoch keine DNA festgestellt wurde.
Im Fall Grimm war es die Wasserflasche, die der Mann an einem Kiosk in Neuschönningstedt in einen Papierkorb warf. „Die Ermittler, die diesen Fall bereits 2005 neu aufrollten, hofften, dort eine Spur zu finden. Schließlich hielt der Verdächtige die Glasflasche während der Autofahrt in seinen Händen und trank auch daraus“, sagt Welf Szebrowski. Doch die Experten der Kriminaltechnik können keine DNA-Spuren mehr daran sicherstellen. Zunächst verschwinden beide Mordfälle wieder in den Schubladen der Kripo. Bis jetzt.
„Als erstes gucken wir, ob es Asservate gibt, die noch nicht untersucht wurden“, erklärt Kripomann Hölzen. Während heute mit moderner Computer-Software erfasst wird, wann was von wem untersucht wurde, Berichte in digitaler Form vorliegen, wurden damals oft handschriftliche Listen geführt. Darin steht auch, wo was aufbewahrt wird. „Da muss man schon mal Asservate zusammensuchen.“
Drei Asservate werden jetzt im LKA in Kiel auf DNA-Spuren untersucht
Bei den Ermittlungen zu den beiden Taxi-Morden stellten Lübecker fest, dass im Fall Hirt Zigaretten-Kippen bisher nicht untersucht wurden, im Fall Grimm, weder die Armbanduhr noch die Haarbürste, die neben dem ausgebrannten Taxi lagen. „Das Lederband war kaputt. Deshalb vermuten wir, dass der Täter die Uhr gewaltsam abgerissen hat“, sagt Szebrowski, der weiß, dass bei solchen Vorgängen fast immer DNA vom Täter an dem Gegenstand zurückbleibt.
Zudem war damals der Beifahrersitz im Auto des Zeugen, der den mutmaßlichen Täter nach Neuschönningstedt gefahren hatte, mit Klebefolie abgedeckt worden. Die Ermittler sicherten so Fasern, die mit der Kleidung eines Verdächtigen hätten abgeglichen werden können. Auch die Klebefolie wurde bislang kriminaltechnisch nicht nach DNA-Spuren untersucht. Diese drei Asservate werden derzeit beim LKA in Kiel untersucht. Ein Ergebnis steht noch aus.
Kann daran eine DNA gesichert werden, wird diese mit den Daten der DNA-Analysedatei (DAD) beim Bundeskriminalamt (BKA) abgeglichen. Dort sind mehr als eine Million Datensätze von Straftäter sowie von ungeklärten Kriminalfällen gespeichert. Entweder gibt es einen Treffer mit einem registrierten Täter, oder es kann ein Zusammenhang zu einem anderen Verbrechen hergestellt werden, das ebenfalls ungeklärt ist. Oder es gibt keine Übereinstimmung. Dennoch bleiben die Ermittler im Besitz des genetischen Fingerabdruck des mutmaßlichen Täters. „Wir gucken, in welche Richtung haben die Kollegen damals ermittelt, haben sie irgendetwas übersehen?“