Ahrensburg. Der Hoffnungsträger spricht in der Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule. 500 Besucher im Saal, Hunderte müssen draußen bleiben.
Als um 17.30 Uhr der Einlass eigentlich erst beginnen soll, ist der Alfred-Rust-Saal in der Ahrensburger Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule bereits wegen Überfüllung geschlossen. Das sorgt durchaus für Unmut unter den Wartenden, die sich einen Blick auf den Mann erhofft hatten, der derzeit als Heilsbringer der Sozialdemokratie gefeiert wird: Martin Schulz, Kanzlerkandidat und designierter Vorsitzender einer Partei, die nach der Bundestagswahl im September den Regierungschef stellen will. Rund 500 Ahrensburger und Bewohner der umliegenden Städten und Gemeinden haben es in den Saal geschafft – etwa die gleiche Anzahl muss draußen bleiben und enttäuscht wieder abziehen.
Was haben sie verpasst? „Den zukünftigen Kanzler.“ Nicht weniger bescheiden zumindest kündigt Tobias von Pein, der Ahrensburger SPD-Landtagsabgeordnete, Martin Schulz an. Der nimmt den Ball dankbar auf und lässt gleich zu Beginn seiner eigentlich als „kurz“ angekündigten Vorstellung keinen Zweifel daran, dass er fest entschlossen ist, die Nachfolge von Angela Merkel (CDU) anzutreten. Und wie zum Beweis, dass das auch klappen kann, berichtet Schulz von seinen Auftritten in den letzten Tagen und Wochen, in denen sein Satz „Ich erhebe den Anspruch, der nächste Bundeskanzler zu werden“ anfangs noch belächelt wurde – und jetzt eben nicht mehr.
4600 neue SPD-Mitglieder seit Martin Schulz Kandidat wurde
Was macht den Mann so attraktiv, dass er für einen derartigen Besucherandrang sorgen kann? Wie kommt es, dass er selbst dann tosenden Applaus bekommt, wenn er lediglich erzählt, dass er mittags mit seinem Parteifreund, dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig, zu Mittag gegessen hat? Die Studentin Antonia Pohlmann (21) aus Delingsdorf beschreibt das so: „Was er gesagt hat, war konkreter, als man es sonst von Politikern kennt.“ Auch Antje Klintzsch, eine 83 Jahre alte Rentnerin aus Bargteheide, ist sehr angetan: „Es war herzerfrischend“. Sie ist wegen Sigmar Gabriel aus der SPD ausgetreten und will nun wieder eintreten. „Martin Schulz würde sich selbst bei einer großen Koalition der CDU erwehren.“
Der Mann hat es geschafft, die lange Zeit im Umfragetief taumelnden Sozialdemokraten wieder zum Leben zu erwecken. Ihm ist es wohl auch zu verdanken, dass sich die alte Dame SPD über viele neue Mitglieder freuen kann. Mehr als 4600 sind es laut Generalsekretärin Katarina Barley seit Bekanntgabe der Kandidatur vor rund zwei Wochen.
Martin Schulz trifft offenbar den richtigen Ton
Vielen der an diesem Abend anwesenden Genossen zaubert ein siegesgewisses, fast verzücktes Lächeln ins Gesicht. Martin Schulz trifft offenbar den richtigen Ton. Seine Stimme klingt mal bedächtig und einfühlsam, im nächsten Satz dann wieder kämpferisch wie auf einer Mai-Kundgebung. „Es war überraschend, wie direkt er auf die Leute zugegangen ist“, sagt Justus Schalies (18), Schüler aus Lübeck. „Er hat die Alltagsprobleme nicht unterschätzt.“ Diese Alltagsprobleme sind es auch, mit denen er an diesem Abend den Bogen von der Steuerpolitik, von den Großkonzernen, die trotz maximaler Profite keine Steuern zahlen, über die Bildungspolitik und die Bedrohung der Demokratie durch „Lügenpresse“ rufende Populisten hin zum Thema Gerechtigkeit spannt. Immer wieder spricht er von „hart arbeitenden Menschen“ , deren Interessen er in den Mittelpunkt seiner Politik stellen wolle.
Schulz war elf Jahre lang Bürgermeister von Würselen in Nordrhein-Westfalen – eine Stadt, die nicht viel größer als Ahrensburg ist. Er zieht diesen kommunalpolitischen Trumpf gern bei seinen Auftritten in kleinen Städten. Der Stich, den er damit gewinnen will: Er, der zuletzt auf der großen europäischen Bühne zu Hause war, kennt eben auch die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort. „Alles – egal ob die Probleme der Jungen, der Alten, die öffentliche Sicherheit oder der Straßenverkehr – alles landet irgendwann im Rathaus“, ruft er in den Saal. „Das Rüstzeug, Bundeskanzler zu werden, lernt man im Rathaus.“
Er versucht sich nicht in ausweichenden Phrasen
Mit einer Rathaus-Thematik wird er auch von einer jungen Mutter in der dann doch sehr kurz geratenen Fragerunde konfrontiert. Sie möchte kein teures Kino in Ahrensburg, sondern stattdessen lieber mehr Kita-Plätze. Martin Schulz, der zu dem Ahrensburger Kino freilich keine konkrete Antwort geben kann, versucht es diplomatisch: „Ich hätte am liebsten beides“. Dafür gibt es Applaus von den Rängen. Und er signalisiert der Frau, die Kita-Problematik sehr ernst zu nehmen.
So reagiert er auch an anderer Stelle, als er keine konkrete Lösung anbieten kann. Er versucht sich nicht in ausweichenden Phrasen, sondern sagt: „Ich gebe Ihnen recht, ich kenne solche Fälle, wir müssen darüber nachdenken.“
Als sich nach knapp 90 Minuten der überfüllte Alfred-Rust-Saal wieder leert, ist es vor allem wieder dieses eine Wort, das den Zuschauern über die Lippen kommt, und das zu den meistgenannten Merkmalen zählt, die dem 61-Jährigen zugeschrieben werden: „authentisch“.