Rausdorf. Rüdiger Nehberg aus Rausdorf erzählt, wie er Weihnachten mit den Yanomami-Indianern verbracht hat und von anderen Abenteuern.
Last-Minute-Geschenke-Shopping, Christbaumschlagen, Menü-Planung, Verwandtenbesuche – bei vielen geht es in der Weihnachtszeit ziemlich abenteuerlich zu. Manch’ einem kommt es sogar vor, als gehe es ums nackte Überleben. Dabei sind die meisten Situationen nur halb so aufregend – vor allem im Vergleich zu den Erlebnissen eines echten Abenteurers. Oder haben Sie schon einmal Heiligabend eine Bananensuppe gegessen, die mit der Asche von Toten gewürzt war?
Rüdiger Nehberg hat es getan. Deutschlands wohl bekanntester Überlebenskünstler kann sich noch genau erinnern. „Ich war gerade auf einer meiner Touren bei den Yanomami-Indianern im Amazonasgebiet“, sagt der Rausdorfer. „Eines Tages hielten sie ihre traditionelle Totenfeier ab.“ Zufällig war das an einem 24. Dezember, irgendwann in den frühen 80-er Jahren.
Nehberg, der schon früh seine Liebe zu fernen Ländern und fremden Kulturen entdeckte, durfte an der Zeremonie teilnehmen. Auf dem Dorfplatz wurde der Gestorbene verbrannt. Danach suchten die Indianer die Knochenreste aus der Asche heraus und zerstießen sie in einem Mörser zu feinem Pulver. Das mischten sie unter eine Suppe aus Kochbananen. „Der Glaube der Yanomami besagt, dass mit diesem Ritual die Seele des Toten vom Lebenden beschützt wird“, erklärt Nehberg. Herrlich süßsauer habe sie geschmeckt, die Suppe, erinnert er sich. „Die Mahlzeit war sättigend und sehr kalziumreich. Das konnte ich gut gebrauchen“, sagt der Mann, dessen gesamtes Leben ein einziges Abenteuer zu sein scheint.
Alte Autofelgen hat er mal als Kuchenform benutzt
Dass Weihnachten vor der Tür steht, hat den 81-jährigen Rüdiger Nehberg nie vom Reisen abgehalten. „Die Atlantiküberquerungen habe ich sogar extra in diesen Zeitraum gelegt“, sagt er. „Dann besteht nämlich keine Gefahr, auf hoher See von einem Orkan überrascht zu werden.“ Das hätte tatsächlich schiefgehen können, denn Nehberg war bei der ersten Überfahrt auf einem selbstgebauten Tretboot unterwegs. Ganz allein. Mit der Aktion im Jahr 1987 wollte er auf die Unterdrückung und Ausbeutung der Yanomami-Indianer aufmerksam machen. Im Gepäck einen Brief von Amnesty International an den Staatspräsidenten. Seine Erlebnisreisen waren mittlerweile nicht mehr reiner Selbstzweck, sondern dienten dem Einsatz für Menschenrechte.
„Als ich da so vor mich hin strampelte, fiel mir plötzlich ein, dass ja Weihnachten ist“, sagt Nehberg. Er ist in Bielefeld geboren und mit zwei Geschwistern aufgewachsen. „Selbst nach dem Krieg, als wir kaum etwas hatten, hat meine Mutter aus gesammelten Zweigen einen Tannenbaum für uns gebastelt.“ Darauf besann sich Nehberg auf seinem Tretboot mitten im Atlantik. Mangels Nadelbäumen griff er kurzerhand zu den übrig gebliebenen Gräten seiner letzten Fischmahlzeit und baute aus ihnen ein Christbäumchen.
Der Grätenbaum ist heute eines von ungezählten Erinnerungsstücken, die in Nehbergs Zuhause, der ehemaligen Mühle in Rausdorf, einen Platz gefunden haben. Was fehlt, sind die Autofelgen, die dem gelernten Konditor vor rund 50 Jahren einmal als provisorische Tortenform dienten. „Das war in Jordanien. Meine Begleiter haben sich gewünscht, dass ich einen Weihnachtskuchen für sie backe.“ Dank Gummi-Form hat es geklappt.
Quer über den Atlantik an Silvester
Unecht waren auch die meisten Weihnachtsbäume, die Nehberg auf seinen Reisen durch Griechenland gesehen hat. Da ist ihm ein echter schon lieber. In den vergangenen Jahren hat Rüdiger Nehberg Weihnachten in Rausdorf gefeiert. Oft mit Bäumen aus dem eigenen Garten. „Das Wichtigste ist, dass er nicht perfekt ist“, sagt Annette Nehberg, mit der Rüdiger seit 2009 verheiratet ist. Das erste gemeinsame Weihnachten verbrachten sie zehn Jahre davor. „Silvester ist er dann zu seiner dritten Atlantiküberquerung auf einem massiven Baumstamm aufgebrochen“, erzählt Annette Nehberg. Ohne sie.
Die gelernte Arzthelferin aus Offenburg wusste, auf wen sie sich da einließ. Die beiden lernten sich bei einem von Nehbergs zahlreichen Vorträgen kennen. Längst ist die 57-Jährige nicht nur angetraute Ehefrau. Sie ist Geschäftspartnerin, Organisatorin und rechte Hand bei allen Projekten, die Menschenrechtsaktivist Nehberg betreut.
Für die Weihnachtsstimmung ist Anette Nehberg zuständig
Gemeinsam haben Nehbergs vor 16 Jahren Target e.V. ins Leben gerufen. Der Verein setzt sich weltweit für das Verbot weiblicher Genitalverstümmelung ein. Mit Erfolg: Wo die Menschenrechtsorganisation aktiv ist, geht der grausame Akt mehr und mehr zurück. Doch Rüdiger Nehberg ruht sich darauf nicht aus. „Ich will noch erleben, dass die Verstümmelung in Mekka zur Sünde erklärt wird.“ Das sei sein größter Wunsch. Und daran arbeitet er. Jeden Tag, oft bis spät in die Nacht.
Dass die Weihnachtsfeiertage in der Rausdorfer Mühle trotzdem festlich werden, dafür sorgt Annette. „Für mich hat Weihnachten eine große Bedeutung“, sagt sie. Sie ist es auch, die backt und kocht und Räume schmückt. Sie holt die Krippenfiguren ihres Großvaters heraus und baut ihnen liebevoll eine Unterkunft aus Holzscheiten und Moos. Sie zündet Kerzen an und freut sich auf den Besuch ihrer beiden Kinder. Sohn Roman reist aus Äthiopien an, wo er in der von Target e.V. gegründeten Geburtshilfeklinik arbeitet. Und Tochter Sophie kommt aus Rio de Janeiro.
Am Heiligen Abend gibt es bei Nehbergs traditionell Muscheln. Und zum Nachtisch Linzer Torte. „Obwohl Rüdiger die gar nicht mag“, sagt Annette Nehberg und lacht. Er habe sich bisher immer geweigert, davon zu probieren. Doch vielleicht lässt sich „Sir Vival“ ja in diesem Jahr auf das Abenteuer ein.