Rausdorf. Der Rausdorfer Rüdiger Nehberg spricht über Verhaltens- und Ausrüstungstipps und über einen Gürtel, der ihm schon das Leben rettetet.

Er ist Deutschlands bekanntester Überlebenskünstler und Menschenrechtler, wurde für sein humanitäres Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet: Rüdiger Nehberg alias „Sir Vival“, 81 Jahre alt und in Rausdorf im Kreis Stormarn beheimatet. Noch immer kämpft er mit seinem Projekt Target gegen die weibliche Genitalverstümmelung, setzt dabei auf einen Dialog mit dem Islam. Der Abenteurer hat die ganze Welt bereist, dreimal den Atlantik überquert – je einmal per Floß, Tretboot und auf einem Baumstamm. Nicht zu vergessen ein 600-Kilometer-Wettmarsch durch Aus­tralien gegen einen Aborigine oder der Aufenthalt bei den Yanomami-Indianern im brasilianischen Regenwald, die ihn mit dem Dschungel vertraut machten. 25 bewaffnete Überfälle hat der Menschenrechtler im Ausland überlebt. „Diese Art der Reisen sind vorbei, man muss sich seinen körperlichen Fähigkeiten anpassen“, sagt der 1,70 Meter große und 74 Kilogramm schwere Nehberg, der 30 Bücher geschrieben hat, darunter den Klassiker „Überleben ums Verrecken“, ein Survival-Handbuch. Im Hamburger Abendblatt gibt er Tipps, was Abenteurer auf ihren Reisen beachten müssen.

Der Abenteurer

Rüdiger Nehberg wurde 1935 in Bielefeld geboren, zog später in den Norden und wohnt seit 1980 in Rausdorf. 2009 heiratete er in zweiter Ehe Annette Weber. Abenteuerlust verspürte Nehberg, der von 1965 bis 1990 als selbstständiger Konditor in Hamburg arbeitete und 50 Mitarbeiter beschäftigte, schon als Jugendlicher. Im Alter von 17 Jahren radelte er von Hamburg nach Marrakesch.

Anfang der 70er-Jahre bezwang der Survival-Papst den bis dato unbefahrenen Blauen Nil, einen vor Krokodilen wimmelnden, reißenden Strom. Auch durchquerte er auf einem Kamel die Danakil-Wüste in Äthiopien.

1980 begann der Abenteurer, sich für die von der Ausrottung bedrohten Yanomami-Indianer in Brasilien einzusetzen, machte die Welt mit spektakulären Aktionen – Atlantik-Überquerungen mit Tretboot, Floß, massivem Baumstamm – auf die Missstände aufmerksam. 2000 wurde das im Regenwald lebende Urvolk anerkannt.

In jenem Jahrgründete Nehberg mit Ehefrau Annette die Menschenrechtsorganisation Target. Sie kämpfen gegen die Genital-Verstümmelung bei Mädchen und haben Erfolge erzielt: Führende islamische Rechtsgelehrte verurteilten die Praxis.

30 Bücher hat Nehberg geschrieben und hält noch heute Vorträge über seine Abenteuerreisen. 2002 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande für seine Menschenrechtsarbeit, sechs Jahre später das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

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1. Seekrankheit:
Das kann sowohl Abenteurer auf kleinen Schiffen als auch Reisende, die auf großen Kreuzfahrtschiffen unterwegs sind, treffen. Dagegen hilft frische Luft und Bewegung. Man steuert das Schiff so quasi mit. Empfehlenswert sind sogenannte Scopoderm-Pflaster, die man hinters Ohr auf das Gleichgewichtsorgan klebt. Das beruhigt. Ich habe das bei meiner Atlantik-Überquerung auf dem Floß gemacht. Das Pflaster hält drei Tage.

2. Schuhwerk:
Es sollte immer den Gegebenheiten angepasst werden. Wer durch den australischen Busch geht, benötigt festes Schuhwerk wegen der Dornen. Im Urwald, wo der Untergrund schlammig ist, sind Kunststoffsandalen ratsam. Die kann man schnell mal auswaschen. In heißen Gebieten sind weite Schuhe zu bevorzugen. Werden sie dennoch zu eng, schneidet man Löcher rein. Sonst gibt’s Blasen.

3. Fahrradurlaub:
Wichtig ist, nicht zu viel Gepäck mitzunehmen. Jedes Kilo kostet Kraft. Keine unnötigen Lebensmittel mitnehmen, wenn man sie vor Ort erwerben kann. Wasser kauft man in Kunststofflaschen. Dann ist es problemlos trinkbar. Egal, ob die Tour durch Deutschland führt oder im Ausland und wärmeren Gebieten zurückgelegt wird: Zu Hause sollte man dafür trainieren, um zu schauen, wie der Körper auf Belastung reagiert. Das Fahrrad muss stabil und man selbst in er Lage sein, es auch zu reparieren. Gut macht es sich, eine Landesfahne neben der deutschen Flagge am Fahrrad zu haben.

4.Kleidung:
In warmen Regionen immer lockere Baumwollkleidung anziehen, Hemden mit langen Armen und eine Kopfbedeckung gegen den Sonnenbrand.

5. Reisevorbereitung:
Im Internet kann man sich heute über alle Arten von Reisen informieren, das macht Sinn. Wichtig sind auch Impfungen. Wo welcher Schutz nötig ist, darüber gibt das Tropeninstitut Auskunft. Man kann eine Versicherung für Rückholaktionen abschließen für den Fall, dass man sich verletzt. Wer in Krisengebiete fährt, informiert sich aktuell auf der Webseite des Auswärtigen Amtes.

6. Hilfsmittel im Urlaub:
Im Abseits der Welt sollten ein Handy und GPS immer dabei sein, dazu eine Landkarte, wenn die Technik versagt. Ich trug in gefährlichen Regionen stets einen Überlebensgürtel. Inhalt: Dolch, Revolver, Kompass, Feuerzeug, Angelhaken, Vokabelliste und Taschenlampe. Oder auch Medikamente. Den Gürtel packt sich jeder individuell. Für mich war er eher wie ein Körperteil und keine Ausrüstung. Ich trug ihn Tag und Nacht. Im brasilianischen Urwald unter Goldsuchern galt das Gesetz des Stärkeren, da war eine Waffe ratsam. Die kann man sich vor Ort auf dem Schwarzmarkt besorgen.

7. Gesetze beachten:
Wer in ein fremdes Land reist, sollte immer wissen, welche Gesetze dort gelten. Zum Beispiel macht man sich in Singapur strafbar, wenn man Zigarettenkippen auf die Straße schmeißt.

8. Sprachen lernen:
Spanien- oder Griechenlandurlauber sollten zumindest die 100 wichtigsten Vokabeln draufhaben. Dazu zählt die Begrüßung und Begriffe wie teuer, gut, schlecht, danke. Wer sich darüber hinaus schlaumachen möchte, sollte Kurse bei einer Volkshochschule besuchen. Gut ist es auch, bei längeren Aufenthalten ein Handlexikon dabeizuhaben oder auf eine entsprechende App auf dem Handy zurückgreifen zu können. Wenn man zu Beduinen in die Wüste reist, sollte man Wörter wie Palme oder Wasser kennen, bei den Innuit kalt und warm.

9. Auftreten in fremden Ländern:
Überall gelten andere Gepflogenheiten. In manchen Ländern ist es nicht üblich, sich bei der Begrüßung die Hand zu reichen. Woanders ist es nicht ratsam, Kinder zu streicheln. Oder sich politisch zu äußern. Aber überall gilt Lächeln als wichtiger Erstkontakt. Das gilt nicht für Frauen. Bei ihnen wird es als Anmache gewertet.

10. Ein Tipp vor allem für Frauen:

Eine Stecknadel unterm Hemdkragen kann eine entscheidende letzte Notwehrwaffe sein, um sich vor Vergewaltigungen zu schützen. Frauen sollten lieber zu zweit reisen, wenn es in einsame Gegenden geht, sich in Selbstverteidigungskursen stärken oder auch einen Ehering tragen, wenn sie alleine unterwegs sind. Das signalisiert, schon vergeben zu sein.

11. Geld im Urlaub:
Auf Pauschalreisen zum Beispiel nach Mallorca wird gerne mit Karte gezahlt, das ist in Ordnung. Aber es gibt Gebiete auf der Erde, wo es keine Banken gibt. Das habe ich auf vielen meiner Reisen erlebt. Dorthin immer Bargeld mitnehmen und an mehreren Stellen am Körper verstecken. Wenn man ausgeraubt wird, dann nicht lange debattieren, sondern ein Paket rausrücken. Als Tourist wird einem nie geglaubt, dass man kein Geld dabei hat. Dann kann ein Raub schnell eskalieren.

12. Testament:
Sollte man vor jeder Reise aktualisieren. Gefahren lauern überall. Ich habe mein erstes Testament schon im Jugendalter gemacht, als ich nur ein Fahrrad besaß.

13. Kunst der Bestechung:
Man muss lernen, wie man in einigen Ländern richtig korrumpiert. Zum Beispiel, wenn die Klinge des Taschenmessers einen Zentimeter zu lang ist und man von einem Polizisten angebrüllt und mit Gefängnis bedroht wird. Dann sollte man schnell einen Zehn-Euro-Schein unter vier Augen rausrücken. Aber in den allermeisten Fällen erlebt man nur Positives. Sonst würde man nicht reisen. Deshalb hatte ich oft eine Mundharmonika dabei. Oder Zaubertricks. Damit revanchiert man sich für die große Gastfreundschaft, die man meistens erlebt.

14. Hilfe vor Ort:
In unsicheren Gebieten ist es ratsam, einen einheimischen Führer dabei zu haben. Jedes Stück Erde der Welt gehört irgendjemandem. Was ich damit sagen will: Ich kann nicht einfach so durch ein fremdes Land reisen und davon ausgehen, dass mir nichts passiert. Wer sich beispielsweise ohne Begleitung in die Danakil-Wüste begibt, gilt als vogelfrei. Dem darf man alles wegnehmen. Am Blauen Nil ist der Beruf des Räubers ehrbar.

Dieser Gürtel rettete Nehbergs Leben

Rüdiger Nehbergs Überlebensgürtel
Rüdiger Nehbergs Überlebensgürtel © HA | René Soukup

Es waren fünf Tage voller Angst. So lange ist Rüdiger Nehberg auf der Flucht vor Banditen gewesen, die 1975 am Blauen Nil seinen Freund Michael Teichmann erschossen und die Zeugen der Tat eliminieren wollten. Erst dann konnten die Kriminellen dank des Einsatzes äthiopischer Soldaten dingfest gemacht werden.

Nehberg und sein weiterer Begleiter, der Schweizer Andor Scholtz, blieben bei dem Überfall un­ver­sehrt, weil sie einen Überlebensgürtel trugen, der mit einem Revolver bestückt war. Die Abenteurer schossen zurück und nutzten den Moment der Verwirrung, um zu entkommen. Den Gürtel hat Nehberg in seinem Haus in Rausdorf aufbewahrt. Neben dem Revolver ist er unter anderem mit einem Messer, Kompass, Zwirn und Feuerzeug bestückt.

Der Survival-Experte hat Überlebensgürtel auf all seinen Expeditionen dabei gehabt. Für ihn sind die Stücke wie ein Körperteil. Auch in der Nacht hat er den Gürtel nie abgenommen. Welche Utensilien zu dem sogenannten ÜGÜ gehören, hängt von verschiedenen Faktoren ab: dem Geschlecht, Alter, Erfahrung in Sachen Abenteuerreisen und natürlich der Region. So macht es einen Unterschied, ob die Wüste oder der Regenwald durchquert wird. Nehberg hat noch nie zwei gleiche Gürtel mitgehabt. Den ÜGÜ hält er bei Einzelreisenden für das wichtigste Ausrüstungsteil.

In seinem Survival-Handbuch „Überleben ums Verrecken“ schreibt Nehberg über den Überlebensgürtel: „Es muss keinesfalls ein regelrechter Gürtel sein. Eine Hose mit großen verschließbaren Taschen oder ein ebensolches Hemd erfüllen auch ihren Zweck. Selbst eine Survival-Unterhose kann zum Lebensretter werden, weil sie das Letzte ist, das man rausrücken muss.“

Nehberg habe immer wieder gern die stabilen Kunststoffgürtel der Bundeswehr genommen. „Um den Gürtel kann man 20 Meter Reepschnur wickeln. Drei bis fünf Millimeter stark. Seil kann man nie genug dabeihaben“, heißt es in dem Buch.