Die Kirchengemeinderatswahl ist eine Chance, die Vertreter wieder an einen Tisch zu bringen. Zukunft von St. Johanneskirche ungewiss.

Das Motto lautet „Mitstimmen“, der Zusatz „Mit Ihren Kreuzen bestimmen Sie mit, wer künftig Ihre Kirchengemeinde leitet“. Das ist nicht zu viel versprochen, denn die Nordkirche hat rund zwei Millionen evangelisch-lutherische Christen zur Teilnahme an einer Wahl aufgerufen, bei der in jeder einzelnen der mehr als 1000 Gemeinden demokratisch darüber entschieden wird, wie sie in den kommenden acht Jahren geleitet werden soll. Die Terminierung der turnusmäßigen Kirchengemeinderatswahlen fügt sich gut in die bereits begonnene 500-Jahr-Feier zum Reformationsjahr. Mündige Christen leiten ihre Kirche selbst. Und das soll keine Kirchturmpolitik sein, sondern ein im Glauben gestärktes Ehrenamt.

In Stormarn wird an diesem Sonntag, dem ersten Advent, in 22 Gemeinden gewählt, die sich auf die Kirchenkreise-Hamburg-Ost (15 Stormarner Gemeinden) und Plön-Segeberg (sieben Gemeinden in Stormarn) verteilen. Bereits die Kandidatenaufstellung lässt erkennen, dass es in Stormarn nicht anders verlaufen wird als anderswo auch: Es treten kaum mehr Bewerber an als Plätze für ehrenamtliche Kandidaten in den jeweiligen Kirchengemeinderäten zu vergeben sind – der persönliche Einsatz für die Kirche lässt zu wünschen übrig. Es braucht keine prophetische Gabe, um vorherzusagen, dass die Wahlbeteiligung in diesen Gemeinden wieder deutlich unter zehn Prozent liegen wird.

30 Kandidaten für 13 Plätze in Ahrensburgs Gemeinderat

Doch Stormarn hat diesmal ein Alleinstellungsmerkmal, nämlich die Ahrensburger Gemeinde. Dort haben sich 30 Kandidaten aufstellen lassen, zu wählen sind 13 Ehrenamtliche für den 18-köpfigen Kirchengemeinderat (in dem auch die fünf Ahrensburger Pastoren vertreten sein werden). Auch die Wahlbeteiligung dürfte deutlich höher ausfallen als andernorts. Dieses rekordverdächtige Engagement zeigt vor allem eines: Die Ahrensburger Gemeinde lebt. Und sie ist emotional so aufgewühlt, dass es viele Menschen motiviert, sich in die Kirchenpolitik einzumischen.

Interessant an dieser Entwicklung ist, dass sie über Ahrensburg hinausweist, also auch für Außenstehende spannend ist. Denn in Ahrensburg zeigen sich grundsätzliche Probleme von Kirche und Gemeinde exemplarisch und in konzentrierter Form, gewissermaßen wie in einer Nussschale. Das war und ist für die Beteiligten schwer auszuhalten, was wiederum erklärt, warum der Streit zeitweilig so unversöhnlich geführt wird.

Alter Kirchengemeinderat musste 2014 aufgelöst werden

Von manchen wird die anstehende Wahl als Befreiung empfunden. In der Vorstellungsrunde der Kandidaten in der Schlosskirche war der bezeichnende Satz zu hören: „Mit der Wahl bekommen wir endlich wieder einen demokratisch legitimierten Kirchengemeinderat.“

Die Ahrensburger Gemeinde wird seit zwei Jahren von einem Beauftragtengremium (BAG) geleitet. Das BAG der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde war vom Kirchenkreisrat berufen worden, nachdem der alte Kirchengemeinderat 2014 aufgelöst werden musste, weil er wegen des Rücktritts von mehr als der Hälfte seiner Mitglieder nicht mehr beschlussfähig war.

Die Auflösung des Kirchengemeinderats war ein weiterer Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Kirchenleitung und Teilen der Gemeinde, die von gegenseitigem Misstrauen geprägt sind. Das Verhältnis ist ebenso belastet durch die langwierig-komplizierte Aufarbeitung des 2010 bekannt gewordenen Ahrensburger Missbrauchsskandals wie durch den Streit um die St. Johanneskirche, die 2014 aus Kostengründen entwidmet und verkauft werden sollte. Ein rasch gebildeter Förderverein hatte dagegen vehement protestiert, unter anderem mit Andachten vor der geschlossenen Kirche. Dagegen war der alte Kirchengemeinderat vorgegangen, indem er vor der Kirchenfront einen Bauzaun errichten ließ und die Unterstützer von St. Johannes vom Gebäude fernzuhalten versuchte. Diese ließen sich jedoch nicht vertreiben und setzten tapfer ihre Andachten bei Wind und Wetter fort.

Verein Heimat hat drei Optionen fürs Gemeindehaus

Das wurde belohnt, als sich die von dieser öffentlichkeitswirksamen Beharrlichkeit zermürbte Gegenseite verhandlungsbereit zeigte. Es wurde eine bis 2019 geltende fünfjährige Finanzierungs- und Nutzungsvereinbarung zwischen altem Kirchengemeinderat und Förderverein geschlossen und der Entwidmungsbeschluss aufgehoben. Der Förderverein verpflichtete sich, jährlich etwa 30.000 Euro an Sach- und Geldleistungen aufzubringen, um den Betrieb von St. Johannes zu sichern. Die Kirche im Reesenbüttel war vorerst gerettet. Doch schon bald gab es Streit um Vertragsinhalte, und es wurde ein Mediator eingeschaltet, der bis zum Sommer 2015 zwischen dem inzwischen zuständigen BAG und dem Förderverein zu vermitteln versuchte.

Im Feburar 2014 wurden die Unterstützer von St. Johannes durch Bauzäune „ausgesperrt“
Im Feburar 2014 wurden die Unterstützer von St. Johannes durch Bauzäune „ausgesperrt“ © Alexander Sulanke

Der Modus operandi funktioniert, doch die anhaltenden Spannungen sind unverkennbar. Entsetzt hat den Förderverein, dass das BAG 2015 Pastorat und Gemeindehaus von St. Johannes verkaufte und dem Kirchengebäude damit quasi die Infrastruktur nahm, was wie eine Vorentscheidung wirkte. Käufer ist der Verein Heimat, der die angeblich stark sanierungsbedürftigen Gebäude ursprünglich abreißen lassen und durch einen Neubau mit Seniorenwohnungen ersetzen wollte, stattdessen aber knapp 200.000 Euro investierte, um beide Häuser für zunächst fünf Jahre zur Unterbringung von Flüchtlingen an die Stadt Ahrensburg zu vermieten. Für das angeblich wegen Schimmelpilzbefall unbewohnbar gewordene Pastorat wendete der Verein nur 40.000 Euro auf, um dort Wohnraum zu schaffen. „Die Bausub­stanz ist gut“, sagt Jürgen Wahl, Vorsitzender des Vereins, der auch einer der Kandidaten für den Kirchengemeinderat ist.

Er sagt zudem, dass es nach Ablauf des Fünfjahres-Mietvertrags mit der Stadt für den Verein Heimat drei Optionen gebe: 1. Vertragsverlängerung mit der Stadt, 2. Abriss und Neubau von Wohnungen oder 3. das Angebot, die Gebäude an die Kirche zurückzuverkaufen, um den Betrieb von St. Johannes zu gewährleisten.

Die Zahl der Gemeindeglieder ist dramatisch gesunken

Deutlich wurde in turbulenten Gemeindeversammlungen aber auch, dass die Ahrensburger Kirche nicht zuletzt wegen der rasch sinkenden Zahl von Gemeindegliedern (1976: 20.494, 2014: 12.272, 2016: 11.701) und Kirchensteuerzuwendungen (im Jahr 2000: 683.000 Euro, 2015: 502.000 Euro) finanzielle Probleme hat. Seit 2002 gebe es, so sagte Jürgen Preine, der damalige Haushaltsexperte des BAG, regelmäßig Haushaltsdefizite, die längerfristig nicht mehr durch abschmelzende Rücklagen zu decken seien. Außerdem stehe eine umfangreiche Sanierung am Mauerwerk des Turms der Schlosskirche an, für die ein sechsstelliger Betrag aufgewendet werden müsse. BAG und Kirchenkreis nehmen das als ihr stärkstes Argument dafür, dass die Kirchengemeinde Ahrensburg durch Aufgabe eines Standortes, der eine spürbare Ersparnis bringe, schrumpfen müsse. Das mag schlüssig klingen.

Doch genauso berechtigt ist die Frage des Fördervereins, warum denn ausgerechnet St. Johannes aufgegeben werden solle und nicht der kaum als Kirche identifizierbare Kirchsaal Am Hagen. Die nach einer Evaluierung erfolgte Einstufung der St. Johanneskirche als sanierungsbedürftige und nicht zwingend erhaltenswerte C-Kirche erscheint den Freunden von St. Johannes nicht plausibel. Zumal die Kirche, sagt Klaus Tuch vom Förderverein, mit ihrem 40 Meter hohen Kirchturm („es gibt keinen höheren in Ahrensburg“) zur Silhouette der Stadt gehöre wie das Rathaus. Und ihre anspruchsvolle 60er-Jahre-Kirchenarchitektur von Otto Hansen sei bewahrenswert. „Äußerlich erinnert das Kirchenschiff tatsächlich an ein Schiff mit aufragendem Bug und dem schlanken Turm als Mast. Wer würde da nicht an das Bild vom Schiff, das sich Gemeinde nennt, denken?“, fragt Tuch.

Deutlich wird in dem Ahrensburger Konflikt aber auch der latente Widerspruch zwischen geistlicher Glaubwürdigkeit und Wirtschaftlichkeit der Kirche. Da ist auf der einen Seite die Institution mit einem Apparat, der erhalten werden muss und die Kirche zwingt, wie ein mittelständisches Unternehmen zu denken und zu handeln. Und auf der anderen Seite darf Kirche ihren eigentlichen Auftrag – im ökonomischen Jargon: ihr Kerngeschäft – nicht vernachlässigen. Dieses Spannungsverhältnis kann dann schon mal dazu führen, dass eine Gruppe intensiver Sinnsucher, wie sie sich bei den Laienandachten in St. Johannes offenbarte und die man in Zeiten zunehmender Kirchenflucht eigentlich pflegen müsste, lästig werden kann, weil sie eine wirtschaftliche Entscheidung behindert.

Gewählt wird am 1. Advent in den Gottesbuden 2-3

Dennoch bleibt die Hoffnung, dass der künftige Kirchengemeinderat einen Neuanfang macht und dass sich im Gremium nicht wieder unüberbrückbare Gräben öffnen. Gewählt wird am 1. Advent von 12 bis 18 Uhr in den Gottesbuden 2-3 (Mittagsbude). Anschließend werden die Stimmen öffentlich ausgezählt. Das Auszählungsprotokoll dürfte bei der zu erwartenden höheren Wahlbeteiligung länger auf sich warten lassen. Das offiziell festgestellte Wahlergebnis wird spätestens am 2. Advent bekanntgegeben.

Bleibt zu hoffen, dass die jüngste Meldung vor der Kirchengemeinderatswahl kein schlechtes Omen ist. Der vertraute Klang der Glocken der Schlosskirche wird am Sonntag nicht zu hören sein. Der Glockenstuhl von Ahrensburgs ältester Kirche ist so geschädigt, dass die Tragfähigkeit ungewiss ist, und die Glocken vorerst schweigen müssen.