Glinde. Bauvorhaben Gleisdreieck steht auf Kippe. Stadt hat Grundstück unter Wert verkauft. Neuer Plan mit weniger Sozialwohnungen.
Das Areal Gleisdreieck in Glindes Zentrum wird nicht so bebaut wie ursprünglich angedacht. Dort wollte das Unternehmen Semmelhaack eigentlich 153 Wohnungen erstellen, 60 Prozent davon öffentlich gefördert. Investitionsvolumen: rund 20 Millionen Euro. Bei der Politik stieß das Vorhaben auf der 2,1 Hektar großen Fläche auf Zustimmung. Nicht jedoch bei einer Bürgerinitiative. Sie schaltete die Kommunalaufsicht ein, weil sie der Meinung ist, dass Glinde ein 12.405 Quadratmeter großes stadteigenes Grundstück unter Wert an den Investor verkauft hat. Damit liegen die Protestler richtig. Deshalb muss Semmelhaack finanziell drauflegen. Das Problem: Unter den neuen Voraussetzungen ist der Bau für die Firma in seiner angedachten Form nicht mehr wirtschaftlich, ein Rückzug nicht mehr ausgeschlossen. Um das verhindern, schwebt der Stadt eine Kompromisslösung vor. Ein Bestandteil dieser ist, die Zahl der Sozialwohnungen zu reduzieren.
Die Verwaltung ließ mehrere Gutachten zum Grundstücksverkauf anfertigen
„Das Projekt steht auf der Kippe. Der Fehler liegt aber nicht bei uns“, sagt Hartmut Thede, Leiter der Projektentwicklung bei Semmelhaack. Das Unternehmen hatte das städtische Grundstück im Februar vergangenen Jahres zu einem Quadratmeterpreis von 74 Euro erworben. Zu wenig, befand Michael Riedinger, Sprecher der Bürgerinitiative. Er durfte in den Grundstückskaufvertrag Einblick nehmen, bemängelte darin die Bezeichnung Bauerwartungsland. Das ist risikobehaftet, da noch kein B-Plan vorliegt, und günstiger als Bauland. Laut Riedinger geht Semmelhaack aber kein Risiko ein, weil die Firma so viele Bedingungen aufgestellt hat und jederzeit zurücktreten kann, wenn eine nicht erfüllt wird. Folglich handele es sich beim Gleisdreieck um Bauland. Er sagt: „Die Stadt hat mindestens zwei Millionen Euro verschenkt.“
Bereits im vergangenen Sommer beschwerte sich Riedinger deshalb bei der Kommunalaufsicht des Kreises. Die Stadt wurde um eine Stellungnahme gebeten, sollte Klarheit schaffen. Doch Gewissheit, dass der Vertrag wasserfest ist, hatten Glindes Politiker lange nicht. Die Verwaltung ließ mehrere Gutachten anfertigen, um den Nachweis zu erbringen. Monat um Monat verging. Jetzt sind die Entscheidungsträger klüger. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Neumann sagte der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn: „Semmelhaack muss für das Grundstück mehr zahlen.“ Das bringe die komplette Kalkulation ins Wanken.
Vor Kurzem traf sich Bürgermeister Rainhard Zug mit Firmeninhaber Theodor Semmelhaack, bei den Verhandlungen kam es zu keiner Einigung. Wie viel Glinde nun für den Quadratmeter verlangt, wird gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Es soll aber mehr als doppelt so viel sein wie im Kaufvertrag vereinbart. Glindes Verwaltungschef sagt: „Semmelhaack hat schon Hunderttausende Euro in das Projekt investiert und nach wie vor großes Interesse, aber die Kosten laufen aus dem Ruder.“ Jetzt müsse man an Stellschrauben drehen.
Wie das konkret aussehen kann, besprach er am vergangenen Freitag in kleiner Runde mit den Fraktionschefs und Mitgliedern des Bauausschusses. „Die Konsequenz sind weniger öffentlich geförderte Wohnungen“, sagt CDU-Politiker Neumann. Offenbar können sich die Entscheidungsträger vorstellen, deren Anzahl von 90 auf 60 zu reduzieren. Dafür soll Semmelhaack die Möglichkeit eingeräumt werden, auf dem hinteren Teil des Areals Richtung Sportplatz Doppel- und Reihenhäuser zu bauen, um die Mehrkosten für den Grundstückserwerb wieder reinzubekommen. „Wir müssen auch über Eigentumswohnugen reden“, sagt Rainhard Zug.
In der gemeinsamen Sitzung des Bau- und Finanzausschusses am 12. Mai wird der Bürgermeister öffentlich über den Sachstand berichten. Welche Zugeständnisse die Stadt dem Investor macht, darüber wird nun in den Fraktionen diskutiert. Neumann: „Das ist alles nicht optimal gelaufen. Jetzt brauchen wir eine Lösung mit der Firma Semmelhaack.“ Darauf drängt auch Grünen-Fraktionschef Wolf Tank, allerdings nicht um jeden Preis. Er sagt: „Bei den Sozialwohnungen gibt es eine Schmerzgrenze.“ Sei deren Anzahl zu gering, würde seine Partei das Projekt nicht mittragen. Tank: „Selbst die 90 wären nur ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen.“ Über Riedingers Vorgehen sagt der Politiker: „Er hat in den Heuhaufen geschossen und getroffen.“
Rund 300 Suchende sind bei Glinder Wohnungsvermittlungsstelle gemeldet
Glinde hat das Problem, dass bis 2018 etliche Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung fallen, sodass sie für viele Geringverdiener nicht mehr bezahlbar sein werden. Die Warteliste für öffentlich geförderte Einheiten beim Sozialamt wird damit länger als ohehin schon. Derzeit sind bei der Glinder Wohnungsvermittlungsstelle rund 300 Suchende gemeldet.
Deshalb gilt für Glinde beim Bau von Sozialwohnungen das Motto „weniger ist besser als gar nichts“. „Die Kommune kann so ein Projekt nicht allein stemmen, Alternativen haben wir auch nicht“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Lauterbach. Einen neuen Investor würde die Stadt nicht bekommen. „Deshalb müssen wir die Kröte schlucken, auf einen Teil der geförderten Einheiten zu verzichten.“
Sollten sich Glinde und der Investor einigen, wäre die Bürgerinitiative ihrem Ziel, das Projekt zu verhindern, nicht wirklich näher gekommen. Aufgeben wollen die Protestler aber auch dann nicht. Riedinger: „Aus unserer Sicht sind viele Dinge wie Arten- und Emissionsschutz noch nicht geklärt.“ Es sei nicht ausgeschlossen, dass man mit einem Anwalt gegen die Bebauung vorgehe.