Grosshansdorf. Wenn die Fronten verhärtet sind, helfen ehrenamtliche Schiedsleute den Streit zu lösen – oft können sie einen Prozess verhindern.
Wenn der Baum des Nachbarn in den Garten hinüberragt, dessen Junior wieder stundenlang am Schlagzeug übt oder permanent Rauchschwaden vom Grill über den Zaun wabern, platzt manchem Stormarner der Kragen. Doch auch wenn die Fronten verhärtet sind, müssen solche Streitigkeiten nicht zwangsläufig vor Gericht enden. Dafür sorgen rund 30 Ehrenamtler. Die Schiedsfrauen und -männer schlichten. Helfen, Probleme aus der Welt schaffen.
Schiedssprüche haben eine Rechtskraft von 30 Jahren, sagt der Fachmann
Horst Kalisch ist einer von ihnen. Er lebt in Großhansdorf und versteht viel vom Vermitteln. Vor seiner Pensionierung war der 74-Jährige Ermittler beim Bundeskriminalamt, arbeitete unter anderem in den USA und in Kolumbien, pflegte Beziehungen zu Ermittlungsbehörden. Seit 2008 ist Kalisch Schiedsmann in der Waldgemeinde. Wie seine Kollegen verhandelt er Fälle, die unter das Mietrecht, das Vermögensrecht oder das Nachbarschaftsgesetz fallen. Auch leichtere Fälle aus dem Strafrecht gehören in den Zuständigkeitsbereich der Schiedsleute, etwa Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Bedrohung.
Am Ende eines Verfahrens haben die Streitparteien Rechtssicherheit. Kalisch: „Der Schiedsspruch hat eine Rechtskraft von 30 Jahren und beinhaltet einen vollstreckbaren Titel.“ Das heißt, sofern sich die Parteien auf einen Vergleich einigen konnten. Die Schlichtungsquote liegt bei 55 bis 65 Prozent. Kalisch ist ein wenig stolz, wenn er erzählt, dass seine bei 90 Prozent liegt. Er sagt: „Hoher Zeitaufwand lohnt sich.“ Wenn ihn etwa eine verzweifelte Dame anrufe, dann nehme er sich auch ‘mal die Zeit für ein langes Telefonat, um zu beruhigen. Kalisch: „Aber wir machen keine Rechtsberatung, wir geben nur Tipps.“
Ehrenamtler bekommen eine Entschädigung für ihren Aufwand
Im seinem Büro reihen sich Aktenordner im Regal – alles muss dokumentiert, die Kosten müssen abgerechnet und die Fall-Statistiken an das Amtsgericht gemeldet werden. In diesem Fall an das in Ahrensburg. Seine Glinder Kollegen etwa melden ihre Statistiken an das in Reinbek. „Ich schätze, dass ich rund 200 bis 250 Arbeitsstunden in das Amt investiere“, sagt Kalisch.
Für ihren Aufwand erhalten die Ehrenamtler eine Entschädigung, die 50 Prozent der Verfahrenskosten beträgt. Die variieren je nach Aufwand laut Paragraf 45 der Schiedsordnung des Landes zwischen 20 und 75 Euro. Die anderen Hälfte geht an die Kommunen. Kalisch: „Die zahlen davon unsere Fortbildungen.“ Die meisten der Schiedsleute sind keine Juristen, und dennoch kennen sie das Bürgerliche Gesetzbuch zwangsläufig gut.
Schiedsleute gibt es seit 1879 in Schleswig-Holstein
Schiedsleute sollen Gerichte nicht ersetzen, sondern entlasten. Michael Burmeister ist Direktor am Amtsgericht Ahrensburg, sagt: „Das Schiedsamt ist Teil unserer schleswig-holsteinischen Kultur und ein wichtiges Amt.“ Schiedsleute gibt es seit 1879 im Land. „Wir verzeichnen jährlich eine Zunahme“, sagt Burmeister. 2010 waren es noch 211 Fälle, 2014 zählte das Gericht schon 258 Schiedsverfahren. Die Zunahme spürt auch Horst Kalisch. 31 Fälle hatte er 2014, vergangenes Jahr waren es 41. Das liegt sicher auch daran , dass die Stormarner streitlustig sind. Das zumindest geht aus dem jüngst veröffentlichten Streitatlas der Advocard Rechtsschutzversicherung hervor. Wie berichtet, landen die Kreisbewohner demnach in Punkto Streitigkeiten bundesweit auf Platz 2. Nur in Gelsenkirchen gibt es häufiger Ärger.
Pro 100 Bewohnern gibt es jährlich 30,4 Streitfälle. Das hat laut den Juristen vor allem den Grund, dass die Stormarner eher wohlhabend sind. Wo es Geld gibt, werde eher gestritten. In solchen Regionen könnten sich die Parteien auch einen Anwalt leisten, so die Einschätzung der Experten.
In Reinbek gab es 2015 nur 39 Fälle für das Schiedsgericht
Horst Kalisch und Michael Burmeister kennen noch einen anderen Grund. Burmeister sagt: „Es ist auch so, dass das Schiedsamt immer bekannter geworden ist – und auch beliebter.“ Also sind sie quasi selbst schuld an ihrer vielen Arbeit, die Schiedsleute? Horst Kalisch nimmt es gelassen, sagt: „Das ist mein Beitrag für meine Gemeinde.“
Doch es scheint Ausnahmen zu geben im Bereich Streitkultur: Den Süden Stormarns. Ulrich Fieber, Direktor des Reinbeker Amtsgericht sagt auf Anfrage des Abendblattes: „Wir haben seit Jahren etwa eine gleichbleibende Anzahl an Fällen.“ 2015 waren es in Reinbek 39 Fälle.