Reinbek. Volker Müller ist blind und engagiert sich in vielen Ehrenämtern. So ist er seit 20 Jahren SPD-Fraktionsvorsitzender in Reinbek.
Müller, immer wieder Müller. Was für die Fußballer von Bayern München gilt – Thomas Müller schießt in dieser Saison Tore wie am Fließband –, trifft auch auf die Reinbeker SPD zu. Dort ist Namensvetter Volker Müller als Fraktionsvorsitzender jetzt einstimmig wiedergewählt worden. Das Amt hat der heute 68-Jährige seit Januar 1996 inne.
Während der Müller aus München bisher von größeren Verletzungen verschont blieb, hat der Müller aus Reinbek ein schweres Handicap. Er ist seit seiner Jugend nahezu blind. Dennoch gibt es kaum Ehrenamtler, die sich in der Region so engagieren wie er – weit über die Politik hinaus.
„Es gibt viele Menschen in Reinbek, die etwas für das Gemeinwohl machen. Aber Volker Müller ist für mich das soziale Gewissen der Stadt“, sagt Bürgermeister Björn Warmer. Er bezeichnet Müller als einen „sanftmütigen Zeitgenossen, der wertschätzend gegenüber den politischen Gegnern ist, aber auch laut werden kann und sich Gehör verschafft“.
Eine unheilbare Augenerkrankung zerstörte die Netzhaut
15 bis 20 Stunden pro Woche bringt Müller für die Lokalpolitik auf. Außerdem ist er seit 34 Jahren für die Südstormarner Vereinigung (SVS) aktiv und geschäftsführender Vorstand der Sönke-Nissen-Park-Stiftung in Glinde. Sein Lebensmotto beschreibt Müller, der in Reinbek geboren wurde und mit Ausnahme von zwei Jahren immer in der Stadt gelebt hat, so: „Jeden Tag eine gute Tat.“
Retinitis pigmentosa nennen Mediziner seine unheilbare Augenerkrankung, die die Netzhaut zerstört. Angefangen hatten die Beschwerden in der vierten Klasse. Mit 17 Jahren konnte Müller dann keine Bücher mehr lesen und nicht mehr Rad fahren. „Eine Brille hat auch nicht mehr geholfen“, sagt er. So wechselte er auf die Blindenschule am Borgweg in Hamburg.
Mit 45 wurde Müller Leiter der Sönke-Nissen-Park Stiftung
Nach dem Abschluss machte er eine Erzieherausbildung, arbeitete im Kinderheim. Später leitete Müller in Reinbek zwei Kindertagesstätten, dann ein Jugendzentrum. Mit 45 wurde er Leiter der Sönke-Nissen-Park-Stiftung. Dort initiierte er zahlreiche Projekte für Jugendliche: unter anderem den Bauspielplatz, die Betreuung von Straffälligen, Nachhilfe für Lernschwache. Auch die Schuldnerberatung war seine Idee. „Ich habe immer über das Maß hinaus gearbeitet, dabei nie auf die Uhr geschaut“, sagt Müller.
Seine Frau Hannelore war ebenfalls Kindergärtnerin. Die beiden sind seit 44 Jahren verheiratet, haben zwei Töchter. Zu ihren Hobbys gehört das Tandemfahren. Früher waren die Müllers viel mit dem Wohnmobil in Skandinavien unterwegs. Inzwischen finde er sich auf den Campingplätzen aber nicht mehr so gut zurecht. Den Wagen haben sie nicht mehr. „In diesem Jahr geht es mit der ganzen Familie nach Portugal“, sagt Müller. Die Familie habe für ihn die höchste Priorität. „Sie gibt mir Geborgenheit.“
Müller hat einen Computer mit Sprachfunktion
Müller lebt mit seiner Frau in einer Wohnung im Stadtteil Neuschönning-stedt. Auf einem Tisch in der Ecke des Schlafzimmers steht ein Computer mit Sprachfunktion, der ihm E-Mails vorliest. Direkt daneben steht der sogenannte Screen-Reader mit Vorleseprogramm – für die politische Arbeit unerlässlich. An dem Gerät scannt der Reinbeker die Sitzungsunterlagen ein.
Jede Seite wird einzeln eingelegt. „Leider ist es nicht möglich, zu einer x-beliebigen Stelle zurückzuspulen, das Gerät beginnt immer am Anfang der Seite“, so Müller. Das sei zuweilen sehr anstrengend. Skizzen von Bauvorhaben erkennt der Screen-Reader nicht. Die Zeichnungen muss sich der Politiker von Kollegen erklären lassen.
Wie etliche andere Blinde hat Volker Müller ein gut geschultes und sensibles Gehör. Wenn er am Straßenrand steht, erkennt er weit eher als andere Menschen, wenn ein Auto in der Ferne bremst. Vergleichbare Situationen erlebt er täglich. Mit Bussen und Bahnen fährt der Reinbeker zwar auch, meistens ist er jedoch zu Fuß unterwegs, kennt die Stadt wie kaum ein anderer. Oft legt er die sechs Kilometer von seiner Wohnung zum Rathaus, wo sich die politischen Gremien zu den Sitzungen treffen, nicht auf dem Beifahrersitz eines Autos zurück. Manchmal geht er auch zu später Stunde zurück.
Er möchte Menschen mit Behinderungen zeigen, was alles möglich ist
Volker Müller möchte auch ein Mutmacher für Menschen mit Behinderung sein. Er lebt vor, was alles möglich ist. Das nötigt auch Politikern anderer Parteien Respekt ab. Bernd Uwe Rasch, Fraktionsvorsitzender der FDP, sagt: „Ich bewundere seine Leistung und das tolle Engagement.“ Müller könne bei Diskussionen auch ohne Probleme austeilen.
Grünen-Fraktionschef Günther Herder-Alpen kennt seinen SPD-Kollegen seit Jahrzehnten. „Ich habe ihn einige Male nach Sitzungen im Auto mitgenommen, wir klönen auch über das Politische hinaus. Hut ab, wie er sich trotz seiner Behinderung für andere Menschen einsetzt“, so Herder-Alpen.
Parteikollegen aus Reinbek bezeichnen Müller als Sprachrohr der sozial Schwachen. Am Herzen liegen ihm vor allem der Bau von bezahlbaren Wohnungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen für Menschen mit geringer Bildung. Ob er nach den Wahlen 2018 Fraktionsvorsitzender bleibe, sei ungewiss, sagt Müller. Er werde das mit seiner Frau bereden. „Aber das letzte Wort habe natürlich ich.“