Ahrensburg . Kopfsteinpflaster wird zum Problem für Gehbehinderte. Abendblatt-Reporterin macht einen Selbstversuch mit Rollator und Blindenstock.

Eine ältere Dame schiebt langsam ihren Rollator über das Rondeel in Ahrensburg. Dann bleibt sie abrupt stehen, ihr Rollator hängt am Kopfsteinpflaster fest. Das verunsichert sie sichtlich. Eine Situation, die häufig in der Ahrensburger Innenstadt zu beobachten ist. Das weiß auch Bürgermeister Michael Sarach. Deswegen will Ahrensburg die Chance der städtebaulichen Entwicklung unter anderem dafür nutzen, Wege und öffentlichen Raum für alle Menschen besser nutzbar und alltagstauglicher zu gestalten. Im Rahmen des Aktionstages Barrierefreiheit hat das Hamburger Abendblatt am Sonntag getestet, wie barrierefrei die Innenstadt ist.

Ich greife zuerst zu einer Brille, die einen grauen Star simulieren soll. Ich sehe alles verschwommen, es ist schlimmer als das Sehen beim Augenöffnen unter Wasser. Konturen von Gegenständen erkenne ich kaum, farbliche Unterschiede gibt es für mich nicht mehr. Das geht auch Achim Czeschka so. Er trägt ebenfalls diese Brille auf seiner Nase. Wir gehen gemeinsam durch die Innenstadt. Dann gibt es ein erstes Problem: ein Gehweg splittet sich auf, auf der einen Seite gibt es plötzlich Stufen. Projektplanerin Vivienne Kalka macht uns darauf aufmerksam. Czeschka sagt: „Das habe ich wirklich nicht gesehen.“ Es fehlten auffällige farbliche Markierungen.

In der Innenstadt versperren Tische und Stühle den Weg

Zu einem späteren Zeitpunkt entscheide ich mich dafür, ganz blind zu sein. Ich setze eine Art Taucherbrille mit abgedunkelten Gläsern auf. Mone Böcker vom Planungsteam drückt mir einen Blindenstock in die Hand. Wir tapern langsam los. Meine Orientierung ist dahin. Ich merke ein Vibrieren in meiner rechten Hand, das Gefühl kommt vom Kopfsteinpflaster. Dann ruckelt es. Was ist das? „Das ist ein Stehtisch“, antwortet mir Böcker. Ihre Stimme nehme ich nun viel deutlicher wahr. Hier komme ich also nicht weiter, ich drehe mich ein wenig. Dann lässt das leichte Kitzeln im Handgelenk nach. Der Stock berührt eine glatte Oberfläche. Das ist angenehm. Nach wenigen Minuten ist das aber leider wieder vorbei. Das nächste Hindernis steht bevor: ein Fahrrad.

Diese Probleme kennt auch Harald Preus. Auch er läuft mit einem Blindenstock herum, allerdings auch im wahren Leben. Der 80-Jährige sagt: „In Ahrensburg gibt es diesen glatten Querstreifen an den Straßenrändern, das ist gut gelungen.“ Allerdings stünden zu oft Tische, Stühle oder Fahrräder darauf. Dabei zeige dieser Streifen doch so gut die Straßenführung an.

Am Aktionstag Barrierefreiheit testet Mone Böcker das Rollstuhlfahren aus
Am Aktionstag Barrierefreiheit testet Mone Böcker das Rollstuhlfahren aus © HA | Isabella Sauer

Aber nicht nur blinde oder sehbehinderte Menschen haben in Ahrensburg Schwierigkeiten. Als ich mir einen Rollator schnappe, denke ich: „Das kann ja nicht so schwierig sein.“ Ohne große Bedenken laufe ich los über das Rondeel auf die Hamburger Straße zu. Mich begleitet Anneliese Seitling. Sie sitzt in einem elektrischen Rollstuhl und beobachtet mich genau. Dann sagt sie: „Und nun die Straßenseite wechseln.“ Ich hebe den Rollator an, setze ihn runter vom Bordstein, rauf auf die Straße. Zügig überquere ich sie, dann sehe ich einen abgesenkten Bordstein. Zum Glück ist der nicht zugeparkt, denke ich. Das sei nämlich oft der Fall, haben mir viele Ahrensburger am Infostand erzählt. Ein Halteverbot könnte eine mögliche Lösung sein. Mit ein wenig Kraftaufwand schaffe ich es schließlich, mit meinem Rollator die Bordsteinkante hochzukommen.

An dem Informationsstand tummeln sich viele: junge und alte Menschen, Seh- und Gehbehinderte. Sie alle interessieren sich für das Thema Barrierefreiheit und wollen ein wenig mitmischen. Das findet Olga Schill vom Freiraumplanungsbüro raum+prozess gut. Sie sagt: „Wir werden den Ahrensburger Politikern nächstes Jahr ein Konzept übergeben, in dem Prinzipien für die Gestaltung und Ausstattung einer barrierefreien Innenstadt stehen.“

Achim Czeschka setzt sich eine Brille auf, die den Grauen Star simuliert
Achim Czeschka setzt sich eine Brille auf, die den Grauen Star simuliert © HA | Isabella Sauer

In den nächsten 15 Jahren kann die Stadt Ahrensburg mit der Aufnahme in das Städtebauförderprogramm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ die Innenstadt für die Bürger attraktiver und vor allen Dingen barrierefreier machen. Bis zu 21 Millionen Euro können dafür investiert werden. Mal abwarten, wie barrierefrei Ahrensburg in dieser Zeit werden wird. Ein erster Schritt wurde gemacht: die Bürger durften mitdiskutieren und miterleben.