Glinde. Frühere Jever Deel ist Notunterkunft für 15 Afghanen geworden. Sporthallen in Wiesenfeld und am Tannenweg werden am 11. Januar bezogen.
Vor dem Eingang der ehemaligen Kneipe Jever Deel auf dem Gelände des Schulzentrums am Oher Weg in Glinde sind vier schwarze Briefkästen angebracht. Auf ihnen stehen die Namen von 17 Menschen. Allesamt Männer, die aus Afghanistan stammen. 15 von ihnen sind schon da. Platz ist hier für 22 Personen – in der Notunterkunft für Flüchtlinge. Drei davon gibt es in der 18.500-Einwohner-Stadt im Süden Stormarns. Am 11. Januar ziehen dann auch Hilfesuchende in die kleine Sporthalle der Grundschule Tannenweg und die Gymnastikhalle der Schule Wiesenfeld. So hatte es Bürgermeister Rainhard Zug entschieden, weil die Stadt derzeit nicht genug Wohnungen anmieten kann.
„Die Menschen können die Zeit an den drei Standorten gut überbrücken, bis sie in eine Wohnung kommen“, sagt Zug. Angedacht sei, die Notunterkünfte Ende des Jahres wieder zu schließen. Anfang 2017 soll die Jever Deel dann zu einem Jugendzentrum umgebaut werden. Das war eigentlich schon für kommendes Frühjahr geplant. Nun bleibt der Tresenbereich im rustikalen Holzambiente also länger erhalten. Zusammen mit der Sitzecke dient er als Aufenthaltsraum. Hier hat Nasim Amiyi Platz genommen. Das Licht der Lampe über ihm ist schummrig. Der junge Mann trägt Feinripp-Unterhemd und Jogginghose. Am 18. Dezember ist der 21-Jährige als einer der Ersten eingezogen. „Es gefällt mir sehr gut“, sagt er auf Englisch.
In den Notunterkünften leben nurMenschen jeweils einer Nationalität
Amiyi ist vor den Taliban geflohen. „Meinen Vater haben sie umgebracht.“ Über Pakistan, Iran und die Türkei kam er nach Deutschland. Auf dem Weg hierher hat er seine Mutter verloren. Wo sie jetzt ist, weiß er nicht. Der Afghane hat in seiner Heimat als Autolackierer gearbeitet, zurück will er nicht mehr. „Guten Morgen, auf Wiedersehen, wie geht es Ihnen?“ – diese Redewendungen kann Amiyi schon. Er wolle jetzt schnell die Sprache lernen und natürlich einen Job finden.
In der Regel müssten die Menschen zwei bis drei Monate auf einen Sprachkursus an der Volkshochschule warten, vorher übernehmen Ehrenamtliche diesen Part, sagt Bürgermeister Zug. Kindern und Jugendlichen wird schnell geholfen. Bernd Mahns, Leiter des Amtes für Bürgerservice: „Sie besuchen sofort nach ihrer Ankunft die DaZ-Zentren an Glinder Schulen.“ Der Begriff steht für Deutsch als Zweitsprache.
Nasim Amiyi teilt sich in der Ex-Kneipe ein kleines Zimmer samt Doppelstockbetten mit drei Landsmännern, die er erst seit Kurzem kennt. Die Afghanen sind nicht zusammen geflohen. Wesentlich größer als der Schlafbereich ist die Küche. Und heller als im Aufenthaltsraum ist es hier auch. Aziz Zawari, der gebrochen Englisch spricht, steht an der Spüle, wischt gerade Pfannen und das Geschirr ab. Ordentlich sieht es aus. Neben dem Toastbrot auf der Ablage sind fünf Äpfel aneinandergereiht, davor liegen zwei Salatköpfe. Zawari stammt aus der Provinz Urusgan, hat dort als Obstverkäufer auf dem Markt Geld verdient. Seine ersten Eindrücke von Glinde? „Sehr gut, ich war schon im Zentrum, habe die Lichter am Markt bestaunt.“ Er meint die Weihnachtsbeleuchtung.
Dass in der Jever Deel nur Menschen aus Afghanistan leben, ist gewollt. Mahns: „So beugen wir Konfliktsituationen vor.“ In die kleine Sporthalle am Tannenweg sollen Iraker oder Syrer ziehen. 48 werden es, ausschließlich Männer. Zwar kann Glinde nicht bestimmen, welche Nationalitäten der Stadt vom Kreis zugewiesen werden, „aber wir dürfen Wünsche äußern.“
110.000 Euro hat Glinde für die Umbauarbeiten an den drei Standorten bezahlt, zwei Drittel davon entfallen auf die Halle am Tannenweg mit ihren 600 Quadratmetern Fläche inklusive Duschräumen. Hier sind aus Pressspanplatten und Holzständerwerk zwölf Kabinen für je vier Personen entstanden. Die Eingänge sind mit schwarzen Vorhängen versehen – und der Hallenboden ist, genauso wie in der Gymnastikhalle am Wiesenfeld, wo drei sechsköpfige Familien in Spezialzelten untergebracht werden, durch einen Linoleumbelag geschützt.
In den Sporthallen gibt es keine Küche, das Essen liefert die Stadtkantine
Die sanitären Anlagen am Tannenweg befinden sich im Keller. Zwei Kühlschränke und vier Waschmaschinen werden in angrenzenden Räumen noch aufgestellt, in der Halle selbst die unteren Fensterabschnitte mit Milchglasfolie abgeklebt – als Sichtschutz. Draußen stehen zudem vier Toilettenkabinen. Im Gegensatz zur Jever Deel fehlt es in den beiden Sporthallen an einer Küche. Das Essen für die Flüchtlinge dort liefert die Stadtkantine, Betreiber der Mensa am Wiesenfeld.
Betroffen von der Belegung der Hallen mit Flüchtlingen, von denen derzeit rund 250 in der Stadt leben, ist auch der TSV Glinde. Die Boxsparte ist in den Keller unter die Tennishalle gezogen, die Gymnastikgruppen ins Tanzsportzentrum. Zwei Erwachsenengruppen wurden wegen Platzmangels gestrichen. Auch die Judo- und Karatesportler wechselten die Räume. „Wir haben deswegen ein paar Austritte“, sagt der hauptamtliche TSV-Vorsitzende Joachim Lehmann. Er und seine Vorstandskollegen hätten bei den Mitgliedern um Verständnis geworben. „Die Zustimmung ist sehr groß.“
Viel Platz auf einen Schlag für die Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen schafft Glinde spätestens im April. Dann sind am Willinghusener Weg zwei weitere Häuser in Modulbauweise, die pro Stück rund 500.000 Euro kosten und jeweils 26 Personen Obdach bieten, bezugsbereit. Zwei stehen dort schon. Der Bau mindestens vier weitere solcher Gebäude folgt im Herbst kommenden Jahres auf einer Grünfläche am Schlehenweg. Sollte Glinde 2016 mehr als die prognostizierten 300 Flüchtlinge aufnehmen müssen, könnten dort sogar neun solcher Gebäude entstehen.