Ahrensburg. Datenflut wird im Verfahren gegen mutmaßliche Drahtzieher der Strohballenbrände von Ahrensfelde zur Herausforderung. Kritik an Polizei.

Die mutmaßlichen Drahtzieher der Strohballenbrände von Ahrensfelde mögen sich vor dem Ahrensburger Schöffengericht recht einsilbig geben – mit ihren modernen Mobiltelefonen haben sie zur Tatzeit kommuniziert wie die Weltmeister. Die Geräte sind längst beschlagnahmt, die darauf gespeicherten Inhalte im Hause der Bezirkskriminalinspektion in Lübeck gesichert und dann von Beamten der Sonderermittlungsgruppe „Florian“ ausgewertet worden. Die Datenmenge sprengt jegliche Vorstellungskraft. Das Thema des vierten Verhandlungstages.

Allein Ausdrucke der verschickten WhatsApp-Kurznachrichten der vier Angeklagten und zweier bereits verurteilter Auftragsbrandstifter füllen 24 dicke Aktenordner. Und da sind nur die Textpassagen drin, die von den Ermittlern nach einer Sichtung als „relevant“ eingestuft worden sind. Ein Hauptkommissar, der sich wochenlang ausschließlich mit dem Smartphone des mittlerweile zu zwei Jahren Haft verurteilten Brandstifters Tim L. (Name geändert) beschäftigt hat, sagt: „Auf dem waren mehr als 130.000 Chats drauf.“ Das seiner Meinung nach Wichtigste hat er auf gut 9000 DIN-A4-Seiten ausgedruckt. Ein Kollege hat sich parallel ungezählte Sprachnachrichten, Videos und Fotos angeschaut.

Vier Beamte haben sich nur um die Auswertung der Handys gekümmert

In früheren Jahren hätten sich Prozessbeteiligte ob einer so großen Menge an Beweisen oder Indizien die Hände gerieben. In der Realität scheint sie die Datenflut eher zu überfordern. Denn wer will eigentlich noch den Überblick behalten? Wer entscheidet, welche der Hundertausenden von Nachrichten am Ende Teil der deutlich dünneren Prozessakte werden?

„Vier Beamte sind mit der Auswertung beschäftigt gewesen“, sagt der ehemalige Leiter der Sonderermittlungsgruppe, ein 58 Jahre alter Hauptkommissar. „Die Sichtung hat sehr viel Zeit gekostet. Und die Kollegen haben sich wirklich viel Mühe gegeben“, erklärt er. Der Strafverteidiger Thomas Elvers, der einem der vier Angeklagten zur Seite steht, möchte wissen, was die Ermittler bei der Auswertung für relevant erachtet haben. „Das haben wir selbst entschieden“, antwortet der Hauptkommissar.

Das ist es, was die vier Verteidiger immer und immer wieder kritisieren: dass ihrer Auffassung nach bei der Definition der Relevanz die falschen Prioritäten gesetzt worden sein könnten, sodass die ausgewählten Textpassagen ein zumindest unvollständiges Bild widerspiegeln. Weil zum Beispiel nur nach Belastendem gesucht worden sei, aber nicht nach Nachrichten, die jemanden entlasten könnten.

Zudem finden sich in den Zusammenfassungen der Beamten mitunter kleine Detailfehler. So lässt sich zwar sagen, dass ein Angeklagter und Tim L. kurz vor einem Brand in Ahrensfelde miteinander telefoniert haben. Aber beide sollen nach Aktenlage Anrufer gewesen sein – ein Widerspruch.

„Strohballen anzünden“ – „Bin dabei“

Um den bemerkenswertesten Chat geht es nur am Rande. „Strohballen anzünden“, schreibt der mittlerweile verurteilte Tim L. „Bin dabei“, antwortet ein gewisser Boris N. (Name geändert). Boris N.? Von dem hat noch niemand im Gerichtssaal jemals etwas gehört. Warum nicht? Ist er womöglich ein weiterer, ein bislang unbekannter Mittäter? Lakonische Antwort des Beamten, der diesen Chat protokolliert hat: „Wir haben getan, was wir konnten. Dann wurde unsere Ermittlungsgruppe aufgelöst.“

Der Prozess wird am 8. Dezember um 9 Uhr fortgesetzt.