Ahrensburg. In unserer Serie trefffen wir Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Edzard Burchards, der neue Kantor von St. Johannes.

Auf dem Schützenfest passierte es. Während aus den Lautsprechern Musik dudelte, die den Vierjährigen nicht sonderlich interessierte, entdeckte er in einer der Buden ein merkwürdiges kleines Instrument mit Tasten – in das man reintuten konnte. „Das wollte ich unbedingt haben“, sagt Edzard Burchards. Melodica hieß diese als Miniklavier getarnte Flöte. Der Kleine war fasziniert. Seine Eltern waren geschockt.

„Keiner in der Familie hatte bis dahin etwas mit Musik zu tun gehabt. Aber meine Eltern sind so lange herumgelaufen, bis sie endlich so ein Ding für mich gefunden hatten“, sagt Edzard Burchards.. Dann sei das Übliche gekommen: Blockflöte, Noten, Klavierunterricht. „Bei einer Dame aus dem vorigen Jahrhundert mit Namen Paradies, die ihr Wohnzimmer mit Decken zugehängt hatte“, sagt Edzard Burchards. „Das werde ich nie vergessen.“

Das erste Mal ein eigenes Orchester

So fing es an, in Oldenburg in Oldenburg. Das Ende vom Lied: Der Vierjährige von damals wurde Musiker, hat mit der Kantorei der Ahrensburger St. Johanneskirche gerade seinen dritten Chor übernommen – und mit der Leitung des St. Johannesorchesters Neuland betreten. Die Melodica-Vorkenntnisse helfen da logischerweise nicht weiter. Auch nicht das Klavier- und Orgelspiel. Denn hier wird weder getutet noch auf Tasten gedrückt, sondern gestrichen, was Geigen, Bratschen und Celli hergeben.

„Ich arbeite mich da rein“, sagt der Mann mit dem sparsamen und doch verschmitzten Lächeln, der von der Melodica kommt, auf jeden Fall kein Streicher ist und bisher auch kein eigenes Orchester hatte. „Ich war mehr als Sänger und Chorleiter unterwegs, weniger als Dirigent. Aber das kommt jetzt“, sagt der 49-Jährige mit schwungvollen Unterton. Und es ist ihm anzusehen: Er freut sich darauf.

Neue Mitglieder sind willkommen

Es muss ihm auch kein bisschen bange sein. Edzard Burchards hat Chor- und Orchesterleitung studiert, Meisterkurse im Dirigieren besucht und schon während des Studium etliche Konzerte geleitet. Die Voraussetzungen stimmen also. Die Bedingungen sind perfekt. „Im St. Johannes-Orchester gibt es viele kompetente Mitglieder“, sagt Edzard Burchards. „Die helfen mir. Das ist überhaupt eine nette Gruppe.“ Zurzeit sind es 16. „Wer mitmachen will, kann sich jederzeit bei mir melden.“

Zahlenmäßig stärker ist die Kantorei. Rund 40 singen zurzeit mit. Und die Sänger hatten auch mehr Gewicht, als es darum ging, wer Nachfolger von Nala Levermann werden sollte. Der hatte nach nur einem Jahr St. Johannes verlassen. Dessen Vorgänger Christoph Schlechter wiederum ging nach nicht einmal drei Jahren.

„Die Sänger haben einiges hinter sich. Es waren viele Chorleiter in kurzer Zeit“, sagt Burchards, der umso überraschter ist, was die Kantorei ihm bei seinem Probe-Dirigat zu bieten hatte. „Die haben sich beim vom Blatt singen gut geschlagen. Es gibt einen schönen Sopranklang.“ Und der Alt sei fit. Auch wenn er noch verstärkt werden könnte. „Die Tenöre und Bässe sind ebenfalls in einem guten Zustand. Manchmal mit einem hochdramatischen Männerchor-Sound“, sagt der neue Kantor und schaut verschmitzt durch seine Brille.

Als Dirigent muss man loben

Der erste öffentliche Auftritt mit dem Orchester kommt am 17. Oktober. Auf dem Programm: jeweils eine bekannte Kantate von Bruhns und Brahms – und jeweils eine, die nicht zum üblichen Repertoire gehört. So wie der Kantor die Herausforderung annimmt, verlangt er nun auch einiges von den Orchestermitgliedern. „Als Dirigent muss man loben, aber auch fordern. Und ein guter Schauspieler muss man dabei auch noch sein.“

Die Performance scheint zu stimmen. Die Arbeit im Orchester hat nach längerer Pause wieder Fahrt aufgenommen. Und die Kantorei hat jüngere Sänger dazubekommen und war ihrerseits beim Probe-Dirigat sofort angetan von dem Kandidaten. Kein Wunder, denn in der Chormusik ist der neue Kantor absolut Zuhause.

Nachdem der Blick auf die Melodica alles verändert hatte, nach Blockflöte und Frau Paradies, gründete Edzard Burchards schon als Jugendlicher in seinem Heimatort einen eigenen Kirchenchor. Es gab keinen. Also erledigte er das selbst.

Seine Liebe gilt der alten Musik

Seit dem Studium gilt seine besondere Liebe der alten Musik. „Schuld“ daran ist die Begegnung mit dem englischen Sänger und Dirigenten Michael Procter, der ihn nur ein Gastsemester unterrichtete, aber sofort für die alte Musik begeisterte und ihn in seine Hofkapelle aufnahm – einem A-cappella-Ensemble für Renaissance-Musik. „Die alte Musik ist so klar, so rein. Obwohl sie handwerklich ganz genau gearbeitet ist, entstehen überirdische Klänge“, sagt Edzard Burchards. „So strenge kompositorische Regeln. Und dann kommt da solche Musik raus.“

Von der Hofkapelle ging es weiter zu anderen Ensembles. Edzard Burchards war als Sänger gefragt. Dabei hatte er gar keinen Gesangsunterricht. „Nur so viel, wie es eben zum Studium pflichtmäßig dazugehörte“, sagt er. Doll war das offenbar nicht. „Ich habe das so schnell beendet, wie irgend möglich. Bevor Schlimmeres hätte passieren können.“ Mit seiner Naturstimme klappte es auch so. Der Countertenor wurde von renommierten Dirigenten engagiert: von Philippe Herreweghe vom Collegium Vocale Gent ebenso wie von Thomas Hengelbrock, dem Dirigenten des NDR Sinfonieorchesters und dem Leiter des Balthasar-Neumann-Chores – allesamt Spezialisten für alte Musik.

Plötzlich wollte er Lehrer werden

„Mich fasziniert aber auch moderne Musik“, sagt Edzard Burchards und erzählt begeistert von der Uraufführung eines Werkes der zeitgenössischen Komponisten Thomas Blomenkamp,. „Das war toll“, sagt er. Auch die Romantik spreche ihn an – ein Verdienst seines Professors Martin Schmidt. Dabei war Burchards eher zufällig bei ihm gelandet und eigentlich nach Karlsruhe gegangen – um Pädagogik zu studieren. Und das obwohl Burchards in Oldenburg schon die C-Prüfung für Kirchenmusik abgelegt hatte Alles schien vorgezeichnet. Und dann das. „Ich wollte plötzlich Lehrer werden“, sagt Burchards. „Ich wollte auf keinen Fall mein Geld mit der Musik verdienen müssen.“

Wieder ein Schock für die Eltern. Und ein dritter sollte folgen. In Karlsruhe „schnackte“ ihn jemand zum Unterricht von Martin Schmidt an der Musikhochschule mit. „Ich habe spaßeshalber die Aufnahmeprüfung gemacht“, sagt Burchards. Erneute Kehrtwende, denn aus Spaß wurde Ernst. „Ich wurde sofort angenommen und brach das Pädagogik-Studium ab.“ Die Wirkung der Melodica hatte also doch durchgeschlagen. Zum Glück für Orchester und Chor von St. Johannes. Burcvhards selbst will sich als Sänger zurückziehen. Die neue Aufgabe in Ahrensburg, die Leitung von zwei Hamburger Chören und demnächst auch die Leitung der Rheinischen Kantorei, einem Profi-Chor, dem er seit 1990 eng verbunden ist – das reiche erst einmal. „Außerdem will ich langsam sesshaft werden“, sagt der 49-Jährige mit leiser Selbstironie.

Live-Erlebnisse zählen mehr als Musik von der CD

Im Frühjahr war er mit Hengelbrock auf Tournee gewesen. Matthäus-Passion von Bach. Zwei Wochen von Ort zu Ort. Das müsse er nicht mehr haben. Seit drei Jahren wohnt Burchards in Hamburg. Hört er Zuhause Musik? „Nein, überhaupt nicht“, sagt der Kantor. „Obwohl mein Mann und ich zusammengeschmissen haben. 10.000 CDs dürften das schon sein.“

Das Live-Erlebnis bedeutet Edzard Burchards offenbar mehr. Am 19. Dezember gibt er mit der St. Johannes-kantorei ein Weihnachtskonzert, zusammen mit dem Oldesloer Ensemble a cappricio. „Wir werden sicher auch in Zukunft mit anderen Chören zusammenarbeiten“, sagt der Kantor, der gern etwas Neues ausprobiert und auch das Publikum fordern möchte. „Bach und Händel gehen immer. Aber immer nur die alten Hits, das geht gar nicht.“