Bad Oldesloe. Zahl der Asylbewerber in Stormarn hat sich in einem Jahr verdoppelt. Land zahlt Kommunen jetzt 900 Euro pro Person.

Seit drei Tagen sind sie in Ahrensburg: Amer Altimimi, Ali Allami und Ali Hussein. Junge Männer aus dem von Terror und Krieg gekennzeichneten Irak, die auf eine bessere Zukunft hoffen. Sie gehören zu den Hunderten, die in Stormarn Zuflucht suchen und deren Zahl kontinuierlich steigt. 1245 Asylbewerber leben zurzeit im Kreis. Im Juni vergangenen Jahres waren es noch 721 – eine Zunahme um fast 100 Prozent.

Die Dynamik der Entwicklung hat die schon hoch angesetzte Prognose des Landes-Flüchtlingsbeauftragten Stefan Schmidt überholt. Im Oktober hatte er den Kommunen empfohlen, sich auf die Situation einzustellen und davon auszugehen, dass sich die Zahl der Flüchtlinge in 2015 verdoppeln werde. Das ist schon jetzt Fakt – ein halbes Jahr früher als gedacht.

In der Kreisverwaltung in Bad Oldesloe geht man daher von einem anderen Szenario aus. „Wir rechnen für 2015 mit rund 2400 Asylbewerbern“, sagt Edith Ulferts, Fachbereichsleiterin Soziales und Gesundheit. Eine große Herausforderung, auf die man in der Kreisverwaltung reagiert: Ende Juli kommt Verstärkung. Dann wird das dreiköpfige Team, das sich um die Verteilung der Asylbewerber kümmert, um eine Kraft aufgestockt.

Kreis nimmt jetzt 8,3 statt 7,3 Prozent aller Flüchtlinge im Land auf

„Asyl war lange nicht im Gespräch. Jetzt ist es ein großes Thema“, sagt eine Sachbearbeiterin der Kreisverwaltung, die sich bereits seit 2005 um Flüchtlinge kümmert. Die Brisanz der Ereignisse habe dazu geführt, dass ihre Arbeit plötzlich mehr Wertschätzung erfahre. „Das ist schön, aber nicht wirklich wichtig für mich“, sagt sie. „Ich mache die Arbeit auch so gern. Sie macht mir unheimlich viel Spaß, weil ich den Menschen helfen kann.“ Sie ist froh, dass sich viele Stormarner ehrenamtlich engagierten. „Die Neuankömmlinge werden schon erwartet.“

So haben die drei jungen Iraker gleich nach ihrer Ankunft ein Fahrrad bekommen. Der Freundeskreis für Flüchtlinge hat das möglich gemacht. „Mein Ziel ist, dass die Flüchtling lernen, die Räder selbst zu reparieren. Hilfe zur Selbsthilfe ist wichtig“, sagt Holger Scharre, der die Fahrradwerkstatt ehrenamtlich leitet.

Ehrenamtlicher Einsatz ist wichtiger denn je. Denn Ende Juni hat sich die Situation weiter zugespitzt. Gab es mit Neumünster bislang nur eine Erstaufnahme-Einrichtung in Schleswig-Holstein, sind nun Boostedt und kürzlich auch noch Seth (beide Kreis Segeberg) hinzugekommen. Weil das Betreuen einer Erstaufnahme-Einrichtung die Städte und Kreis besonders fordert, werden die Flüchtlinge, die bisher dort aufgenommen wurden, nun auf andere Gemeinden verteilt.

Die Folge für Stormarn: Statt wie bisher 7,3 Prozent nimmt der Kreis jetzt 8,3 Prozent der Flüchtlinge auf, die nach Schleswig-Holstein kommen. In diesem Jahr sind es im nördlichsten Bundesland schon 7289. „Erwartet werden 20.000“, sagt die Oldesloer Fachbereichsleiterin Ulferts. „Bundesweit rund 450.000.“

Zuweisungsschlüssel orientiert sich am Königsteiner Abkommen von 1949

Die Flüchtlinge werden nach dem Königsteiner Schlüssel vom Bund auf die Länder und dann auf die Kreise und Gemeinden verteilt. Das 1949 in Königstein (Taunus) unterzeichnete Abkommen regelt, wie die Länder anteilig an bundesweit zu finanzierenden Aufgaben beteiligt werden. Steueraufkommen und Bevölkerungszahl dienen als Bezugsgrößen – nun auch für die Zuweisung für die Flüchtlinge.

Rund 40 kommen jede Woche nach Stormarn. Menschen aus Kriegsgebieten. Menschen, die politisch verfolgt werden. Menschen ohne Perspektive im eigenen Land. Menschen, die mit ansehen mussten, wie Familienangehörige vor ihren Augen starben.Menschen aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan und Eritrea. Sie sehen keine Perspektive in ihrem eigenen Land. Traumatisiert, mit großen Hoffnungen, stehen sie vor den Türen der Amtsstuben in der Kreisverwaltung. Auch vor der Tür der Sachbearbeiterin. „Für nächsten Dienstag sind 38 angekündigt.“

Manche Gespräche dauerten länger, manche nur zehn Minuten. Ein Dolmetscher helfe. „Viele sprechen Englisch. Aber es geht auch mit Händen und Füßen. Man versteht sich schon.“ Ein Blick auf eine Stormarnkarte mache den Flüchtlingen auch ganz ohne Worte klar, wo sie und ihre Familien untergebracht werden sollen.

Mit einer Zuweisungsverfügung in der Hand geht die lange Reise der Flüchtlinge dann weiter. Ein Kooperationsvertrag mit dem Arbeiter-Samariter-Bund ermöglicht, dass sie zum Sozialamt der Kommune gefahren werden. In die Orte, in denen sie für die nächsten Zeit wohnen und auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten werden. Ein paar Monate, ein paar Jahre?

„Seit Juli zahlt das Land nicht mehr 62 Euro pro Asylbwerber und Quartal, sondern einmalig 900 Euro“

„Die Verfahren sollen beschleunigt werden“, sagt Margot Sinning (SPD). Aber ob das klappt, sei fraglich. „In den Gerichten stapeln sich die Anträge.“ Was die Vorsitzende des Kreissozial- und Gesundheitsaussschusses noch mehr umtreibt, ist die ebenfalls neue Regelung für die Betreuungspauschale. Sinning: „Seit Juli zahlt das Land nicht mehr 62 Euro pro Asylbwerber und Quartal, sondern einmalig 900 Euro.“ So würden auf jeden Fall Verwaltungskosten gesenkt. Ob das auch insgesamt eine Sparmaßnahme sei, werde sich zeigen. Sinning: „Das hängt natürlich von der Dauer der Verfahren ab.“

Klar ist jedoch, dass die 900 Euro direkt an die Kommunen gehen sollen. Die dürften sich freuen, denn das war ihre Forderung (wir berichteten). Margot Sinning ist dagegen in Sorge. Denn bislang ging das Geld an die Migrationssozialberatungsstelle, die die Gemeinden fachlich bei der Betreuung der Flüchtlinge unterstützt hat.

„Wir mussten die Verträge jetzt kündigen“, sagt Sinning. „Zum Glück ist die Arbeit bis Ende 2015 gesichert.“ Aber es müsse weitergehen. Die Kommunen brauchten diese kompetente Unterstützung. „Der Kreis muss also selbst Geld in die Hand nehmen“, sagt Sinning. Gleich nach der Sommerpause solle das Thema auf die Tagesordnung.

Dass in Stormarn eine Willkommenkultur herrsche, sei dagegen erfreulich. Sinning: „Für das ehrenamtliche Engagement bin ich sehr dankbar.“ Allerdings drohe die Gefahr der Überforderung. „Wir müssen aufpassen, dass die Stimmung nicht kippt.“

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