Grosshansdorf. Simulation der Erwachsenenwelt: In der Kinderstadt lernen Kinder im Alter von neun bis 13 Jahren, wie die Gesellschaft funktioniert.

„Ich will heute als Bäckerin arbeiten“, ruft ein kleines, zierliches Mädchen namens Yuna und wedelt mit ihrer Arbeitskarte herum. Die Schülerin steht in einem weißen Zelt. Es ist das Zelt der Arbeitsagentur. Und das steht im Dorf Stormini auf dem Gelände des Emil-von-Behring-Gymnasiums in Großhansdorf. „Wir simulieren eine Woche lang die Erwachsenenwelt“, erklärt Yuna. Noch ist sie trotz des großen Andrangs im Zelt gut gelaunt, doch wenig später vergeht ihr das Lachen.

In der Arbeitsagentur wuseln viele Kinder herum. Sie alle haben sich von einer Holzwand kleine Karten gepflückt. Auf diesen stehen verschiedene Berufe: Schmied, Apotheker, Fernsehmoderator oder eben auch Bäcker. Plötzlich durchbricht eine energische Stimme das Gemurmel. Es ist die zwölfjährige Carla. Sie arbeitet heute als Arbeitsvermittlerin und sagt: „Die Bäckerei hat dicht gemacht.“

Plötzlich herrscht Unruhe in Stormini, nicht alle haben einen Job gefunden

Nun herrscht Panik, denn acht Kinder haben für heute keine Arbeit. Ein erstes Problem tut sich auf, mit dem sich sonst die Erwachsenen herumschlagen müssen: Arbeitslosigkeit. Yuna wirkt geknickt und seufzt: „Was soll ich denn nun machen?“ Des Rätsels Lösung: Arbeitslosengeld beantragen. Sogleich winkt Carla die traurige Yuna zu sich. Der ganze Papierkram geht los: Name, Anschrift und Berufserfahrungen werden abgefragt. Dann sagt die Arbeitsvermittlerin: „Du bekommst nun vier Stormark Arbeitslosengeld. Weitere vier Stormark, wenn du ein Bewerbungstraining mitmachst.“ Wer danach noch einen Minijob ausübe, bekomme einen weiteren Wertscheck über neun Stormark. Stormark, dass ist die Währung in der Kinderstadt.

Jeden Tag üben die Bewohner Storminis zwei Jobs für je zwei Stunden aus. Danach erhalten sie Wertschecks. Diese können in der Sparkasse eingelöst werden. Dort wird schon fleißig Geld sortiert. Die bunten Scheine müssen noch in den Geldautomaten gesteckt werden. Diese Aufgabe übernimmt Emily. Sie geht hinter den Automaten. Dieser sieht aus wie ein echter, nur gibt es anstatt eines Bildschirms eine Öffnung. Eine Art Fenster, aus der die Bankkauffrau hinausschaut. Emily reicht ihrer ersten Kundin Vivian das Geld. Danach muss Vivian zum Finanzamt. Das ist im selben Zelt.

250 Kinder wohnen auf einem Gelände von rund 60 000 Quadratmetern

In Stormini wohnen für eine Woche 250 Kinder im Alter von neun bis 13 Jahren. Das Gelände ist rund 60 000 Quadratmeter groß. Zum Helferteam gehören 71 Zeltbetreuer, 64 Logistiker, 77 Teamer, und 67 Arbeitgeber. Veranstalter ist der Kreisjugendring Stormarn. Bildungsreferent Ansgar Büter-Menke sagt zu der Aktion: „Seit dem Jahr 2008 gibt es das Planspiel Stormini. Es wechselt von Jahr zu Jahr den Standort im Kreis.“ Ziel des Planspiels ist es, dass ein Lernraum geschaffen werde, in dem schwer greifbare Prozesse wie Demokratie, Geldverkehr, Arbeitsmarkt und Marktwirtschaft erlebt und erlernt werden. Während die einen Geldsorgen haben und die anderen sehr viel Geld zählen, tagt das Stadtparlament in der Mehrzweckhalle. Unter den Abgeordneten sind Fenja, Jule, Florian und Julius. Sie kandidieren für die Wahl des Bürgermeisters. Heute müssen sie noch ihre Wahlrede halten. Am Nachmittag öffnen die Wahllokale. „Bisher lag die Wahlbeteiligung immer bei etwa 85 Prozent“, erinnert sich Organisator Büter-Menke. Die Kandidaten wirken gelassen. Fenja: „Gleich bekommen wir Tipps für unsere Rede.“ Landtagsabgeordneter Tobias von Pein (SPD) ist zu Besuch. Ob die vier Bürgermeister-Kandidaten aufgeregt sind? Da sind sich alle einig: „Noch nicht, aber wenn wir unsere Reden halten, bestimmt.“ Schwierigkeit Nummer zwei beim Erwachsenwerden: Selbstbewusst sein und seine Meinung vertreten. Florian sagt: „Sobald das Ergebnis genannt wird, werde ich anfangen zu zittern.“ Dieser Gedanke passt gar nicht zu ihm, denn er wirkt sehr selbstbewusst. Sein Wahlziel hat er bisher noch keinem verraten. Beim Abendblatt macht er eine Ausnahme: „Die Schlange vor dem Jobcenter ist abends immer so lang. Ich will mehr Zelte aufstellen lassen.“

Aber nicht nur politische Strategien müssen überlegt werden. Auch ist bei vielen Berufen handwerkliches Geschick gefragt. Luis arbeitet heute als Schmied. Er trägt eine Jeanshose, ein gelbes T-Shirt und darüber eine viel zu große schwarze Schmiedeschürze aus Leder. Seine Hände stecken in riesigen Handschuhen. Diese sind schwarz vom Ruß. Die Feuerstelle brennt schon. Es riecht nach verbrannter Kohle. Funken fliegen. Zwölf Stormini-Bewohner staunen bei diesem Anblick. Schmied Michael Oppenhorst sagt: „Wir schmieden heute Schlüsselanhänger. Die sehen dann aus wie eine Schnecke.“ Elias sagt: „Dann können wir sie heute auf dem Markt verkaufen.“ Jeden Abend gibt es einen großen Stormini-Markt. Dort werden die Produkte verkauft. „Somit kommt der Geldverkehr in Gang“, ruft Luis. Dann geht es an die harte Arbeit. Die Hammer liegen auf den Ambossen bereit.

Das Erwachsensein ist nicht leicht, sagt Assya aus Glinde

Auch im Nachbarzelt wird gewerkelt. Dort sind die Anlagenmechaniker untergebracht. Heute steht das Bauen von Kerzenständern auf dem Plan. Das Grundgerüst steht schon, es müssen nur noch die runden Teelichthalter festgemacht werden. „Dafür brauchen wir zwei kleine Kupferstücke. Die werden an den Ständer gelötet“, erklärt Anlagenmechaniker Roland Lüders. Dann kommt die zehnjährige Assya und hält das Lötgerät fest. Eine blau-grüne Stichflamme ist zu sehen. „Wow, Wahnsinn“, sagt sie. Dann taucht sie den Kerzenständer in das kalte Wasser in der nebenstehenden Wanne. Assya schnauft tief durch und setzt sich auf die Bank: „Arbeiten macht müde. Erwachsensein ist nicht leicht.“

Eine Stunde müssen die Handwerker noch durchhalten. Dann ist Mittagspause. Die ersten Geldschecks können beim Jobcenter abgeholt werden. Am Abend wird das Geld ausgegeben: auf dem Markt oder vielleicht für einen Kinobesuch. Wer mag, kann es aber auch unter seinem Kopfkissen verstecken und es am Ende der Storminizeit für einen guten Zweck spenden.

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