Die Gewaltkriminalität auf dem niedrigsten Stand seit neun Jahren – die Zahl der Brandstiftungen steigt indes um 13,5 Prozent

Es gibt Verbrechen, die sich ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerung brennen. Der Fall Anne Hondelmann aus dem Jahr 2010 wird vielen Stormarnern in Erinnerung geblieben sein. An einem Sonntag im Juni fährt die 25 Jahre alte Arzthelferin von Hamburg mit der Regionalbahn zurück in ihre Heimatstadt Bargteheide. Doch zu Hause kommt sie nie an. In den ersten Tagen nach ihrem Verschwinden geht die Polizei noch nicht von einem Verbrechen aus, es fehlen Anhaltspunkte. Familie und Freunde indes durchkämmen die Gegend rund um Bargteheide, starten einen Suchaufruf über soziale Netzwerke, befragen Pendler.

Was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnt: Anne wurde vor dem Bargteheider Bahnhof von Andreas K. entführt und in sein Haus in Tangstedt verschleppt. Sieben Tage ist sie in seiner Gewalt, wird von dem 49-Jährigen immer wieder vergewaltigt und gefoltert. Als sie Sympathie und Mitgefühl bei ihm erregt, rettet sie damit ihr Leben. Ihr Peiniger bringt sie in die Nähe ihres Elternhauses in Bargteheide und lässt sie frei. Andreas K. begeht wenige Tage später Selbstmord, kurz bevor die Polizei ihn festnehmen will. Später stellt sich heraus, dass der Installateur 1985 bereits eine Hamburgerin ermordet hatte.

In der Polizeistatistik 2010 wird Annes Fall als einer von 422 Gewaltkriminalitätsfällen in Stormarn registriert, doch die Dramatik des Verbrechens und dessen Folgen erfasst sie nicht. Unter Gewaltkriminalität fallen Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub, räuberische Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme sowie Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr. Die Gewaltkriminalität hat kreisweit den niedrigsten Stand seit neun Jahren. Doch es sind jene Verbrechen, die die Gemüter bewegen.

Wie der Fall von Elias, 6, und Celine, 4, aus Glinde im Januar 2014. Während sie schliefen, schnitt ihr Vater Dr. Fardeen A. ihnen die Kehlen durch. Die Mordkommission Lübeck, kurz K 1, ermittelte die näheren Umstände. Das Motiv des Zahnarztes, der im religiösen Wahn handelte, konnte auch das Landgericht Lübeck nicht abschließend klären. Fardeen A. muss auf unbestimmte Zeit in der Psychiatrie bleiben.

Wenn es um die Untersuchung von Tötungsdelikten geht, wandert die Zuständigkeit stets von Stormarn nach Lübeck. Die dort ansässige Bezirkskriminalinspektion (BKI) kümmert sich zudem um erpresserischen Menschenraub, Geiselnahmen, schwere Formen der Serien-, Banden- und Rauschgiftkriminalität sowie Wirtschafts- und Staatsschutzdelikte.

Leichenfund auf Großenseer Golfplatz sorgt bundesweit für Schlagzeilen

Die K 1 wurde auch gerufen, als im Januar 2012 eine tote Frau auf dem Gelände des Golf-Clubs Großensee gefunden wurde. Wer war sie, wurde sie dort nur abgelegt oder auch ermordet, warum? Fragen, denen die Mordkommission nachgeht. „In den meisten Fällen werden Tatverdächtige innerhalb kurzer Zeit ermittelt und die Bearbeitung des Falles im Verlauf eines Monats abgeschlossen“, sagt Detlev Zawadski, stellvertretender Leiter der BKI und Leiter der Fachinspektion 2, zu der auch das K 1 gehört.

Zwei Tage nach dem Fund der Frauenleiche ist klar, dass es sich um die 18 Jahre alte Arzu Ö. aus Detmold handelt. Die junge Kurdin wird seit zwei Monaten vermisst. Die Ermittler finden heraus, dass ihre vier Brüder und eine Schwester Arzu entführt haben, weil sie einen Deutschen liebt. Arzu wird schließlich von ihrem Bruder Osman erschossen. Wo, bleibt unklar. Doch Großensee wird durch den Leichenfund zum Schauplatz des bundesweit bekannten Falles von Ehrenmord.

„Seit 2006 gibt es im Kreis Stormarn keine ungelösten Todesfälle mehr“, sagt Detlev Zawadski. Als vor zehn Jahren die Realschullehrerin Isolde F. in Ahrensburg in ihrer Wohnung erstochen wird, ist der Schock an der damaligen Realschule des Heimgarten-Schulzentrums groß. Die Fahnen in der Schlossstadt hängen auf Halbmast, Kollegen und Schüler können die Bluttat nicht fassen. Die Kriminalbeamten befragen Lehrer und Schüler, Verwandte und Bekannte von Isolde F. Drei Tage später steht fest: Ihr Schüler Alex O., 18, und sein Bruder Vitali, 20, haben Isolde F. wegen Alex’ Fünf in Deutsch zur Rede gestellt. Das Gespräch endet mit acht Messerstichen in der Brust der Lehrerin.

Für die Boulevardpresse wird Ahrensburg damit zur Stadt, wo Lehrer wegen schlechter Noten umgebracht werden. Alex und Vitali O. müssen mehrjährige Jugendstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung absitzen – und aus einem Schüler wurde durch die Tat ein Verbrecher.

Ob ein Delikt als Verbrechen eingestuft wird, hängt vom Strafmaß ab. „Wir unterscheiden zwischen Ordnungswidrigkeit, Vergehen und Verbrechen“, erklärt Sonja Kurz, Sprecherin der auch für Stormarn zuständigen Polizeidirektion Ratzeburg. „Ab einem Jahr Gefängnis gilt ein Delikt als Verbrechen.“ Während das Überqueren einer roten Ampel noch als Ordnungswidrigkeit behandelt wird, fallen Diebstahl oder Betrug in die Kategorie Vergehen.

Nur 5,3 Prozent der Einbrüche in Stormarn werden aufgeklärt

Diebstähle machen den Großteil der Straftaten im Kreis aus. Wegen der überdurchschnittlich hohen Zahl von Einbrüchen in Stormarn wurde von der Polizei im Herbst 2014 die Präsens- und Ermittlungsgruppe Wohnungseinbruchdiebstahl, kurz PEG-WED, mit Sitz in Reinbek gegründet. Hochburg für Einbrecher war im vergangenen Jahr, wie schon 2013, Ahrensburg mit 200 erfassten Wohnungseinbrüchen, gefolgt von Reinbek und Bad Oldesloe mit jeweils 60 Taten. Die Aufklärungsquote lag lediglich bei 5,3 Prozent. „Wir haben es hier am Hamburger Stadtrand häufig mit Tätern zu tun, die nicht von hier stammen“, sagt Felix Schmidt, kommissarischer Leiter der Kriminalpolizeistelle Ahrensburg. „Die gute Anbindung an die Autobahn und das öffentliche Nahverkehrsnetz bieten ideale Fluchtwege.“

Einbrecher sind nicht das einzige Problem, mit dem die Ahrensburger zu kämpfen haben. Die Zahl der Brandstiftungen stieg 2014 kreisweit um 13,5 Prozent auf 84 Fälle an, besonders die Taten rund um Ahrensburg häuften sich. Monatelang waren nachts Autos, Carports, Gartenhäuser, Papiercontainer und Strohballen in Flammen aufgegangen. Zur Untersuchung der Brandorte werden Brandursachenermittler wie Matthias Sager (Foto oben) von der Kriminalinspektion in Bad Oldesloe hinzugerufen. Sie unterstützen kreisweit ihre Kollegen bei Brandfällen.

Im Dezember 2014 kommt die Polizei vier Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr Ahrensfelde auf die Spur. Auf das Konto der 19 bis 21 Jahre alten Männer gehen neun Brände. Sie wollten als Erste am Einsatzort die Anerkennung und den Respekt ihrer Kameraden ernten. Wegen der fortschreitenden Ermittlungen hatten sie später zwei Bekannte dafür bezahlt, weitere Brände in Ahrensfelde zu legen.

Gerade haben in Hammoor wieder Strohballen gebrannt. Es scheint, als habe die Polizei auch weiterhin gut zu tun.