Ahrensburg. Am 3. Mai 1945 endete mit der Ankunft britischer Panzer für die Schlossstadt der Zweite Weltkrieg. Zeitzeugen erinnern sich.
Plötzlich vibriert das ganze Haus. Draußen sind Motorengeräusche zu hören. Sie kommen schnell näher. Die sechsjährige Karin erschrickt und läuft zum Fenster, um zu sehen, woher der Lärm kommt. Auf dem breiten Sandweg, der von der Straße zum Haus führt, nähern sich zwei Panzer. Ihre Ketten hinterlassen tiefe Spuren im Boden. Kurz darauf stehen britische Soldaten an der Küchentür. Karins Mutter spricht etwas Englisch. Sie und die Großmutter diskutieren mit den Soldaten. Karin versteht nicht, worum es geht. Sie hat Angst vor dem, was jetzt geschehen wird. Kurz darauf erfährt sie es.
„Sie haben uns befohlen, das Haus zu verlassen. Nur meine Großeltern, denen das Haus gehörte, durften bleiben, weil mein Großvater sehr krank war“, sagt Karin Voß, die damals noch Villwock mit Nachnamen hieß. Außer ihr und den Großeltern leben zu dem Zeitpunkt noch ihre Mutter, die zwei kleinen Schwestern und elf Flüchtlinge aus Schlesien und Ostpreußen in dem Haus in der Nähe vom Schloss Ahrensburg. Glücklicherweise können sie bei Karins anderem Großvater, der einen Bauernhof in Ahrensfelde besitzt, unterkommen. Mit zwei Pferdefuhrwerken holt er die Familie und die Flüchtlinge ab.
In Trittau waren britische Panzer bereits am 1. Mai eingetroffen
Es war der 3. Mai 1945, der Tag, an dem Ahrensburg von britischen Truppen, genauer gesagt der 15. Schottischen Division, eingenommen wurde. Damit endete für die Stadt der Zweite Weltkrieg. In Trittau waren britische Panzer bereits am 1. Mai eingetroffen, Bad Oldesloe und Reinfeld folgten am 2. Mai. Reinbek, Glinde und der Rest von Stormarn wurden am 3. Mai besetzt. „Wir waren sehr erleichtert, als der Krieg zu Ende war“, sagt Karin Voß. „Wir hatten davor immer furchtbare Angst vor Tieffliegern gehabt. Das war dann endlich vorbei.“ Die britischen Besatzer richteten im Schloss Ahrensburg kurzfristig ihr Hauptquartier ein. Das Haus von Karin Voß’ Großeltern wurde zum Offiziersquartier. Erst Ende des Jahres durfte die Familie in das Haus zurückkehren, das ihr Großvater 1935 gebaut hatte.
In dem Buch „,Stunde Null’ in Ahrensburg – Zeitzeugenberichte zum Kriegsende 1945“ finden sich mehrere Schilderungen der Ereignisse am 3. Mai 1945. Ein Augenzeuge namens Herbert Sellhorn berichtet zum Beispiel, dass der damalige Bürgervorsteher Gramm in einem Auto mit einer großen weißen Fahne in Richtung Schmalenbeck gefahren sei, um den von dort kommenden Engländern zu zeigen, dass sich Ahrensburg kampflos ergebe. „Diese Entscheidung hatte der Bürgervorsteher allein getroffen, um Ahrensburg vor der Zerstörung zu bewahren“, so Sellhorn. „Der Ortsgruppenleiter hingegen lief in einer Uniform betrunken im Ort herum und grölte: ,Ahrensburg wird bis zuletzt verteidigt!´“
Durch die vielen Flüchtlinge hatte Ahrensburg plötzlich 18.000 Einwohner
Zu Beginn des Krieges hatten 8270 Menschen in Ahrensburg gelebt. 1945 war die Zahl durch den Zuzug von ausgebombten Hamburgern und durch zahlreiche Flüchtlinge aus dem Osten Deutschlands auf zeitweise mehr als 18.000 gestiegen. An der Großen Straße und im Schlosspark wurden sogenannte Nissenhütten aus Wellblech errichtet, wo Essen ausgegeben wurde. Alle Schulen, die nicht bereits zu Lazaretten umfunktioniert worden waren, wurden zu Notunterkünften für die Flüchtlinge gemacht. Das Walter-Werk, das sich auf dem heutigen Gelände der Gewürzwerke Herrmann Laue befand, wurde von den britischen Besatzern zunächst zum zentralen Gefangenenlager für deutsche Soldaten erklärt. Später wurde es zum technischen Stützpunkt und zur Reparaturwerkstatt ausgebaut.
Harald Düwel aus Ahrensburg erlebte das Kriegsende in Bargteheide. Kurz zuvor war der damals Elfjährige mit seiner Mutter und der jüngeren Schwester von Hamburg-Bahrenfeld zu einem befreundeten Paar nach Bargteheide gezogen, um sich dort in Sicherheit zu bringen. „Nachdem die Besatzungstruppen eingetroffen waren, standen auf einmal zwei bewaffnete britische Soldaten vor der Tür unserer Gastgeber“, sagt der heute 81-Jährige. „Sie suchten nach versteckten Nazis. Außerdem hatten sie Metallsuchgeräte dabei, vermutlich um Sprengsätze zu finden.“ Tatsächlich sei das Gerät im Garten angesprungen. „Die Engländer begannen zu Graben und fanden den NSDAP-Mitgliedsausweis und das Abzeichen meines Vaters“, sagt Düwel. „Ich habe mich sehr erschrocken. Das haben die Briten gesehen und sich königlich amüsiert. Sie haben die Sachen einfach wieder in das Erdloch zurückgeworfen und sind gegangen.“ Düwels Vater war damals beruflich unterwegs. Er war Lebensmittelunternehmer und beaufsichtigte für das Reichsernährungsministerium Meiereien in der Region. „Er musste damals in die Partei eintreten, sonst hätte er seine Lizenz verloren“, sagt der Ahrensburger.
Gut erinnern kann er sich auch daran, wie er und ein paar andere Kinder kurz vor Kriegsende auf einem Feld bei Bargteheide unterwegs waren. „Plötzlich tauchten Tiefflieger auf und nahmen uns Kinder unter Beschuss. Die Kugeln schlugen dicht neben mir in den Boden“, erzählt Düwel. „Wir haben uns in einem Graben versteckt. Glücklicherweise wurde niemand getroffen.“
Zeitzeuge Harald Düwel denkt mit gemischten Gefühlen an das Kriegsende
Nach der Kapitulation Hamburgs kehrte die Familie in ihre Wohnung nach Bahrenfeld zurück. „Kurz darauf kamen englische Soldaten zu uns“, sagt der Zeitzeuge. „Ich war empört, als sie einfach reinmarschierten, sich alles nahmen, was sie wollten, und wieder verschwanden. Teilweise waren die Briten sehr nett, aber manche waren auch von dem Feindbild der Nazideutschen durchdrungen.“
Karin Voß muss bei den britischen Besatzern oft an ein bestimmtes Erlebnis denken: „Als wir damals in Ahrensfelde waren, kochten die Briten in der Nähe Vanillepudding. Wir Kinder haben das gerochen und sind hingelaufen“, sagt Voß. „So etwas Tolles wie Pudding hatten wir damals natürlich nicht. Die Soldaten haben uns etwas abgegeben. Es schmeckte einfach wundervoll.“ Bei dem Gedanken daran strahlt sie übers ganze Gesicht.
Das Ende des Krieges verbindet Harald Düwel mit gemischten Gefühlen. „Einerseits waren wir erleichtert, dass die unmittelbare Gefahr vorüber war, andererseits war da die völlige Ungewissheit und die Angst vor der Zukunft“, sagt der 81-Jährige. „Als Kinder war uns immer erzählt worden, dass Deutschland den Krieg noch gewinnen würde. Keiner wusste, was nun passiert.“