Am 3. Mai vor 70 Jahren marschieren britische Truppen in Hamburg ein – ohne dabei einen Schuss abzugeben.

Es ist 16.13 Uhr am 3. Mai 1945, als die südlich vor Hamburg liegende 7. Britische Panzerdivision das Codewort „Baltic“ erhält. In drei Marschsäulen – aus Richtung Buxtehude, von Nenndorf über Tötensen und aus Richtung Hittfeld – setzen die Panzer sich in Bewegung. Vor den Elbbrücken treffen die drei Stränge aufeinander und überqueren als eine Kolonne die Elbe. Über den Heidenkampsweg und die Mönckebergstraße geht es weiter in Richtung Rathausmarkt. Kurz vor 19 Uhr wird ihnen im Rathaus die Stadt übergeben.

Der Einmarsch der Engländer in Hamburg verläuft komplikationslos. „The entry was completely without incident“, vermerkt der englische General John Spurling in seinen Notizen. Die meisten Einwohner beachten das befohlene Ausgehverbot. Jene, die sich trotzdem auf die Straße wagen, verhalten sich zumeist zurückhaltend freundlich. Die befürchteten Attacken durch unverbesserliche Nationalsozialisten bleiben aus. Allerdings sind auch keine weißen Fahnen zu sehen.

„Hinter der Gardine stehend sahen wir sie dann kommen“, schreibt Reinhard Reuss in seinen im Jahr 2010 erschienenen Erinnerungen über den Einmarsch der Engländer. „Langsam fuhren sie die Isestraße entlang Richtung U-Bahn-Station Hoheluftbrücke. Vorweg zwei Kradfahrer mit topfförmigem Helm, umgehängter MP, Pistole im Stofffutteral, gefolgt von kleinen rasselnden Kettenfahrzeugen und Mannschaftswagen der Marke ‚Plattnase mit Ausstieg‘.“ Die Lkws hatten keine Motorhaube, waren also platt.

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Der erste Kontakt mit den Truppen fällt in den Stadtteilen unterschiedlich aus. „Auf der Hammer Landstraße rollten lange Kolonnen von Panzern, die ihre Geschützrohre drohend auf die Ruinen links und rechts richteten und Militärlastwagen in die Innenstadt, begleitet von Jeeps, deren Soldaten ihre Maschinenpistolen im Anschlag hatten“, schreiben Uwe Bahnsen und Kerstin von Stürmer in ihrem Buch „Die Stadt, die leben wollte“.

In Volksdorf erleben die Einwohner, wie ein britischer Panzerspähwagen vorweg fährt und ihm eine schottische Militärkapelle folgt. Die zwei Dutzend Musiker, die die Militärkolonne anführen, haben ihre traditionellen weißen Kniestrümpfe und bunt gemusterte Röcke an. „Ihre Dudelsackmusik übertönte das Motorengeräusch.“

So friedlich und freundlich diese Beschreibung klingt, so riesig sind die Probleme, vor denen die Militärregierung, der Senat und die Bevölkerung stehen. „Neben der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Strom, Gas, Wasser und Lebensmitteln waren vorrangig die Trümmer zu beseitigen und Wohnraum wieder herzustellen“, schreibt Hartmut Hohlbein in seinem Buch „Hamburg 1945 – Kriegsende, Not und Neubeginn“.

Noch am Abend des 3. Mai geben die Engländer bekannt, dass die Ausgangssperre am folgenden Tag ab neun Uhr aufgehoben sei und die Geschäfte ab zehn Uhr wieder öffnen könnten. Die Engländer selbst errichten auf der Moorweide ein Biwak und nutzen das Hotel Vier Jahreszeiten als Schaltzen­trale. Zudem verbreitet, wie Hohlbein schreibt, der Sender der englischen Militärregierung – Radio Hamburg – täglich um 20 und 22 Uhr Nachrichten; offizielle Bekanntmachungen werden um 18.15 Uhr und 20.15 Uhr gesendet.

So mancher Hamburger erhofft sich aufgrund beschworener Nähe zu Großbritannien eine nachsichtige Behandlung durch die Briten. Doch diese Hoffnung erfüllt sich nach dem Einmarsch der britischen Truppen nicht. „Hamburg war – abgesehen von seiner Größe und seinem Hafen – grundsätzlich eine fremde Stadt wie jede andere in der britischen Besatzungszone“, schreibt der Historiker Michael Ahrens in seinem Buch „Die Briten in Hamburg – Besatzerleben 1945-1958“.

Und daher verhält sich die Besatzungsverwaltung so, wie es die Engländer in ihren Kolonien zuvor erfolgreich praktiziert hatten. „In Indien und auch in den Kolonien Afrikas hatten die Briten abgegrenzt von der einheimischen Bevölkerung nach dem Prinzip der ‚indirekten Herrschaft‘ gelebt und gearbeitet“, schreibt Ahrens. „Nach diesem Vorbild galt es nun, eine unbekannte und stark zerstörte Stadt wie Hamburg zu organisieren und letztlich mit (britischem) Leben zu füllen.“

Die Briten prägen fast ein Jahrzehnt das öffentliche Leben in der Hansestadt

Trotz der „indirekten Herrschaft“ sollen die Briten fast ein Jahrzehnt das Leben Hamburgs prägen. So werden erst im Mai 1951 in den S-Bahnen die Sonderabteile für Briten abgeschafft und erst 1956 die Pkw-Nummernschilder „BH“ für „Britische Zone Hamburg“ durch „HH“ ersetzt. „Die letzte britische Schule schloss 1957, im gleichen Jahr wurden die noch übrig gebliebenen beschlagnahmten Wohnungen zurückgegeben, und schließlich verließen die letzten britischen Garnisonseinheiten im Frühjahr 1958 die Stadt“, schreibt Ahrens.

Doch darüber denkt unmittelbar nach der Kapitulation Hamburgs niemand nach, zumal der Start der Besatzungszeit chaotisch ist. „In den ersten Tagen führten kanadische Offiziere das Kommando in Hamburg“, schreibt Ahrens. „Qualifiziertes Personal fehlte in fast allen Abteilungen, und erst nach einer Woche konnte der Posten des Stadtkommandanten besetzt werden.“

So beobachtete der kommissarische Leiter der allgemeinen Staatsverwaltung, Julius Bock von Wülfingen, im Rathaus ein „Kommen und Gehen“. In den Hauptsälen im ersten Stock seien britische Büros, Passstellen und dergleichen eingerichtet worden. „Es war völlig unmöglich, zu einer Verhandlung zu kommen, da man sonst stundenlang hätte warten müssen.“

Für wachsenden Unmut unter den Deutschen sorgt das Akquirieren von Unterkünften. „Binnen weniger Wochen beschlagnahmte das Militär eine große Zahl an Wohnungen und Gebäuden, die den Grundstock für die gesamte Zeit der Besatzung bilden sollten“, so Ahrens. Zwar ist das gesamte Ausmaß heute nicht mehr nachvollziehbar. Aber „bevorzugt requirierten die Briten zu diesem frühen Zeitpunkt Wohnhäuser und Villen in Rotherbaum und Harvestehude sowie in Othmarschen, Blankenese und Flottbek“. Bei Hotels, Restaurants und Kinos ist insbesondere das Dreieck zwischen Rathaus, Gänsemarkt und Hauptbahnhof betroffen.

Zur Ehrenrettung der Briten muss man sagen, dass Hamburg aus ihrer Sicht eine besondere Herausforderung darstellt. Abgesehen von ihrer Größe ist das Schicksal der Hansestadt seit dem Krieg eng mit den Engländern verknüpft. „Wohl kaum eine deutsche Stadt war von britischen (und amerikanischen) Bomben so zerstört worden wie Hamburg, das bei Kriegsende noch immer eine Millionenstadt und damit die größte der Besatzungszone war.“

Auch wenn letzten Endes die Verlegung des Hauptquartiers der britischen Zone an die Elbe scheitert, ist Hamburg kurz nach Kriegsende Dreh-und Angelpunkt der Briten. „Die Stadt war der Importhafen aller britischen Güter. Außerdem ballten sich in keinem anderen Ort der britischen Zone so viele militärische und zivile Einheiten“, schreibt Ahrens. Von der Hamburger Musikhalle aus sendet der Soldatensender British Forces Networks.

Uwe Bahnsen und Kerstin von Stürmer beschreiben die Stimmung in Hamburg in den ersten Tagen nach der Kapitulation als ambivalent: „Einerseits war jedermann zutiefst erleichtert darüber, den Krieg überlebt zu haben und nachts endlich wieder schlafen zu können, ohne durch heulende Sirenen geweckt zu werden.“ Andererseits herrschten Unsicherheit und Zukunftsangst – der psychische Druck, der auf den meisten Hamburgerinnen und Hamburgern lastete, war enorm.

Vor allem die Kinder gehen in den ersten Tagen unbefangen auf die Engländer zu

Es sind vor allem Kinder, die in den ersten Tagen der Besatzung unbefangen auf die englischen Soldaten zugehen. „Wir lernten junge, zeitweise richtig lustige Soldaten in ihrer braunen Uniform nebst Käppi oder roter Tellermütze kennen“, erinnert sich Reinhard Reuss. Zumeist rauchten die Soldaten eine Zigarette nach der anderen. Manche der Deutschen hatten keine Hemmung, „halb aufgerauchte Zigaretten aufzuheben und unter den Augen der Briten weiterzuqualmen. Die lachten und fanden das Schauspiel dieser Art von Erniedrigung höchst amüsant.“

Grundsätzlich aber gehen die britischen Soldaten – zumindest in den ersten Wochen – im Alltag eher distanziert mit den Deutschen um. Das hat seinen Grund in einem sogenannten Fraternisierungsverbot. Kontakte zwischen englischen Soldaten und den Deutschen sollen möglichst schon im Keim erstickt werden.

Um das den Deutschen zu erklären, richtet der britische Oberbefehlshaber Bernard Law Montgomery am 11. Juni 1945 eine Botschaft an sie. Darin sagt er, die Deutschen hätten den Krieg verloren, und man wolle ihnen „eine endgültige Lehre“ erteilen.

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Die Deutschen seien nicht nur besiegt worden, sondern auch am Ausbruch des Kriegs schuldig gewesen. „Darum stehen unsere Soldaten mit euch nicht auf gutem Fuße. Dies haben wir befohlen, dies haben wir getan, um euch, eure Kinder und die ganze Welt vor noch einem Krieg zu bewahren.“ Die Botschaft endet mit dem Aufruf: „Dies sollt ihr euren Kindern vorlesen, wenn sie alt genug sind, und zusehen, dass sie es verstehen. Erklärt ihnen, warum englische Soldaten sich nicht mit ihnen abgeben.“

Allerdings halten die Engländer das Fraternisierungsverbot nicht lange durch. Schon am 12. Juni 1945 wird den englischen Soldaten erlaubt, mit deutschen Kindern zu sprechen. Am 14. Juli 1945 sagt Montgomery: „Die alliierte Politik der Austilgung des Nationalsozialismus und der Entfernung der Nationalsozialisten aus verantwortlichen Stellen des deutschen öffentlichen Lebens hat große Fortschritte gemacht. Es erscheint daher wünschenswert und an der Zeit, allen Angehörigen der britischen Streitkräfte in Deutschland zu gestatten, sich auf der Straße und in der Öffentlichkeit mit erwachsenen Deutschen zu unterhalten.“1946 wird letztlich für die englischen Militärs auch das Eheverbot mit deutschen Frauen aufgehoben, schreibt Hohlbein. „Bis zum 10. Mai 1947 haben dann 3633 britische Soldaten um Genehmigung zur Heirat einer Deutschen nachgesucht.“

Dazu beigetragen hat wohl auch, dass bereits im Juli 1945 die ersten kulturellen Veranstaltungen erlaubt werden. So gibt es in der Hamburger Musikhalle wieder Konzerte zu hören, und im Savoy-Theater – den heutigen Kammerspielen – werden die ersten Theaterstücke nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgeführt.

Als problematisch erweist sich das von den Engländern ausgesprochene Verbot, feldgraue Uniformen und militärische Kopfbedeckungen zu tragen. Vor allem für ehemalige Soldaten, die aus der Kriegsgefangenschaft nach Hamburg heimkehren und oft nichts weiter als ihre Uniform besitzen, stellt das ein großes Hindernis dar. Man behilft sich im Verlauf der Monate damit, die ehemaligen Wehrmachtsuniformen blau oder braun zu färben.

Im Umgang mit den englischen Dienststellen haben in den ersten Nachkriegstagen jene einen Vorteil, die die englische Sprache beherrschen. Die englischen Dienststellen weisen nämlich jeden Antrag zurück, der nur in deutscher Sprache vorgelegt wird.