Die Hälfte seiner ersten Amtsperiode ist um: In Glinde zog Ministerpräsident Torsten Albig Bilanz und machte Werbung in eigener Sache. Er verteidigte die Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs.
Glinde. Für den frei gehaltenen Vortrag hätte er in der Schule vom Lehrer ein großes Lob bekommen. Die Sätze sind wie geschliffen, die Ausführungen präzise und mit Zahlen belegt. Auch die Betonung passt, und den Blickkontakt mit dem Publikum sucht Torsten Albig permanent an diesem Abend in Glinde. Zettel mit Notizen benötigt er während der zweistündigen Veranstaltung nicht. Der Mann ist geübt auf diesem Gebiet. Sich selbst gut zu verkaufen gehört auch zu seinem Job – dem eines Ministerpräsidenten. Albigs Botschaft ist klar: Wir Sozialdemokraten haben viel erreicht und halten unsere Wahlversprechen. Er sagt: „Ein großer Teil, den wir uns vorgenommen haben, ist bereits zur Halbzeit umgesetzt.“
Der Ministerpräsident ist zu Besuch im Süden Stormarns, um Werbung in eigener Sache zu machen und Bilanz zu ziehen. Die Hälfte seiner ersten Amtsperiode ist um, noch bis 2017 steht er an der Spitze der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW. Dann soll für ihn noch lange kein Abpfiff sein. Die Opposition sieht das naturgemäß nicht so. Auch das Zahlenwerk, mit dem Albig die nach seiner Ansicht erfolgreiche Arbeit der Regierung untermauert, interpretieren Christdemokraten und Liberale ganz anders.
Torsten Albig klopft sich und seiner Partei kräftig auf die Schultern
Doch hier in Glinde gibt es keinen Streit. Schließlich ist der Anteil der Genossen groß. Rund 50 Interessierte sind ins Marcellin-Verbe-Haus gekommen, darunter auch Kommunalpolitiker. Am hintersten Tisch sitzen zwei Jugendliche. Sie ziehen Albigs Auftritt dem Champions-League-Spiel des FC Bayern im TV vor. Geladen hatten die Glinder Sozialdemokraten und Martin Habersaat, SPD-Landtagsabgeordneter aus Barsbüttel. Jener Politiker, der zuletzt so viel verbale Prügel von den Verwaltungschefs in seinem Wahlkreis einstecken musste, weil er für das neue Finanzausgleichsgesetz stimmen wird, durch das der Kreis und seine Kommunen Geld verlieren.
Habersaat steht nur wenige Meter von Albig entfernt an einem mit roter Decke verzierten Tisch. Die Nähe des Landesvaters tut ihm sichtlich gut, insbesondere dessen lobende Worte. Der Barsbütteler ist bildungspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion und mit seinem Fachgebiet ein wichtiger Mann für den Ministerpräsidenten. Der schätze Habersaat sehr, weil er ein harter Arbeiter sei, heißt es in politischen Kreisen. „Wir hatten die Priorität Kita und dann Schule“, sagt der Ministerpräsident.
Albig klopft sich und seiner Partei kräftig auf die Schultern, referiert lange über die Vorzüge seiner Bildungspolitik. Er reißt nahezu alle Bereiche an: Man sei unter den Top Drei der Bundesländer beim Zuwachs von Kita-Plätzen und habe trotz der zurückgenommenen Kürzungen im Sozialbereich zum ersten Mal seit 42 Jahren einen Überschuss erzielt. Nicht zu vergessen die niedrigste Arbeitslosenquote in Schleswig-Holstein seit 20 Jahren. Irgendwie klingt das nach Wahlkampf. Das Publikum hört geduldig zu, hier ein Nicken, aber kein Kopfschütteln. Habersaat macht sich Notizen. Nur wenige Stunden später wird ein Bericht über Albigs Auftritt in Glinde seine Homepage schmücken.
Die Zeit rast. 20, 25, 30 Minuten vergehen – und immer noch kein Wort über die Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs. Kurz darauf ist es soweit. Albig redet über Wirtschaft, lobt Stormarn und schwört die Genossen ein. Er sagt: „Hier ist der Kreis, der mit den erfolgreichsten in Baden-Württemberg und Bayern mithalten kann.“ Es gebe aber Mitspieler im Land, die in die Knie gehen würden. Das schade der sozialen Gerechtigkeit.
Glinde, das laut Finanzausgleichs-Tabelle des Innenministeriums im kommenden Jahr 174.000 Euro verliert, ist nach Albigs Berechnungen gar nicht so schlimm dran. „Dadurch, dass die Finanzausgleichsmasse höher ist, hat die Stadt nach absoluten Zahlen 2,3 Millionen Euro mehr in der Kasse als in diesem Jahr“, sagt er. „Mit dem alten System wäre die Zahl noch höher gewesen“, so Habersaat. Mit Ausnahme von Reinbek hätten alle Kommunen im Süden Stormarns mehr Geld.
Während Habersaat das sagt, schreitet Reinbeks SPD-Fraktionsvorsitzender Volker Müller zum Mikrofon. Der ehemalige Kita-Leiter gilt als besonnen. Jetzt ist er verärgert. Müller spricht Albig mit Vornamen an. So macht man das bei den Genossen. „Reinbek hat eine Million Euro weniger. Wir Kommunalpolitiker müssen den Menschen erklären, weshalb zum Beispiel die Hundesteuer erhöht wird. Das ist eine Scheißsituation.“ Der Ministerpräsident zeigt Verständnis, verweist aber auf Städte, denen es noch schlechter geht. Unter den Gästen ist auch CDU-Kreispolitiker Lukas Kilian. Er bemängelt, die Regierung fasse 2015 keine der sanierungsbedürftigen Landstraßen in Stormarn an. Albig sagt, zuerst seien jene dran, die es am nötigsten hätten. Mit der Halbzeit beim Fußballspiel in München ist auch für Albig in Glinde Abpfiff.