Die Grundschule Mühlenredder pflegt traditionell im Unterricht die niederdeutsche Sprache. Nach den Ferien können auch Erstklässler Plattdeutsch lernen. Ein Besuch in der Plattdeutsch-Lernwerkstatt.
Reinbek. Schulleiterin Karen Schmedemann öffnet die Tür zum Klassenzimmer und ist zufrieden. Niemand sitzt auf seinem Platz, die Schüler sind richtig in Fahrt, einige reden lebhaft durcheinander, und alle haben reichlich Spaß. Karen Schmedemann hat also nicht zu viel versprochen, als sie von einem Unterricht schwärmte, mit dem die Grundschule am Mühlenredder beste Erfahrungen gemacht hat und der deshalb demnächst einen noch größeren Stellenwert bekommen soll.
Die Lernwerkstatt „Plattdüütsch“ ist seit Jahren eine feste Größe in Reinbek – ein Wahlangebot für Dritt- und Viertklässler, das so beliebt ist, dass viele Teilnehmer gern verlängern. Die niederdeutsche Sprache wird am Mühlenredder traditionell gepflegt. In den Deutschunterricht werden immer wieder kurze plattdeutsche Texte oder Gedichte eingebaut, im Musikunterricht Lieder einstudiert.
Die Schule macht seit 1990 beim Wettbewerb „Schölers leest Platt“ mit. Sie schickt Gruppen zum Frühlingssingen auf Platt ins Sachsenwaldforum oder zum Theaterspielen in Senioreneinrichtungen. 2007 bekam die Grundschule für ihren Einsatz vom Landtag das „Niederdeutsch-Siegel“ verliehen. Und vom kommenden Schuljahr an wird Plattdeutsch sogar zum freiwilligen Unterrichtsfach mit regelmäßig zwei Wochenstunden ab Klasse eins, denn die Mühlenredder-Schule wurde als eine von 27 Grundschulen für ein schleswig-holsteinisches Modellprojekt ausgewählt. Am Mühlenredder wird künftig eine feste Lerngruppe von der ersten bis zur vierten Klasse Platt lernen können.
„Ik bruuk help“, lautet der erste Satz, den ich beim Besuch in der Lernwerkstatt aufschnappe. Es ist jedoch kein Hilferuf, sondern Textstück in einem dialogreichen kleinen Theaterstück. Hilke Klank, die Plattdeutschbeauftragte am Mühlenredder, unterbricht die Probe und begrüßt mich auf Platt. Sie fragt, was ich wissen will, und sagt, dass ich die Schüler und sie jederzeit fragen könne – am besten op Platt. Ich denke: „Ik bruuk help“, rede ein wenig Hochdeutsch und höre lieber erst mal gut zu.
In ihrer letzten Stunde demonstriert die Lernwerkstatt noch einmal ihr ganzes Repertoire: Sketche, Theaterszenen, Lieder – jeder ist mit einer kleinen Sprechrolle dabei. Die Kinder lesen aus dem Buch „Ik bün Hipp-Hopp – du Fischkopp“, einem unterseeischen Krimi mit seltsam vertrauten Meeresbewohnern wie der schönen Hai Diklump, die „bös in Brass“ ist, weil ihr eine Perle aus der Krone abhanden gekommen ist. Die Kinder singen zum Abschluss des 70-minütigen Unterrichts das Lied „Versöök dat mal!“ und wiederholen dabei mit Inbrunst den Refrain „Wi snackt Platt, nich irgendwat!“
Die meisten von ihnen konnten kein Wort Niederdeutsch, bevor sie in die Lernwerkstatt kamen. Jetzt erzählen sie, dass sie zu Hause vorsingen oder sich mit Oma und Opa auf Platt unterhalten können. Besonderen Spaß machen ihnen Vokabeln wie Schietbüdel, Dummdösel und Dösbartel – Schimpfwörter, die im Niederdeutschen richtig nett klingen. Leider werden die meisten Kinder nach dem Übergang in die höhere Schule keine Gelegenheit mehr haben, ihre Kenntnisse auszubauen. Umso wichtiger sind die Grundlagen, die an der Grundschule gelegt werden, findet Hilke Klank. Außerdem gebe es auch einen pädagogisch wertvollen Nebeneffekt: „Wer Platt lernt, der lernt auch schneller Englisch.“
Für Hilke Klank, die aus der Gegend von Flensburg stammt, ist Plattdeutsch die Erstsprache, Hochdeutsch lernte sie erst in der Schule. „Öffentlich Platt zu sprechen, war lange verpönt“, sagt sie und empfindet es als beglückend, dass sie Kinder mit der Sprache, die für sie Heimat ist, vertraut machen kann.
Und sie erzählt von einer inzwischen etwa 20 Jahre alten ehemaligen Schülerin mit Migrationshintergrund, die sie kürzlich um Rat fragte: „Sie wollte bei einem Poetry-Slam einen eigenen Text auf Platt vortragen.“