Die Finanzierung der Hilfe für Kinder mit Behinderungen stand auf der Kippe. Der Kreis Stormarn wollte nicht zahlen, das Land Schleswig-Hosltein auch nicht. Jetzt wurde eine Übergangslösung gefunden.
Ahrensburg. Emilie ist sauer. „Das ist mein Papier“, sagt die Siebenjährige. Ihr Bruder Mads ist da ganz anderer Meinung. Schließlich ist die Sache geklärt, und die beiden malen in trauter Eintracht am Küchentisch. Eine Alltagsszene im Haus der Angelbecks. Die Zwillinge kabbeln sich, lachen und machen Blödsinn. Es sind ganz normale Kinder. Aber aufzustehen und sich Papiernachschub aus der Schublade zu holen, das ist für sie ein Kraftakt. Emilie und Mads kamen mit einer frühkindlichen Hirnschädigung auf die Welt und können nicht richtig laufen. Diagnose: Cerebralparese Spastik. Ohne Hilfe schaffen es die Zwillinge nicht. Nicht zu Hause – und wie dann in der Schule?
So wie diesen beiden Ahrensburger Kindern geht es rund 500 behinderten Jungen und Mädchen in Stormarn, die auf Hilfe in der Regelschule angewiesen sind. So eine Schätzung der betroffenen Eltern, die jetzt aufatmen: Nach einem aufreibenden Kampf ist die bedrohte Schulbegleitung nun gesichert. Der Kreis hat zugesagt, die Kosten zu übernehmen. Allerdings nur als Übergangslösung und nur deshalb, weil das Land die Finanzierung ab 2016 zugesagt hat.
Das heißt aber nicht, dass nun alles geklärt ist. Harte Verhandlungen stehen aus. Rund 1,2 Millionen kostet die Schulbetreuung in Stormarn jährlich. Viel Geld. Geld, das der Kreis nicht mehr zahlen will. Er setzt darauf, dass das Land zuständig ist und sich Kiel daher auch an den Kosten beteiligt, die in der Übergangszeit bis 2016 entstehen. Das sei so auch zugesagt worden, heißt es in einer Pressemitteilung des Kreises. Die Übergangslösung erfolge daher auf der Grundlage, dass das Land auch die bis 2016 entstehenden Aufwendungen anteilig erstattet. „Es kommt jetzt darauf an, eine gute Beteiligungsquote des Landes zu erzielen“, sagt Landrat Klaus Plöger. Die Verhandlungen werde vermutlich der Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Landkreistages führen. Er hatte auch die jetzt vorgelegte Lösung mit ausgehandelt. Denn das Problem betrifft nicht nur Stormarn. Nach Schätzungen werden rund 60 Prozent der 16.000 Kinder mit Förderbedarf in Schleswig-Holstein in Regelschulen unterrichtet werden.
Die Verträge sämtlicher Schulbegleiter sollten gekündigt werden
Die Wende in dem Konflikt kommt überraschend. Noch vergangene Woche hatte Plöger bei der Sitzung des Kreissozialausschusses keinen Zweifel aufkommen lassen, dass Schulbegleitung ausschließlich Sache des Landes sei. Von rechtswidrigem Umgang mit Steuergeld soll gesprochen worden sein. „Mit dem Deal mit dem Land haben wir ja nun eine andere Ausgangslage. Ich kann ja nicht sagen, ich zahl’ das mal“, sagt Plöger, der mit einem Brief auch Druck auf das Land ausgeübt hatte. Plöger: „Kreis und Land sind auf dem richtigen Weg. Das ist ein Fortschritt für Schulen und Eltern.“
Die Erleichterung ist in der Tat riesengroß.. „Mir fällt ein Riesenstein vom Herzen“ sagt die Ahrensburgerin Jennifer Angelbeck. Ihre Zwillinge werden also auch weiterhin im Wechsel von Stephanie Paulun und einer Kollegin betreut. Die beiden von der Lebenshilfe Stormarn entsandten Schulbegleiterinnen sind ausschließlich für Mads und Emilie da. „Das ginge auch gar nicht anders“, sagt ihre Mutter. Sie ist froh, dass die Entscheidung nicht erst zwei Tage vor Beginn des nächsten Schuljahres gefallen ist. Dass sie überhaupt so fallen würde, danach hatte es in den vergangenen Wochen überhaupt nicht ausgesehen. Die Verträge sämtlicher Schulbegleiter sollten zum Schuljahr 2014/15 gekündigt werden, weil nicht klar war, wer sie bezahlt. Einige bereits vom Kreis an die Eltern verschickte Bewilligungsbescheide wurden aufgehoben. Eine Zitterpartie für die betroffenen Familien, für die viel auf dem Spiel stand: die Bildung ihrer Kinder.
Ursache für den Streit war ein Urteil des Landessozialgerichts in Kiel
Die Ahrensburgerin Birgit Wittmaack ist noch jetzt empört: „Eltern, die mit ihrem behinderten Kind sowieso schon in einer schweren Situation sind, wissen nicht, ob ihre Kinder im neuen Schuljahr zur Schule gehen können. Eine unhaltbare Situation.“ Die Mutter eines autistischen Kindes gründete eine Elterninitiative und setzte ein Petitionsverfahren in Gang. Jennifer Angelbeck: „Sie hat gekämpft wie eine Löwin.“ Birgit Wittmaack sagt es so: „Unser geballter Auftritt beim Jugendhilfeausschuss am Montag hat den Verantwortlichen wohl den Rest gegeben.“
Heraufbeschworen hatte den Konflikt ein Urteil des Landessozialgerichts in Kiel. Es hatte am 17. Februar entschieden, dass Inklusion nicht zu Lasten der Sozialhilfe gehen dürfe. Sie liege in der Verantwortung der Schulen. Für den Kreis Stormarn eine klare Sache: Nun müsse das Land zahlen.
Mit der Übergangslösung kann Birgit Wittmaack leben. Sie wisse, dass Inklusion nicht sofort gelinge. Aber die Eltern seit Februar im Ungewissen zu lassen sei unmöglich. Mehr noch. „Die Eltern erhielten auf ihre Anträge keine Antworten. Das war rechtswidrig.“