1099 behinderte Schleswig-Holsteiner bekommen Hilfen beim Unterricht. Derzeit wird das von den Kommunen bezahlt, aber die Richter sehen das Land in der Pflicht

Kiel. Wer bezahlt die Schulbegleiter, die Tag für Tag dafür sorgen, dass behinderte Schüler am Unterricht teilnehmen können? Ein Urteil des Landessozialgerichts in Schleswig stellt jetzt die bewährte Finanzierung infrage. Zugleich stellt es die Schulen und die Landespolitik vor eine schwer lösbare Aufgabe. Wenn nicht bald zumindest eine Übergangsregelung gefunden wird, dürfte die Schulbegleitung vor dem Aus stehen. Ulrich Hase, der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, warnt bereits: „Kostenpolitische Streitigkeiten dürfen nicht zulasten der Kinder mit Behinderung führen.“ Doch offenbar passiert derzeit genau dies. Birgit Wille, Schleswig-Holsteins Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheit, weiß aus ihrer Praxis, dass sich „Land und Kommune gegenseitig die Kostentragungspflicht zuspielen“.

Es geht um 12,2 Millionen Euro, die die Kreise und kreisfreien Städte im Jahr 2012 für die Schulbegleiter ausgeben mussten. Die Tendenz ist steigend. 2009 waren es nur 7,8 Millionen Euro. Die Zahl der Schüler, die derartige Integrationshilfen bekommen, wächst rapide an – auch deshalb, weil die Politik will, dass Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam unterrichtet werden. 2007 waren es 495, 2011 schon 895, im Jahr darauf 1099. Das ist im Vergleich zu 2011 ein Zuwachs von 22,8 Prozent.

Den Kreisen und kreisfreien Städten, die diese Integrationshilfen zu bezahlen haben, passt das natürlich nicht. Sie gehen mittlerweile dazu über, nur noch das unbedingt Notwendige zu genehmigen. Und sie finden, dass die Schulbegleiter ebenso wie die Lehrer und die Schulsozialpädagogen eigentlich vom Land bezahlt werden müssten.

Das aktuelle Urteil des Landessozialgerichts spielt ihnen nun zumindest teilweise in die Karten. In dem Prozess ging es um einen Zehnjährigen aus dem Kreis Schleswig-Flensburg. Er besucht eine Grundschule und leidet unter einer erheblichen Bewegungsstörung. Deshalb bewilligte ihm die Kreisverwaltung von der ersten Klasse an einen Schulbegleiter, der 20 Stunden in der Woche für ihn da war. Für das Schuljahr 2013/14 beantragten die Eltern 16 Wochenstunden. Bewilligt wurden aber nur drei Stunden. Laut Gerichtsurteil wurde das seitens des Kreises so begründet: „Die Schule habe die Räumlichkeiten und die Bedingungen zu bieten, damit auch behinderte Kinder an dem Schulbesuch und an den pädagogischen Angeboten ohne eigene Schulbegleitung teilnehmen könnten.“

Daraufhin zogen die Eltern erst vors Sozialgericht und dann vors Landessozialgericht. Doch der Erfolg blieb aus. Mehr als drei Stunden Schulbegleitung beim Sportunterricht muss der Kreis Schleswig-Flensburg laut Urteil nicht bewilligen. Die Richter berufen sich dabei unter anderem auf einen Passus des derzeit geltenden schleswig-holsteinischen Schulgesetzes. Sie folgern daraus, dass es die Aufgabe der Schulen ist, behinderte Menschen in den Schulbetrieb zu integrieren, nicht aber die Aufgabe des Sozialhilfeträgers – also der Kreise und kreisfreien Städte. In der Urteilsbegründung heißt es: „Der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers.“ Das Schleswiger Gericht steht mit dieser Schlussfolgerung nicht allein. Allerdings haben Gerichte in anderen Bundesländern auch schon ganz anders geurteilt. Mit anderen Worten: Die Rechtsprechung ist uneinheitlich.

Wie geht man nun mit diesem Urteil um? Da ist die Bildungsministerin Waltraud Wende (parteilos) gefordert. An diesem Donnerstag tagt der Bildungsausschuss des Landtags, möglicherweise präsentiert Wende dort erste Ideen zur Problemlösung.