Nach mehr als vier Jahren packt eine Frau ihren Koffer, nimmt ihre Tochter und flieht ins Stormarner Frauenhaus. Mit dem Abendblatt hat sie über ihre Flucht, psychische Gewalt, den Ex-Freund und ihr neues Leben gesprochen.

Ahrensburg. Ihre Flucht in ein gewaltfreies Leben beginnt mit einem Kaffee. „Ich saß mit einer Kollegin zusammen“, sagt Hanna Runge (Name geändert). Als die Kollegin sie auf ihr trauriges Gesicht anspricht, bricht es plötzlich aus der 35-Jährigen heraus. Das ganze Leid der letzten sechs Jahre. „Nach dem Gespräch hat sie mich zu einer Beratungsstelle gebracht.“ Die Mitarbeiterin dort gibt Hanna Runge die Telefonnummer des Frauenhaus Stormarn. „Ich hatte Glück. Gerade war eine Frau ausgezogen und ein Platz frei.“

Doppelt so viele Frauen wie sie aufnehmen können, müssen die drei Betreuerinnen vom Frauenhaus abweisen. „Wir sind chronisch überbelegt“, sagt Claudia Rattmann. 14 Plätze für misshandelte Frauen und ihre Kinder gibt es in dem großen Haus, das in einem Ahrensburger Wohngebiet steht und dessen Adresse nur Bewohnerinnen, Betreuerinnen und die Polizei kennen.

Jahrelang wird die junge Mutter von ihrem Partner gedemütigt

Ihren damaligen Freund kennt Hanna Runge schon einige Jahre, bevor sie schließlich ein Pärchen werden. „Es war am Anfang auch Liebe“, sagt die Frau mit den großen braunen Augen. Kurz darauf zieht sie in seine Wohnung in einem schleswig-holsteinischen Dorf. Verliebt wie sie war, habe Hanna Runge nicht bemerkt, dass ihr Freund anfing, sie von der Außenwelt zu isolieren. „Er hat meine Familie und Freunde schlecht gemacht.“ Wenn sie jemanden besuchen will, redet er es ihr aus – später verbietet er es sogar.

Als sie im Sommer aus dieser Welt ausbricht, muss es schnell gehen. „Ich habe die Papiere und Kleidung für meine Tochter und mich eingepackt“, sagt Hanna Runge. „Die Kollegin hat mich nach Ahrensburg gebracht.“ Ihr Freund ist währenddessen bei der Arbeit.

Claudia Rattmann rät den Frauen immer, dann zu flüchten, wenn der Mann nicht im Haus ist. „Die Trennung von einem gewalttätigen Mann ist die gefährlichste Zeit für eine Frau“, sagt die Sozialpädagogin. In der 2012 erschienenen Kriminalstatistik schlüsselte das Bundeskriminalamt erstmals bei Tötungsdelikten die Beziehung von Täter und Opfer auf. Das Ergebnis: Jedes zweite weibliche Opfer wurde vom (Ex-)Partner getötet.

Geschlagen habe ihr damaliger Freund sie nie, sagt Hanna Runge heute. Es war psychische Misshandlung, unter der sie täglich gelitten habe. „So richtig schlimm wurde es nach der Geburt unserer Tochter“, sagt sie. Kaum ein nettes Wort habe sie seitdem gehört. „Ich wurde permanent kritisiert, dass ich zu blöd bin. Für die Versorgung des Kindes, für den Haushalt, einfach für alles.“ Er habe zudem stets an ihrem Aussehen gemäkelt, ihr vorgeworfen, dass sie nur Geld kosten würde. „Ich habe das irgendwann alles geglaubt.“

Wenn Hanna Runge zum Supermarkt geht, muss sie ihrem Freund den Einkaufszettel vortragen. Anschließend kontrolliert er Wechselgeld und Kassenzettel. In der Zeit nach der Geburt der Tochter hat Hanna Runge meist keinen einzigen eigenen Euro zur Verfügung. Ihre Wünsche und Interessen – und sind sie noch so klein – spielen keine Rolle mehr. „Besonders gemein war er, wenn er getrunken hatte.“ Er trinkt jeden Abend nach der Arbeit einen Liter Rotwein. An ihrem letzten gemeinsamen Abend vor ihrer Flucht demütigt er sie schwerer als jemals zuvor.

Rattmann findet es wichtig, dass auch Frauen, die psychische Gewalt erleiden, sich ans Frauenhaus wenden. „Wer systematisch fertig gemacht wird, braucht genauso Hilfe wie Prügelopfer.“

Auf der Fahrt zum Frauenhaus ist sie furchtbar nervös. „Meine Hände waren schweißnass.“ Doch ihre Entscheidung steht fest. „Ich habe keine Sekunde daran gedacht, umzukehren. Nie, nie, nie“, sagt sie. Dabei schüttelt die schüchterne Frau energisch den Kopf.

Im Frauenhaus wird sie herzlich empfangen. Mit ihrer vierjährigen Tochter bezieht sie dort ein eigenes Zimmer und findet Freundinnen. „Wir Frauen sitzen oft zusammen im Wohnzimmer und reden, auch über unsere Vergangenheit.“ Gemeinsam könnten die Frauen voneinander lernen und ihre Wunden heilen, sagt Rattmann. Hanna Runge weiß nun, warum das am besten im Frauenhaus funktioniert: „Es hilft zu wissen, dass andere Frauen ähnliche Sachen erlebt haben.“ Sie findet, sie habe noch mehr gelernt im Frauenhaus. „Ich bin viel selbstbewusster und kann jetzt Nein sagen, wenn es mir zu viel wird.“

Die Frauen müssen bei ihrer Flucht alles aus ihrem alten Leben aufgeben

Auch den Ex-Freund und ihr altes Leben hat Hanna Runge hinter sich gelassen – fast. „Er hat natürlich das Recht, seine Tochter zu sehen“, sagt sie. Das sei allerdings die einzige Verbindung. Claudia Rattmann: „Unsere Frauen müssen alles aufgeben bei ihrer Flucht“. Wohnung, ihre Umgebung, Job, Freunde. „Dafür können sie allerdings in ein ganz neues Leben starten“, sagt die Sozialpädagogin. Die wenigsten Frauen würden rückfällig, wie es Rattmann nennt, und zu ihrem Mann oder Freund zurückkehren.

Auch Hanna Runge hat es geschafft. Am Dienstag ist sie mit ihrem Töchterchen in eine eigene Wohnung gezogen. Sobald sie in ihrem neuen, selbstbestimmten Leben angekommen ist, will die junge Mutter wieder in ihrem gelernten Beruf arbeiten. „Ich bin jetzt endlich glücklich und zufrieden mit mir und dem Leben“, sagt sie.