In Dänemark, Finnland und Schweden ist die Rate am höchsten. Deutschland etwas über Durchschnitt. Von sexuellen Belästigungen sind noch mehr Frauen betroffen als von Gewalt.
Wien. Ein blaues Auge nach einem Streit mit dem Partner, eine zerrissene Strumpfhose nach einer Partynacht oder der aufdringliche Chef im Büro: Die Berichte von weiblichen Gewaltopfern sind sehr unterschiedlich. In der Europäischen Union gibt es erschreckend viele von ihnen, zeigt eine neue Studie. Jede dritte Frau in der EU hat seit ihrer Jugend schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Das sind etwa 62 Millionen. Fünf Prozent davon sind vergewaltigt worden, berichtet die EU-Grundrechte-Agentur (FRA).
Oft lauert die Gefahr für Frauen in den eigenen vier Wänden: 22 Prozent gaben an, körperliche oder sexuelle Gewalt durch den Partner erfahren zu haben. Zu körperlicher Gewalt zählt etwa, wenn Frauen geschlagen, an den Haaren gezogen, geschubst oder mit harten Objekten attackiert werden. Sexuelle Gewalt bedeutet Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung. Oft werden diese Übergriffe in Beziehungen zum Alltag. Auch Schwangere würden dann nur selten verschont. Dagegen vorzugehen, trauen sich die wenigsten: Viele sagten, sie würden sich zu sehr schämen oder seien peinlich berührt und würden deshalb nicht zur Polizei gehen.
Vergewaltigungen durch Fremde, wobei dabei oftmals mehrere Männer beteiligt sind, würden schneller angezeigt. Sechs Prozent aller Befragten gaben außerdem an, dass es bereits zu einer versuchten Vergewaltigung kam. Gleich viele Frauen nahmen aus Angst an sexuellen Aktivitäten teil, weil sie mögliche Konsequenzen fürchteten.
Die höchste Gewaltrate meldeten Frauen in den drei nordischen Ländern Dänemark (52 Prozent), Finnland (47 Prozent) und Schweden (46 Prozent). In Polen, Österreich und Kroatien gibt es mit jeweils rund 20 Prozent vergleichsweise am wenigsten Gewalt. Deutschland liegt mit 35 Prozent etwas über dem EU-Schnitt (33 Prozent). Die Zahlen sollen laut Studienautoren aber nicht zu voreiligen Schlussfolgerungen führen. Angaben zu Übergriffen und die tatsächlich ausgeübte Gewalt stimmten nicht immer überein.
Kulturelle Unterschiede im Umgang mit Gewalt hätten einen Einfluss darauf, wie offen Frauen dieses Thema ansprechen. Bei stärkerer Gleichberechtigung der Geschlechter herrsche deutlich mehr Problembewusstsein, und es gebe mehr Anzeigen.
Von sexuellen Belästigungen sind noch mehr Frauen betroffen als von Gewalt. Vor allem gut ausgebildete Frauen in Spitzenpositionen sprachen davon. Dies könnte aber damit zusammenhängen, dass diese Gruppe Grenzüberschreitungen besser einschätzen könne und dies auch meldet.
Insgesamt sind schätzungsweise zwischen 83 und 102 Millionen Frauen sexuell belästigt worden. Das sind zwischen 45 und 55 Prozent aller Frauen in der EU ab 15 Jahren. Der Zahlenunterschied ergibt sich daraus, weil es bei den Befragten unterschiedliche Ansichten gab, ob etwa Annäherungsversuche durch Männer, sexistische Witze oder ungewollte Nacktfotos per SMS bereits zu einer sexuellen Belästigung zählen. „Frauen sind nicht sicher auf den Straßen, am Arbeitsplatz und schlussendlich auch nicht zu Hause, dem Platz, an dem sie Schutz finden sollten“, sagte FRA-Direktor Morten Kjaerum.
Für die Studie wurden 42.000 Frauen in 28 EU-Ländern befragt
Viele dieser Attacken beginnen bereits in der Kindheit. Zwölf Prozent aller Befragten gaben an, bereits vor dem 15. Lebensjahr in irgendeiner Form sexuell belästigt worden zu sein. In Deutschland sind es 13 Prozent. Dazu zählt, wenn Erwachsene ihre Genitalien demonstrativ zur Schau stellten oder unsittliche Berührungen im Intimbereich vornahmen. Täter waren in diesem Fall fast ausschließlich Männer, wie die Frauen berichteten. Solche Übergriffe führen bei einem Drittel der Frauen dazu, in späteren Beziehungen wieder zum Opfer zu werden.
Noch verbreiteter ist körperliche Züchtigung: Mehr als ein Viertel hat bis zum Jugendalter physische Gewalt erlebt. In Deutschland ist die Zahl mit 37 Prozent noch deutlich höher. Erwachsene Frauen wie Männer schlagen in diesem Fall fast gleich oft zu.
Insgesamt wurden 42.000 Frauen in den 28 EU-Ländern im Alter zwischen 18 und 74 Jahren befragt. Die Gespräche fanden 2012 persönlich statt. Vergleichbare Studien zu der Thematik gab es in der EU bisher nicht, die Studie ist die bisher weltweit größte.