Ein Wolf war am Osterwochenende in Hamburg-Kirchwerder gesehen und fotografiert worden. Jetzt wurde auf der A1 bei Siek ein wilder Wolf totgefahren. Experten untersuchen den Kadaver in Berlin.
Siek. Der Wolf in Stormarn – was Experten schon seit längerer Zeit für möglich gehalten, ja sogar vermutet haben, ist nun bewiesen. Einzig der Beweis, er lebt nicht mehr. Ein Auto hat ihn erfasst und in den Straßengraben geschleudert, in der Nacht zu Dienstag auf der A1 bei Siek. Der erste jemals in Stormarn gesichtete Wolf ist tot.
Experten gehen nun der Frage nach, ob es sich womöglich um dasselbe Tier handelt, das ein Landwirt am Karfreitag nahe eines Bauernhofes im Hamburger Stadtteil Kirchwerder gesichtet und fotografiert hatte. Dirk Hadenfeldt, ehrenamtlicher Wolfsbetreuer aus Schmielau (Kreis Herzogtum Lauenburg), sagt: „Es mag sein, dass es einen Zusammenhang gibt, allein schon wegen der räumlichen und zeitlichen Nähe.“ Der Nachweis allerdings dürfte schwer zu erbringen sein – genetisches Material können Fachleute nur von jenem Tier gewinnen, das nun tot ist. Es wird zurzeit im Leibnitz Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin untersucht.
Es ist Montagabend, 22.50 Uhr, als ein 35 Jahre alter Mann, ein polnischer Staatsbürger, den Polizeinotruf wählt und zum Autobahnrevier Bad Oldesloe durchgestellt wird. Er berichtet den Beamten am anderen Ende der Leitung, dass ihm gerade auf halber Strecke zwischen den Anschlussstellen Ahrensburg und Stapelfeld ein Tier vors Auto gelaufen sei, vermutlich ein großer Hund.
Nur eine Minute zuvor hatte bereits eine Frau den Kontakt zur Polizei gesucht und berichtet, an derselben Stelle sei ein Tier über die Mittelleitplanke gesprungen. Auch die Autofahrerin war Richtung Hamburg unterwegs. „Der Wolf ist also von Osten her gekommen“, wird Dirk Hadenfeldt später aus diesen Informationen schlussfolgern.
Zunächst machen sich Beamte der Autobahnpolizei auf den Weg zur Unfallstelle. „Zu dieser Zeit sind sie von einem ganz normalen Routineeinsatz ausgegangen“, berichtet Dienststellenleiter Georg Ruge. Doch eine Beamtin – sie interessiert sich privat für Wildtiere – erkennt sofort: Der Körper mit dem braunen, leicht silberfarben durchzogenen Fell, der da leblos auf der Grenze zwischen rechter Fahrbahn und Standstreifen liegt, ist nicht der eines Schäferhundes. Es ist ein Wolf. Sie informiert die Kollegen in der Leitstelle in Lübeck; dort sind die Telefonnummern der ehrenamtlichen Wolfsbetreuer hinterlegt.
Es ist Dienstagmorgen kurz nach Mitternacht, als in Schmielau Dirk Hadenfeldts Handy klingelt. Der 47-Jährige, Landwirt und Jäger, informiert noch seinen Mitstreiter Jens Matzen aus dem Kreis Plön, dann bricht er auf in Richtung Autobahnrevier. Von dort fahren die Männer gemeinsam zur Unfallstelle. Um 1.15Uhr treffen sie ein.
Dirk Hadenfeldt erkennt den Wolf auf den ersten Blick. „Er erlitt wahrscheinlich einen Schädelbasisbruch, war nach dem Zusammenprall mit dem Auto auf der Stelle tot“, sagt er. Äußerlich sei das Tier nahezu unversehrt gewesen. Der Fachmann identifiziert den Wolf als Rüden, ermittelt ein Gewicht von knapp 30 Kilogramm und schätzt das Alter auf zwei Jahre, vielleicht etwas jünger. „Er war voll durchgezahnt. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass er noch ganz jung war.“
Der 47-Jährige umhüllt den Kadaver mit Plastiktüten, packt ihn auf die Ladefläche seines Pick-up und fährt ihn nach Hause nach Schmielau. Dort holt Jens Matzen das Tier am Dienstagmorgen ab und fährt es nach Berlin.
Hadenfeldt vermutet, dass der Wolf sein Rudel verlassen hatte, um sich ein eigenes Gebiet zum Leben zu suchen. Experten wie er beobachten immer wieder, dass es die Tiere von Osten her in Richtung Elbe zieht. Erst vor zwei Monaten war im Kreis Herzogtum Lauenburg zwischen Mölln und Büchen eine eineinhalb Kilometer lange Fährte entdeckt worden. Und im Kreis Pinneberg waren seit September 2012 ungewöhnlich viel Wild und Schafe gerissen worden – was die Vermutung nährte, auch dort tummle sich ein Wolf. Doch in Stormarn gab es bislang keine Beweise – bis Montagabend.
Ob in der Gegend noch ein zweites Tier unterwegs ist? „Mag sein“, sagt Dirk Hadenfeldt, „muss aber nicht.“ Manchmal zögen Wölfe allein, manchmal zu zweit. Wie auch immer: „Sie haben es in unserer Region mit den vielen Straßen schwer.“ Im April vor sechs Jahren war bereits ein Wolf bei Süsel (Kreis Ostholstein) infolge eines Unfalls verendet. Dirk Hadenfeldt kritisiert, dass es seitens des Landes noch keine Handlungsanweisung gebe, wie mit verunglückten Wölfen zu verfahren ist, die noch nicht tot seien.