Louise Zietz kämpfte für das Frauenwahlrecht und für den heutigen Internationalen Frauentag. Sie stammt aus Stormarn. Eine Spurensuche.

Wo bitte geht es zum Louise-Zietz-Weg? "Wer?", fragt der Passant zurück und ist mit seinem Hund schon um die Ecke. Aber hier ganz in der Nähe muss es sein. Also noch ein bisschen weiter Richtung Schulzentrum. Ob die Mädchen dort eine Ahnung haben? Angesichts des Alters vielleicht lieber erst mal mit der grundsätzlichen Frage anfangen. "Kennt ihr Louise Zietz?" Ratlosigkeit auf den Gesichtern. "Nein", sagt die eine und lächelt verlegen. Aber das Stichwort Frauenwahlrecht tut Wunder.

"Na klar, die hat sich doch dafür eingesetzt, dass die Frauen gleichberechtigt sind und dass sie eine höhere Bildung kriegen und dass sie nicht nur in der Küche stehen", sprudelt es jetzt aus der einen jungen Dame heraus. "Stimmt. Haben wir letztes Jahr im Geschichtsunterricht gehabt", sagt die andere und zeigt Richtung Lohe. Da hinten gebe es auch einen Weg, der nach ihr benannt sei. Die beiden sind Zwillingsschwestern, 15 Jahre alt, Schülerinnen des Kopernikus-Gymnasiums: Judith und Philine.

"Natürlich werden wir später wählen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das früher nicht möglich war", sagt Philine. Ein ungewöhnlicher Name. Und wie klingt Louise in ihren Ohren? "Altmodisch. Aber auch besonders", sagt die 15-Jährige. Fragen wir mal nach, wie besonders.

"Es gibt keine andere Louise", sagt die Dame im Bargteheider Einwohnermeldeamt, "ich habe alles durchgeguckt. Bis 1800." Louise Zietz war offenbar nicht nur besonders, sondern einzigartig. Dann muss das Kreisarchiv ja jede Menge Material haben. Nichts. "Der Krieg hat vieles zerstört. Wir haben erst Unterlagen ab 1950", sagt Kreisarchivar Stefan Watzlawzik, "aber im Stormarn-Lexikon steht etwas drin."

Tatsächlich. Fast eine Seite ist ihr gewidmet: "Am 25. März 1865 in Bargteheide geboren, als Louise Catharina Amalie Körner. Am 27. Januar 1922 in Berlin gestorben." Alt ist sie nicht geworden. Nur 56 Jahre. Woran mag sie gestorben sein? "Als ältestes von vier Kindern einer Wollweberfamilie waren Kindheit und Jugend geprägt durch entbehrungsreiche Lebensbedingungen." Mit anderen Worten: Sie war arm. "An den Besuch der Volksschule in Bargteheide schloss sich eine Ausbildung als Kindergärtnerin am Fröbel-Seminar in Hamburg an." Aber wie hat sie das geschafft, an die Höhere-Töchter-Schule, als einfaches Mädchen vom Lande? "Ab 1892 war sie Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 1908 wurde sie in den Parteivorstand gewählt." Eine Weberstochter als erste Frau im höchsten Gremium der Sozialdemokraten.

"HE" steht unter dem Artikel im Stormarn-Lexikon. Eine Abkürzung für Hannelies Ettrich. Natürlich, die Leiterin des Stadtarchivs Bargteheide muss Unterlagen haben. Der Besuch lohnt sich. "Das hier ist meine Schatzkiste", sagt die Archivarin, öffnet einen Karton mit Dokumenten und zeigt ein Foto der Frauenrechtlerin. So sah sie also aus: eine stattliche Frau, freie Stirn, mit klugen, ruhigem Blick und hochgeschlossenem Kleid. "Und hier ist sie mit ihrer Familie", sagt Ettrich. "Hinter ihr steht ihr Mann, ein Hamburger Hafenarbeiter, Carl Christian Zietz. Die Ehe hielt nicht. Aber durch ihn kam sie in Berührung mit der Arbeiterbewegung."

Die Stadtarchivarin hat selbst geforscht und für das Jahrbuch des Kreises einen Aufsatz über die Frauenrechtlerin geschrieben. "Es ist schön, in einer Stadt zu arbeiten, aus der eine solche Frau kommt. Sie war Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und Abgeordnete des Reichstages", sagt Ettrich, "eine Parlamentarierin der ersten Stunde, die sich maßgeblich dafür eingesetzt hat, dass 1918 das Frauenwahlrecht anerkannt wurde." Das war eine Revolution. Philine und Judith dürfen in drei Jahren wählen. Als Louise so alt war wie die Zwillinge jetzt, war sie ein Dienstmädchen ohne Rechte. Auch heute noch muss das Frauenwahlrecht erkämpft werden. In Kuwait gilt es erst seit 2005.

Hier wird gefeiert

"Louise Zietz muss eine starke Willenskraft gehabt haben", sagt Ettrich. "Es ist unglaublich, was sie geschafft hat, wenn man bedenkt aus welchen Verhältnissen sie kam." Zietz hat diese selbst beschrieben. Im Stadtarchiv findet sich ihre Schrift "Aus meinem Leben. Wie wir Kinder beim Brotverdienen helfen mussten" von 1919. In dem Dokument heißt es: "Die Wolle musste die Kratzmaschine zweimal passieren. Hunde trieben die Maschine vermittels eines Tretrades an, und wenn uns einer der großen Hunde weggestorben war, mussten wir auch mitunter in das Rad hinein (...). Sollte die Wolle gewebt werden, musste sie auf Spulen gebracht werden. Das war für uns Kinder eine schreckliche Marter. (...) Der Rücken schmerzte, der rechte Arm, (...) drohte zu erlahmen. Die Finger (...) von den scharf gesponnen Fäden blutig gerissen. (...) Im Schrank war kein Brot, und der Hunger tat so weh."

Die Leiterin des Bargteheider Heimatmuseums, Wilma Griese, sagt: "Ich habe nicht genug Fantasie, mir so viel Elend auszumalen. Aber diese Erfahrungen hat Louise Zietz zur Kämpferin gemacht. Sie kämpfte wie eine Löwin." Auch Wilma Griese hat im Museum des Verschönerungsvereins eine Schatzkiste zu bieten. Und die klärt unter anderem auch die Frage: mit oder ohne "o"?

Für den früheren Leiter des Museums Wilhelm Postl war das klar: ohne. "Sie hat mit Luise gezeichnet", lässt er in einem Artikel zum 125. Geburtstag der Frauenrechtlerin wissen, verweist auf ihren Reichstagsausweis und fordert die Stadt zu einem Geburtstagsgeschenk in Form der Änderung des Straßenschildes auf, das 1982 auf Antrag der SPD aufgestellt worden war. Es stimmt. Im Ausweis steht Luise. Der damalige Bürgermeister Frank Pries verwies seinerseits auf das Taufregister. Da stehe Louise. Der Blick in den Museumsordner beweist: stimmt auch. Vielleicht fand sie aber - so wie Philine - Louise zu altmodisch und die Änderung in Luise passender für eine Frau, die am liebsten alles verändert hätte.

Gibt es eigentlich noch Familienmitglieder? Die Stadtarchivarin wird fündig: "Ja, Susanne Schütt." Wir treffen sie in der Lohe. Im Haus Nummer 22 ist ihre Urgroßtante geboren, und deswegen ist auch der Weg nach ihr benannt, der schräg gegenüber einmündet. Er führt zum Schulzentrum, zur Jugend. Ein schönes Zeichen. Schütt: "Ich bin stolz darauf, dass Louise Zietz zu meiner Familie gehört. Auch meine Mutter war eine starke Frau und aktiv in der SPD. So wie mein Sohn jetzt. Da schließt sich der Kreis", sagt Susanne Schütt, die Schmuck, Schuhe und Postkarten der Vorfahrin gerettet hat.

Um die Postkarten entziffern zu können, hat sie sich ein Alphabet mit altdeutscher Schrift besorgt. Aber ein Gruß von der Kur in Bad Wildungen ist nicht zu entschlüsseln. Waren die Nieren krank? "Ich weiß auch nicht, woran sie gestorben ist", sagt die Urgroßnichte. Die Museumsleiterin Wilma Griese ist sich sicher: "Das war ein Herzinfarkt." Louise Zietz hatte ein enormes Pensum. In einem Jahr hielt sie 209 Reden, überall in Deutschland.

1919 hatte sie noch die Grabrede für Rosa Luxemburg gehalten. Am 26. Januar 1922 wurde sie selbst nach einem Schwächeanfall aus dem Reichstagsgebäude geführt und starb am folgenden Tag: bis zuletzt im politischen Kampf. Sie hatte sich für das Frauenwahlrecht, den Acht-Stunden-Tag, den Mutterschutz und das Verbot von Kinderarbeit eingesetzt. Und sie war Pazifistin, hatte Kriegskredite abgelehnt, flog aus dem Parteivorstand und wurde 1917 Gründungsmitglied der USPD. Die Wiedervereinigung mit der SPD erlebte sie nicht mehr. Ob alles anders gekommen wäre, wenn sie Kinder gehabt hätte? "Nein", sagt Wilma Griese, "sie hatte keine Kinder, weil sie dieses Leben so führen wollte." Für andere - auch für Mädchen wie Philine und Judith.